Popkultur

Eiswellen, Nordlichter und gefrorene Finger – Ein Surftrip am Ende der Welt

Ein Surfer unter den Nordlichtern

Seit Dezember 2017 ist Under an Arctic Sky auch auf Netflix verfügbar.

Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt, ins Gesicht peitschende Winde, nur vier Stunden Tageslicht, Hände und Füße vor Kälte taub. Das sind nicht gerade die Assoziationen, die man hat, wenn man ans Surfen denkt. Chris Burkard sucht auf seinen Reisen genau solche Naturextreme. Seine Mission: die spektakulärste Geschichte zu erzählen.

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Mit 19 Jahren schmiss Chris in seiner Heimat Kalifornien das Studium, um mit seiner Kamera die Welt zu entdecken. Mittlerweile sind seine Bilder bei National Geographic erschienen, er hat Bücher veröffentlicht und 2,8 Millionen Follower auf Instagram. Beliebte Spots wie Hawaii interessieren den heute 31-Jährigen nicht. Er lichtet die Surfer ab, wo eigentlich niemand surft: zum Beispiel in Island.

Für seinen Film Under an Arctic Sky ist Chris mit dem Filmemacher Ben Weiland und den Surfprofis Justin Quintal, Timmy Reyes und Sam Hammer im Dezember 2015 nach Reykjavík gereist. Dort sammelten sie noch drei Locals ein und jagten den rauen Wellen der Westfjorde nach – Rückschläge und Nordlichter inklusive. Chris Burkard über seinen Film, die größten Gefahren und die Freundschaft, die entsteht, wenn du mit einer Gruppe Leute im Eissturm stehst:

VICE: Wie kommt man auf die Idee, in den Westfjorden Islands zu surfen?
Chris Burkard: Im Laufe der vergangenen Jahre sind Ben Weiland und ich immer unzufriedener mit den als “Abenteuer” verkauften Orten geworden, die in Wirklichkeit total touristisch sind. Deshalb haben wir angefangen, nach kälteren Locations zu suchen. Vor gut zehn Jahren bin ich zum ersten Mal nach Island gereist und habe mich verliebt. Insgesamt war ich dank meiner Arbeit schon 30 mal dort und irgendwann stieß ich auf diesen abgelegenen Fjord ganz im Nordwesten der Insel. Er ließ mich nicht mehr los. Ich wusste, dass man dort gut surfen kann. Der Weg dorthin war das Problem.

Wie bereitet man sich auf so einen Trip vor?
Wir sind da teilweise große Risiken eingegangen. Für mich waren diese Risiken jedoch einkalkuliert, weil ich ja schon so oft in Island war. Ich habe bei diesem Trip wirklich mein Bestes gegeben, alles genau durchzuplanen. Ich verfechte sowieso die Theorie: Je mehr man weiß, desto weniger braucht man. Aber es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, wir hätten alles im Griff gehabt.

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Chris | Alle Fotos: bereitgestellt von Chris Burkard/HHonolulu Events

Was waren die größten Hürden auf dem Weg zur perfekten Welle?
Zum Glück kannten die Leute, mit denen ich unterwegs war, solche brutalen Verhältnisse wie in Island. Die Wassertemperatur lag immer irgendwo zwischen zwei und vier Grad Celsius. Das Schlimmste war, außerhalb des Wasser zu sein. Bei einem solchen Trip lässt es sich nicht vermeiden, dass man im Auto oder in einer Hütte festsitzt, während draußen ein großer Sturm aufzieht. Da müssen sich die Leute um einen herum trotzdem freuen, jetzt in dieser Situation zu sein. Und man muss sich im Falle des Falles darauf verlassen können, dass sie einen retten können. Das muss man alles bedenken, wenn man die Mitreisenden auswählt.

Obwohl ich schon öfters in solchen Wetterverhältnissen fotografiert habe, konnte mich nichts darauf vorbereiten, was uns bei dieser Reise erwartete. Wir fuhren um halb zwei morgens raus und bei jeder Berührung von Metall froren uns die Finger ab. Wegen unseres Atems bildeten sich Eisschichten auf den Kameras. Eine so extreme Kälte hatten wir alle noch nie erlebt. Genau das hat uns auch am meisten zugesetzt. Dazu funktionierten die Kameras teilweise nicht. Immer wenn wir zurück in die Unterkunft kamen, mussten wir unsere Pläne neu anpassen. Selbst die kleinsten Dinge mussten genau durchdacht sein.

Habt ihr euch unter den extremen Konditionen verletzt?
Wenn man von draußen reinkam, konnte man teilweise kaum reden, weil der Mund vor Kälte taub war. Dazu kamen natürlich noch die gefrorenen Finger. Das war schon brutal.

