Auf den Abschluss folgt in der Regel die erste mittelschwere Existenzkrise. Mateus Porto aber scheint ziemlich genau zu wissen, was er will. Der Absolvent der renommierten Parsons School of Design hat sich bereits als Fotograf etabliert, dessen Werk über Reife und Anspruch verfügt. Seine Porträts sind komplex, direkt und unglaublich choreografiert. Im Ton rangieren sie von düster und desorientiert, bis zu aufmunternd und ikonografisch. Als queerer Fotograf, der in der New Yorker Drag-Szene angefangen hat, verleiht er seinen Subjekten durch seine Arbeiten eine Stimme, die gleichzeitig seine künstlerische Vision verkörpert. Wir haben mit dem jungen Künstler über seine Familie, seine Arbeit und darüber gesprochen, wie er mit seinem neuen Erwachsenendasein klarkommt.
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VICE: Wie bist du bei der Fotografie gelandet?
Mateus Porto: Ich bin in einer konservativen Familie in Texas aufgewachsen. Meine Mutter ist in der Army. Wir sind entsprechend oft umgezogen – San Antonio, Columbus, Houston. Meine Familie hat mit Kunst absolut nichts am Hut. Ich glaube nicht, dass die überhaupt wissen, was ich tue.
Meine Mutter hat mir eine Kamera geschenkt, als ich in der Unterstufe war, und seitdem mache ich Fotos. Die Kamera hatte ich mir gewünscht, weil MySpace richtig groß war und alle Fotos gemacht und geteilt haben. Die Fotos aus dem ersten Jahr sind aber alle nichts geworden, weil ich nicht wusste, wie man den Film richtig einlegt. Ich wünschte, ich hätte diese Bilder jetzt.
Von Texas nach New York ist ein großer Sprung. Was hat dich in die Stadt geführt?
Meine Mutter ist nach Maryland gezogen, eine Stadt im Bundesstaat New York. Sie wollte unbedingt, dass ich auf die Uni gehe und gleichzeitig in ihrer Nähe bleibe. Ich habe am Parsons studiert und diesen Frühling meinen Abschluss gemacht. Jetzt gerade befinde ich mich in dieser Übergangsphase und weiß nicht wirklich, was als Nächstes kommt.
Was hat der Wechsel mit dir gemacht?
Durch New York bin ich definitiv gewachsen, als Künstler und als Person. Ich denke, diese beiden Dinge gehen Hand in Hand. Alle anderen Aspekte verbessern sich, wenn du dich zuerst als Person entwickelst. Meine Arbeit ist wie eine Zeitschiene. Ständig mache ich Fotos und schaffe Neues. Die Menschen, die ich fotografiere – die ganze Gemeinschaft deren Teil ich bin –, sind ziemlich radikal. Ich bin also ständig von einem Haufen verschiedener Ideen umgeben.
Was meinst du mit “radikal”?
Ich identifiziere mich als queer. Bevor ich nach New York gezogen bin, wusste ich kaum etwas über die queere Geschichte abseits der Mainstream-Medien. Ich habe dann diese Drags kennengelernt, die die Mall-Goth-Party veranstaltet haben. Sie haben mich gefragt, ob ich ihre Party fotografieren kann, und von da an habe ich mit ihnen viel Zeit verbracht und viele andere großartige queere Künstler kennengelernt. Diese Community war ein sicherer Rückzugsort und gleichzeitig war alles erlaubt. Die Leute haben einfach versucht, sich auszudrücken. Während meiner Jugend in Texas hatte ich Probleme damit, mich auszudrücken und herauszufinden, wer ich eigentlich bin. Die Menschen in dieser Gemeinschaft haben mir viele Ratschläge gegeben und mir geholfen, zu dem zu werden, was ich heute bin.
Welche Message möchtest du mit deinen Werken vermitteln?
Die Motivation hinter meiner Arbeit ist, gesehen, gehört und nicht übergangen zu werden. Ich würde meine Bilder nicht als aggressiv bezeichnen, aber sie sind manchmal ziemlich … direkt. In einem einzelnen Porträt ist sehr viel zu sehen, was einen manchmal überfordern kann. Die Message, die ich in meinem Werk zu vermitteln versuche, ist das, was diese Menschen in meinen Augen so schön und anziehend macht. Ich liebe die vielen Verschachtelungen und Details der Texturen und wie sie mit- und gegeneinander spielen.
