Vor anderthalb Jahren begann ich, eine Frau zu daten. Da war ich 33. Bis dahin hatte ich immer nur was mit Typen gehabt. Mit einem war ich sogar verheiratet. In all den Jahren kam mir nicht in den Sinn, dass ich an etwas anderem interessiert sein könnte. Dann tauchte sie in meinem Leben auf.Ein Jahr nach meiner Scheidung arbeitete ich an einem großen Projekt mit einer Kollegin. Irgendwann fiel mir auf, dass ich mich immer sehr auf unsere gemeinsamen Meetings freute, es kaum erwarten konnte, mit ihr Zeit zu verbringen. Nachdem das ein paar Wochen so gegangen war und ich einmal ungewohnt nervös wurde, als ich meine Kollegin fragte, ob wir nicht mal gemeinsam zum Mittagessen wollen, dämmerte es mir: Oh, ich bin verknallt.
VICE-Video: Ein Wochenende bei der größten Lesbenparty der Welt

Ich hatte keine Ahnung, was ich mit dieser Erkenntnis anstellen sollte. Wenn du als erwachsener Mensch über, sagen wir, 20 plötzlich bemerkst, dass du bisexuelle oder queere Gefühle hast, willst du dir schnell ein passendes Label suchen. So haben wir das doch gelernt. Du bist entweder hetero, bi, lesbisch, queer etc. und knutscht, vögelst und datest entsprechend. Aber wie kann ich mich als bisexuell oder queer bezeichnen, wenn ich mein ganzes Leben heterosexuell gelebt habe?Außerdem wollte ich auf keinen Fall jemand anderes für irgendwelche Selbstfindungsexperimente missbrauchen. Wenn wir rummachen und ich merke, dass das doch nichts für mich ist, würde ich mich furchtbar fühlen. Und wenn ich es mag? Dann müsste ich beichten, dass ich noch nie Sex mit einer Frau hatte und keine Ahnung habe, was ich da tue.Ich erzählte einer lesbischen Freundin von meinem Dilemma und sie ermutigte mich, der Sache nachzugehen. Ich solle mir nicht zu viele Gedanken um irgendwelche Labels machen und überhaupt: Für sie klang es ganz so, als würde mein Crush auch auf mich stehen.Es gab aber auch einen Haufen Fragen, die mir vor meiner Freundin viel zu peinlich waren. Deswegen habe ich mich jetzt, 18 Monate später – genau so lange wie ich jetzt übrigens mit meiner Ex-Kollegin/Freundin zusammen bin – dazu entschieden, das zu kreieren, was ich mir damals gewünscht hätte: einen Guide für alle Frauen, die ihrer verhältnismäßig spät entdeckten Queerness nachgehen wollen.
Anzeige
Das habe ich nicht kommen sehen! War ich immer schon lesbisch und habe es nicht gemerkt oder ist es normal, dass man auch später im Leben queere Gefühle entwickelt?
Anzeige
"Vielleicht sind dir aber auch gar keine Hinweise entgangen und deine Sexualität hat sich einfach weiterentwickelt", sagt McDaniel. "Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Sexualität fluide sein kann." Zu alt für ein Coming-out oder eine Veränderung deiner sexuellen Präferenzen bist du jedenfalls nie.Der Prozess, sich seiner Sexualität neu bewusst zu werden und diese auch zu benennen, sieht bei allen anders aus. Ich kann nicht sagen, wie es bei dir sein wird, aber ich weiß, wie es wahrscheinlich nicht aussieht. Es wird wahrscheinlich keine alte Bekannte sein. Es wird dich wahrscheinlich auch nicht treffen wie der Blitz. Bei mir war es, als würde jemand sehr langsam einen Dimmer hochdrehen.Wenn dich der Gedanke, möglicherweise queer zu sein, extrem stresst, solltest du dich fragen, was genau dich so sehr beunruhigt. "Ist da vielleicht etwas internalisierte Homofeindlichkeit in dir?", sagt McDaniel. "Hast du Angst vor der Veränderung? Befürchtest du, dass du dich dann anders anziehen musst?""Wenn du eine Person des gleichen Geschlechts sexy findest, heißt das nicht automatisch, dass du mit ihr Sex haben willst", sagt Allison Moon, Autorin von Girl Sex 101 und des bald erscheinenden Getting It. "Sex umfasst viel mehr als das, was einen optisch anspricht. So gibt es zahlreiche Gründe, warum jemand auf lesbische Pornos steht. Dass die Person eine Frau vögeln will, ist nur einer davon."Moon hat einen praktischen Ratschlag, wie du sexuelle Anziehung von bloßer Bewunderung unterscheiden kannst: Stell es dir vor. "Stell dir vor, wie du ihren Körper berührst, ihre Genitalien, sie zu schmecken. Stell dir ihren Geruch vor. Stell dir vor, sie würde auf dir oder unter dir liegen." So merkst du ganz gut, ob du eine Frau toll findest, weil ihre Haare so gut liegen oder weil du ihr gerne deine Zunge in den Mund schieben möchtest.
