Menschen

So wienerisch reagiert Wien auf den Terror

Österreichs Hauptstadt bleibt nach dem Terroranschlag stabil – und latent grantig. 
Foto von Wiener Innenstadt
Foto: Imago Images | Imagebroker

Vier Todesopfer, mindestens 22 Verletzte. Eigentlich war der 2. November der letzte Tag vor dem Lockdown in Österreich – das und die warmen Temperaturen lockten viele Menschen noch einmal nach draußen. Wie lebensgefährlich die Wiener Innenstadt abends sein würde, wusste da noch niemand. 

Der Täter wurde getötet; er war für die Polizei kein Unbekannter; der IS reklamiert den Anschlag für sich. Die Updates prasseln über die Köpfe der Wienerinnen, dabei steckt ihnen der Schock noch in den Knochen. Der Terroranschlag lässt die Stadt auch nach Tagen beklommen zurück. In der Nacht des Anschlags fühlten sich die Polizeisirenen und das Blaulicht anders an; eindringlicher. Social Media lief über mit Beiträgen zu Wien:

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"Mein Herz blutet"

"Ich denke an alle vom Krieg Traumatisierten, die diese Szenen triggern"

"Mir fehlen die Worte"

Alles nur sehr schwer auszuhalten. Neben bedrückten Beiträgen auf Instagram und gefährlichen Fake News verbreiten sich auch Nachrichten von kleinen Momenten rasant, welche die große Tragödie zumindest für einen Moment erträglicher machen. 

Die Wiener Innenstadt war nach dem Terroranschlag weitestgehend abgesperrt. Also ließen Anrainerinnen fremde Menschen bei sich übernachten. Auf Social Media startete die Aktion #SchwedenplatzTür, um Personen Schutz zu bieten. Autobesitzer holten jene ab, die nicht nach Hause konnten, und fuhren sie heim. Yogastudios wurden zu Notunterkünften. Taxifahrer fuhren Menschen, die nicht weiterkamen, gratis nach Hause. 

Institutionen wie das Wiener Konzerthaus oder die Staatsoper bewahrten Ruhe und deeskalierten die Situation so gut wie möglich: Rund 1000 Besucherinnen durften das Wiener Konzerthaus nicht verlassen. Der Percussionist Martin Grubinger informierte die Anwesenden über die Lage, versorgte sie mit Getränken und spielte Zugaben. Gegen Mitternacht konnte das Konzerthaus evakuiert werden. Auch in der Staatsoper spielten Musiker der Wiener Philharmoniker für festsitzende Besucherinnen.

Das Hotel Sacher lag unweit des Tatorts. Mitarbeitende und Restaurantbesucher durften kostenlos übernachten. 40 Zimmer wurden spontan zur Verfügung gestellt.

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Selbst Kanzler Sebastian Kurz, der für seinen harten  Kurs gegenüber Migranten bekannt ist, zeigte sich in einer ersten Stellungnahme solidarisch. Das sei kein Kampf zwischen Christen und Muslimen, Österreichern und Migranten, sondern ein Kampf zwischen den vielen Menschen, die an den Frieden glauben und jenen wenigen, die sich den Krieg wünschen.  

Damit erinnert er fast an den Sebastian Kurz von 2011, damals Integrationsstaatssekretär, der sich von dem migrantischen Magazin BIBER in einem Dönerladen fotografieren ließ. Das war auch jener Kurz, der Interviews in Shisha-Bars gab. Lang ist es her.

Die politischen Konsequenzen des Attentats werden sich erst noch zeigen. In sozialen Medien beschreiben Muslime ihre Angst vor den nächsten Wochen. Sichtbare Musliminnen fürchten sich, vor die Tür zu gehen. Wiens Straßen waren schon vor dem Anschlag nicht frei von antimuslimischen Rassismus.

Angst ist omnipräsent in einer Stadt, die Opfer eines Terroranschlags wurde. Manchen Wienern hilft bei der Bewältigung dieser Angst eine Videosequenz, die durchs Internet kursiert. In dem Video ist zu hören, wie ein Mann dem Attentäter vom Balkon aus zuruft: "Schleich di, du Oaschloch."

Es gibt wohl keine Reaktion, die Wienerischer hätte sein können – keine Überraschung also, dass ausgerechnet dieser Sager auf Social Media als Hashtag trendet. #schleichdiduoaschloch zeigt sehr eindrücklich wie stolz Wiener auf ihren Grant sind.

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In Österreich herrscht diese latent aggressive Einstellung zum Leben, die ihren höchsten Ausdruck in Wiener Kaffeehäusern findet. Nirgends sonst auf der Welt rühmt man sich so sehr seines grantigen, hochnäsigen Servicepersonals; Nirgends sonst romantisiert man unhöfliche, laute und zynische alte Männer so sehr wie hier. Wobei, andere würden sagen: Grant ist offener Widerstand für alles, was oasch ist.

schleichdiduoaschloch als Symbol der Solidarität kann und soll man hinterfragen. Außer Frage steht, dass diese Reaktion Teil der Wiener Mentalität ist; ein Versuch, Wiener Alltag in absoluten Ausnahmezustand zu bringen.

Der Hashtag geht in jedem Fall sensibler mit dem Verbreiten von Informationen des Täters um als so manch ein österreichischer Journalist: Der Terrorist verliert medial seinen Namen und wird zum Arschloch. Das ist vielleicht die österreichische Version der neuseeländischen Antwort auf Christchurch: We will give him nothing, not even his name.

Umso wichtiger ist es, die Namen jener hervorzuheben, die in der Nacht des Terroranschlags Zivilcourage bewiesen, etwa Osama Joda. Der 23-Jährige arbeitet am Schwedenplatz und erlebte mit, wie der Attentäter auf Personen schoss. Joda riskierte sein eigenes Leben, um einen angeschossenen Polizisten hinter eine Betonbank zu ziehen. Er landet damit nicht zum ersten Mal in den Medien: 2019 wollte seine Familie ein Haus im niederösterreichischen Ort Weikendorf kaufen. Der dortige Bürgermeister, wohlgemerkt ein ÖVP-Politiker, verwehrte ihnen den Hauskauf, weil sie Muslime sind. 

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Keine 48 Stunden nach dem Attentat ist "Schleich di, du Oaschloch" als Merch zu kaufen – die Einnahmen sollen abzüglich der Produktionskosten für einen guten Zweck gespendet werden. 25 Euro und schon besitzen wir ein Souvenir an den Terroranschlag – oder wie? Welchen Zweck soll dieses Shirt haben – außer, dass es Betroffene und Hinterbliebene im schlimmsten Fall triggert, wenn sie Leute damit herumlaufen sehen?

Das fühlt sich so an, so als wolle man ein Terroranschlag als erstbeste Gelegenheit nützen, um einfach irgendetwas zu machen. Natürlich ist das besser als in Verzweiflung zu versinken. Es ist vielleicht auch ein sehr wienerischer Blick auf ein T-Shirt. Aber gut gemeint ist eben nicht immer gut. 

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