Werden deine Arbeiten oft missverstanden?
Manche Menschen sagen, dass meine Bilder angsteinflößend seien. Meine Mutter meinte einmal, sie seien “düster” und wären nicht “ich”. Ich persönlich sehe sie nicht als düster, grotesk oder angsteinflößend. Ich versuche, sie zu gleichen Teilen sanft und düster zu machen. Sie sind weder das eine noch das andere.
Wie läuft dein Arbeitsprozess ab?
Über Instagram findet man sehr einfach so viele Menschen. Ich suche mir Personen, die zu meinen Ideen passen. Das ist ein wichtiger Teil des Prozesses: Menschen treffen, Ideen austauschen und herausfinden, wie sie es finden würden, ihr Gesicht mit Fliegen zu bedecken oder eine Krone mit Nägeln zu tragen. Ich war immer schon an einer düsteren Ästhetik interessiert. Ich versuche, das in meine Arbeiten einzubauen und gleichzeitig mein Subjekt so darzustellen, dass es ihm gefällt. Meine Bilder sind auf jeden Fall Kollaborationen mit dem Subjekt.
Welche von den Arbeiten, die du hier zeigst, gefällt dir am besten?
Dieses Trio von meiner Freundin Sussi ist eine meiner älteren Arbeiten, aber sie gefällt mir wegen der schönen Erinnerungen. Zu dieser Zeit war ich sehr glücklich. Ich liebe vor allem das Weinende. Es ist eins meiner Lieblingsbilder. Ich glaube, es beschreibt auch mein aktuelles Leben sehr gut.
Warum?
Sie ist zu der Zeit durch viele Höhen und Tiefen gegangen. Mir ging es in letzter Zeit genau so, als ich darüber nachgedacht habe, warum ich überhaupt Kunst mache, und was in dieser verrückten Welt überhaupt noch wichtig ist. Die Beschäftigung mit diesen Gedanken ist meiner Meinung aber eine schöne Sache, sie erfordert viel Zeit und Selbstreflektion in Anspruch. Die Fotografie hilft mir definitiv, Dinge für mich zu klären.
Wie häufig machst du solche Porträts im Schnitt?
Das kommt in Wellen. Ich produziere vielleicht sechs Monate lang Arbeiten und dann gerate ich in diese kleinen Phasen, in denen mir nichts mehr gefällt, was ich mache. Ich muss dann so viel Abstand wie möglich von den Arbeiten bekommen und einen Neustart machen. Das dauert zwischen anderthalb und zwei Monate.
Was machst du während dieser Phasen, anstatt zu arbeiten?
Ich drehe durch. Während der letzten Phase habe ich sehr lange Spaziergänge gemacht – vielleicht 30 Kilometer am Tag. Ich hatte das Gefühl, den Kontakt zur Gesellschaft verloren zu haben – als wäre ich in einer Blase gefangen. Ich bin viel rumgelaufen und habe mir angeschaut, wie andere Menschen ihren Alltag verbringen. Ich versuche ständig, die Energie der Stadt auf mich einwirken zu lassen.
Wie reflektieren dich diese Bilder als Person?
Darüber bin ich mir noch unsicher. Porträtfotografie ist für mich etwas problematisch, weil ich einerseits meine Vision teilen will, mir andererseits aber komisch dabei vorkomme, dafür andere Menschen zu instrumentalisieren. Das macht mir das Ganze etwas schwer, weil ich mich in meinen eigenen Fotos durchaus wiederentdecke. Deswegen konzentriere ich mich jetzt mehr auf den technischen Aspekt. Mich inspirieren Maler und wie nichts in einem Gemälde Zufall ist. Das habe ich im Hinterkopf, wenn ich fotografiere und die Bilder bearbeite.
Viele Menschen wollen Teil meines Werks sein, aber ich fotografiere nicht jeden. Ich durchlaufe viele Prozesse, wenn ich nach einem Modell suche. Aber es ist auch spannend, weil ich nach New York gekommen bin, um hier etwas zu suchen: einem Leben mit Menschen, die anders sind. Ich stelle diese tollen und eindrucksvollen Personen als meine Helden dar, weil ich selbst immer sehr schüchtern gewesen bin.
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