OK, ich finde wirklich viele Frauen heiß, aber macht das nicht jede? Woher weiß ich, dass das echte sexuelle Anziehung und nicht einfach Bewunderung ist?
Anzeige
Ich weiß, dass ich etwas für sie empfinde. Am liebsten würde ich ihr meine Zunge in den Mund stecken. Ich sollte der Sache wohl nachgehen. Aber wie?
Anzeige
Such dir queere Menschen, die dir ähnlich sind, die einen ähnlichen ethnischen oder religiösen Hintergrund wie du haben. Lies Erfahrungsberichte von Frauen, die sich erst nach einer langen reinen Heterophase in ihrem Leben als bi oder queer geoutet haben. Von uns gibt es viele!Es gibt zahlreiche Optionen. Natürlich sind aufgrund der aktuellen Pandemie gerade nicht alle davon umsetzbar, aber das wird nicht für immer so bleiben. Hoffentlich! Wenn du Dating-Apps wie OkCupid und Tinder nutzt, solltest du natürlich auch Frauen in deine Suche aufnehmen. Es gibt übrigens auch explizit queere Dating-Apps wie Zoe, Lex, HER oder Wapa, allerdings haben sich einige davon hier noch nicht so durchgesetzt. Besuch queere und lesbische Bars, gehe auf Veranstaltungen mit queeren Künstlerinnen, Autorinnen, zu queeren Lesungen oder Filmvorführungen. Feiere auf queeren und lesbischen sexpositiven Partys.Und so ganz generell: Bagger Frauen an! Natürlich, ohne dabei creepy zu sein. Es ist total OK, Menschen anzusprechen, nett nach ihrer Nummer oder einer Verabredung zu fragen. Das gilt für queere Orte wie für vornehmlich heterosexuelle. Wie gesagt, solange du dabei nicht creepy bist.Das hängt ein bisschen davon ab, wie du generell mit Dating/Sex umgehst. Wenn du als Frau in Dating-Apps Frauen suchst, wird dich wahrscheinlich niemand als hetero abstempeln. Interessierst du dich allerdings für eine bestimmte Person, wie bei mir der Fall, oder lernst du jemanden bei einer Party kennen, dann musst du deine Flirtabsichten vielleicht etwas deutlicher machen. Denk dir etwas Nettes aus. Direkter Augenkontakt ist eigentlich nie verkehrt.Falls dir sehr wichtig ist, dass dich Leute generell nicht für heterosexuell halten, kannst du dich an den zahlreichen queeren Kultur-Referenzen bedienen. Kleb dir einen Regenbogensticker auf den Laptop, poste Fotos von den queeren Büchern, die du gerade liest, bei Instagram und so weiter. Aber insgesamt solltest du nicht so viel Gedanken um Label machen. Es klingt blöd, aber sei vor allem du selbst.
OK, ich glaube, ich will das auch mal in der Praxis probieren. Wie fange ich an?
Wie vermeide ich, dass andere mich für heterosexuell halten?
Anzeige
"Manche Frauen glauben, dass du eine Art 'Offizielles Queer-Zertifikat' brauchst, um eine Frau daten oder überhaupt Interesse an ihr zeigen zu dürfen", sagte meine Freundin vor Kurzem zu mir. "Die Tatsache, dass du in Dating-Apps auch nach Frauen suchst, auf Dates mit Frauen gehst oder in einer queeren Bar nach Frauen schaust, ist schon Qualifikation genug."Auch Sexualtherapeutin McDaniel sieht die Sache mit den Labels kritisch: "Es gibt diese unfaire Erwartung an nicht-heterosexuelle Menschen, sich in ihrer Erscheinung explizit von heterosexuellen abzugrenzen, um 'queer genug' zu sein. Das ist Schwachsinn.Werde dir vor allem erst mal klar über das, was du willst. Jetzt mal ganz abgesehen von der Geschlechterfrage: Wonach suchst du eigentlich? Eine Freundin mit gewissen Vorzügen? Eine Seelenpartnerin? Wenn du diese Frage für dich geklärt hast, wird das nicht nur deine Suche immens erleichtern, sondern verringert obendrein die Gefahr, anderer Leute Zeit zu verschwenden.Sei vor allem ehrlich. Du musst jetzt nicht in deine Tinder-Bio schreiben "PS: ICH HABE DAS NOCH NIE GEMACHT", aber ab einem gewissen Punkt – und vielleicht nicht erst, wenn ihr beide nackig im Bett liegt – solltest du deinem Gegenüber sagen, dass das alles für dich Neuland ist. So kann sie selbst entscheiden, ob sie sich auf die Sache einlassen will.