Einmal wurde es richtig kritisch, als wir durch den schlimmsten Sturm fuhren, den Island in den letzten 25 Jahren gesehen hat. Uns wurde klar, dass sich die vierstündige Fahrt plötzlich in eine zwölfstündige Fahrt verwandelte. Die Straße war zugeschneit und wir mussten immer wieder das Auto freischaufeln. Wir befürchteten, es nicht zu unserem Ziel zu schaffen. Und plötzlich sahen wir auf unseren Handys, dass die Straßen um uns herum nicht mehr nur als lawinengefährdet, sondern gar als unbefahrbar eingestuft waren. Wenn wir nicht weitergefahren wären, hätte uns vielleicht eine Lawine ins Meer gerissen. In diesem Moment bekamen wir ziemlich Schiss.

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Die Ruhe vor dem Sturm

Kam es bei solchen Belastungen innerhalb der Gruppe zu Spannungen?
Na klar. Wenn sechs Typen in einer Hütte festsitzen und nur proteinreiches Zeug essen, dann kippt die Stimmung schnell. Es wurde teilweise ein echt rauer Ton angeschlagen. Einiges davon mussten wir rausschneiden.

Letztendlich schweißen einen solche Erlebnisse aber auch zusammen, oder?
Definitiv. Ich meine, ich streite mich zwar mit diesen Menschen, aber ich liebe sie auch umso mehr, weil ich weiß, dass wir so etwas durchstehen. Solche Freundschaften sind tatsächlich stärker.

“Nach heftigen Stürmen folgen manchmal die perfekten Wellen.”

Habt ihr jemals gedacht, das Projekt würde scheitern?
Absolut. Nach dem Sturm packten Ben und ich schon alles zusammen, weil wir bereit waren, nach Hause zu fliegen. Wir wissen, wie sich Scheitern anfühlt, und dachten in dem Moment wirklich, dass unser Trip im Eimer sei.

Die Surfer entschieden sich jedoch dazu, noch zu bleiben. Sie wollten die Sache durchziehen, weil sie wussten, dass nach solchen heftigen Stürmen manchmal die perfekten Wellen folgen. Und genau so kam es auch.

Die Chance auf solche Aufnahmen bekommt man wohl nur einmal. Wie groß war der Druck, alles perfekt hinzubekommen?
Das ist witzig, weil alles eigentlich ganz anders geplant war. Anfangs wollten wir noch die Geschichte unseres isländischen Bootskapitäns erzählen und die Gegend erkunden. Als das alles nicht klappte und unser Handlungsstrang eine andere Richtung einschlug, wurde uns eine Sache klar: Wenn wir die Dinge einfach ihren Lauf nehmen lassen, uns ganz der Natur hingeben und das Ungewisse akzeptieren, dann fügt sich alles.

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Der Moment, wenn sich alles gelohnt hat

Surfen unter den Nordlichtern: Wie fühlt es sich an, etwas zu schaffen, das noch kein Mensch geschafft hat?
Natürlich ist das ein tolles Gefühl und eine Ehre, aber gleichzeitig spüre ich jetzt auch die Verantwortung, meine Botschaft in die Welt zu tragen. Ich will zeigen, dass jeder so etwas erleben kann.

Kann man ein solches Erlebnis überhaupt noch toppen?
So will ich nicht denken. Die letzte Erfahrung, die man macht, ist normalerweise auch die vertrauteste, weil man sich emotional gesehen noch am meisten darin befindet. Jedes mal, wenn ich Under an Arctic Sky anschaue, erlebe ich den Trip erneut. Ich will, dass der Film noch lange nach mir Bestand hat, und hoffe, dass ich es irgendwann noch mal schaffe, die gleichen Emotionen zu übertragen. Das ist mir wichtiger, als die Erfahrung zu übertreffen oder noch bessere Aufnahmen zu machen.

Hat dich die Reise verändert?
Ich denke schon. Ich bin jetzt offener für Erfahrungen, bei denen ich nicht alles vorausgeplant habe. Für unsere Generation sind Reisen oftmals nur dann erfolgreich, wenn man alles erreicht, was man sich vorher vorgenommen hat – so nach dem Motto “Wir waren bei diesem Wasserfall und haben diesen und jeden Ort gesehen”. Wenn wir das nicht schaffen, dann gilt das Ganze fast schon als Reinfall. Ich versuche, offener zu sein und mehr Platz für das Ungewisse zu lassen – denn am Ungewissen wachsen wir am meisten.

Mehr Information zu Under an Arctic Sky findest du hier.

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