Ich will niemandem die Zeit stehlen oder das Gefühl geben, sie sei nur ein Versuchskaninchen. Ich befürchte aber auch, dass niemand eine Frau daten will, die unsicher oder unerfahren ist. Was soll ich tun?
Anzeige
"Sei ehrlich. Sei direkt. Behandle Menschen wie Menschen. Manche Frauen werden Lust darauf haben, deine Erste zu sein, manche nicht", sagt Moon. "Zu verheimlichen, wer du bist oder was du vorhast, um jemanden flachzulegen, ist manipulativ und generell widerlich. Wenn du dir erst noch über ein paar Dinge klar werden musst, sag das einfach! Wenn du richtig auf jemanden stehst, aber Angst hast, dass sie dich wegen deiner Unerfahrenheit abblitzen lässt, solltest du das Risiko trotzdem unbedingt eingehen. Du verdienst es, deine ersten Male mit Menschen zu haben, die so auf dich stehen, wie du bist. Du wirst überrascht sein, wer erfahren ist und wer nicht."Und übrigens: Dating ist immer ein Experiment. Aus den allermeisten Dates, One-Night-Stands oder Abstürzen wird nichts Ernstes. Trotzdem versteht darunter niemand Zeitverschwendung. Meistens jedenfalls.Ja! Erwarte nicht, dass dir deine erste gleichgeschlechtliche Kissenschlacht eine abschließende Antwort auf die Frage "Was geht eigentlich gerade mit meiner Sexualität?" geben wird. Ich bin zwar keine Physikerin, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Experimente nicht nur einmal unter einer bestimmten Voraussetzung probiert und nach einem Fehlschlag für immer aufgegeben werden. Das heißt auf keinen Fall, dass du mit etwas weitermachen solltest, wenn du dabei entweder nichts fühlst oder dir sogar unwohl ist. Gib nur nicht sofort auf.Du hast dir wahrscheinlich auch nicht als Teenagerin nach deinem ersten nassen Kuss oder unbeholfenen Fingerspielen mit einem Typen gedacht: "Das Wahre war das irgendwie nicht. Ich werde das mit den Jungs für immer sein lassen!"
Cool, noch mehr Tipps?
Anzeige
Apropos Fummeln: Du denkst bei "Experimenten" vielleicht vor allem an Sex. Aber dazu kommen wir erst gleich. Hier soll es viel mehr darum gehen, ob du tatsächlich eine Beziehung mit einer Frau willst."Es ist gängig, dass man sich erst sexuell ausprobiert und dann emotional", sagt Heather Corinna, Gründerin und Leiterin der Aufklärungswebsite Scarleteen. "Du solltest dir aber besser erst anschauen, wie du dich bei einem Date mit einer anderen Frau auf der Straße fühlst, in einem Restaurant oder vor deinen Freunden."Versuch nicht, die Situation mit deinen verflossenen Typen zu vergleichen. Erstens sind sexuelle Gefühle gegenüber einer Person immer sehr individuell und zweitens lässt sich eine Sache, in der du noch gar keine Erfahrung hast, schwierig mit etwas vergleichen, das du jahrelang und mit verschiedensten Menschen getrieben hast.
Ich weiß nicht, wie man Sex mit einer Frau hat, und habe Angst, mich doof anzustellen.
Anzeige
Fragen wie:
- "Worauf hast du Lust?"
- "Worauf stehst du?"
- "Ist das OK so?"
- "Fühlt sich das gut an?"
- "Magst du [bestimmte Sache]?"
- "Härter oder lieber sanfter?" oder "Schneller oder langsamer?"
- "Was macht dich an?"
- Und für danach: "Wie hat sich [bestimmte Sache] angefühlt?"
Anzeige
Ich glaube, ich habe einfach Angst, weil ich seit Jahren weiß, wie man Männer zum Orgasmus bringt, und nicht weiß, was man mit Frauen anstellen soll.
Ich habe Angst, dass das am Ende doch nichts für mich ist.
Anzeige
Wenn du am Ende zu dem Schluss kommst, dass Sex mit Frauen einfach nichts für dich ist, ist das auch kein Problem. Du musst deiner Partnerin deswegen auch keinen langen Aufsatz schreiben. Sag ihr einfach, dass du auf sie stehst. Das ist alles, was sie wissen muss.