Sex

Ich bin allergisch auf Sperma, so habe ich Sex

"Es kann immer sein, dass ich beim nächsten Sex doch wieder einen allergischen Anfall habe und sterbe."
Eine Frau beißt einen Mann zärtlich in die Lippe, darüber und darunter entzündete Haut, symbolisch für ein Paar mit Spermaallergie
Collage von Cathryn Virginia | Fotos von Track5, PansLaos, und Fotograzia via Getty Images

Stellt euch vor, ihr habt Sex und Sperma landet auf eurem Körper. Und der reagiert darauf nicht sehr erfreut: Eure Haut fängt an zu brennen und zu jucken. Die Stelle schwillt etwas an. Und irgendwann kribbelt es überall und euch wird übel. Diese Symptome könnten auf eine sexuell übertragbare Krankheit oder einen schlechten Drogentrip hindeuten. Es könnte aber auch etwas ganz anderes sein: eine Spermaallergie. 

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Die Spermaallergie, medizinisch auch Seminalplasma-Allergie genannt, scheint vor allem Frauen zu treffen. Seit ein niederländischer Arzt die Hypersensibilität im Jahr 1958 erstmals beschrieben hat, gab es keinen nachgewiesenen Fall bei einem Mann – obwohl einige Forschende argumentieren, dass das theoretisch möglich wäre. 

Eine Spermaallergie kann ein echtes Problem werden: Die Symptome reichen von Brennen und Jucken bis hin zu Schwindelanfällen oder sogar einem allergischen Schock. Manche Betroffene entwickeln eine so große Angst vor den Folgen, dass sie Sex vermeiden oder keinen Spaß mehr daran haben. 

Die Zahl der registrierten Fälle liegt mit rund 100 Spermaallergien weltweit relativ niedrig, doch wegen der sehr wechselhaften Symptome könnte es eine hohe Dunkelziffer geben. Bei manchen Betroffenen tritt die allergische Reaktion nur bei einem Teil der Sexualpartner auf. Bei anderen scheint die Allergie nicht dauerhaft zu sein. Experten und Expertinnen zufolge könnte das an hormonellen Veränderungen liegen, doch sicher ist nichts. Nur: Neuere Analysen mutmaßen, dass allein in den USA mehr als 40.000 Menschen auf Sperma allergisch sind, ohne es zu wissen. 

Doch wie ist das Leben mit einer Spermaallergie? Wie haben Betroffene Sex und was passiert, wenn sie schwanger werden wollen? Reagiert der Körper auch auf Lusttropfen? Und macht es einen Unterschied, ob das Sperma in der Vagina, im Mund, auf der Haut oder im Auge landet? 

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Um das herauszufinden, haben wir mit Lucy gesprochen. Ärzte haben bei ihr vor mehr als zehn Jahren eine Spermaallergie diagnostiziert. Heute versuchen sie und ihr Lebenspartner, ein Baby zu bekommen. Lucy heißt eigentlich anders, doch um ihre Privatsphäre zu schützen, trägt sie in diesem Interview einen anderen Namen. 


VICE: Woran hast du gemerkt, dass du allergisch auf Sperma reagierst
Lucy:
Ich war damals Anfang 20 und hatte Sex mit einem Typen. Er kam in mir, weil das Kondom gerissen ist. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich direkt mit Sperma in Kontakt kam. Es hat höllisch gebrannt. Ich weiß nicht mehr, ob meine Vulva angeschwollen ist, aber alles war rot. Ich wollte einfach nur, dass das Sperma meinen Körper wieder verlässt. Auch, weil das Kondom ja gar nicht reißen sollte. 

Wie bist du darauf gekommen, dass es eine Allergie sein könnte?
Ich habe einen medizinische Ausbildung und war gut über sexuell übertragbare Krankheiten informiert. Es kam mir deswegen auch nie in den Kopf, dass es eine Infektion sein könnte. Stattdessen dachte ich: "Wow? Es ist, als reagiere mein Körper allergisch auf Sperma." Danach hat es noch lange gedauert, bis ich Klarheit hatte. 

Warum?
Ich wollte zu der Zeit hauptsächlich mit Frauen schlafen, deswegen war das Problem nicht sehr dringend. Ich wusste, dass ich in naher Zukunft nicht mehr mit Sperma in Kontakt kommen würde. Doch ein Jahr später begann ich, meinen jetzigen Ehemann zu daten. Und irgendwann wollten wir Sex ohne Kondom haben. 

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Ich habe ihm gesagt, dass ich nervös sei, weil ich beim letzten Mal diese Reaktion auf das Sperma hatte. Ich hatte Angst, dass ich diese unangenehme Erfahrung nochmal machen müsste – oder dass sie sogar schlimmer werde. Wir haben uns dann für die Rauszieh-Methode entschieden. 

“Ich hatte so viel Angst, dass ich darüber nachdachte, nur noch Frauen zu daten.”

Wenn er seinen Penis vor dem Orgasmus rauszieht, landen aber immer noch ein paar Lusttropfen in mir. Sex hat also weiterhin gebrannt, wenn auch nicht so schlimm. Wir haben uns Sorgen gemacht, was passieren würde, wenn Sperma auf meiner Haut landet, aber dazu kam es zum Glück nie. Dennoch haben wir aus diesem Grund bis heute kaum Oralsex. Ich hatte einfach Angst, dass Sex mit Männern mich umbringen könnte. 

Hat das deine Sexualität beeinflusst?
Ich hatte so viel Angst, dass ich darüber nachdachte, nur noch Frauen zu daten. Es würde vieles einfacher machen. Aber ich war damals schon in meinen Mann verliebt. Deswegen bin ich auch dankbar für meine erste Erfahrung mit Sperma. Immerhin weiß ich, dass ich nicht auf meinen Mann allergisch bin, sondern auf Sperma allgemein.

Wann hast du die Diagnose erhalten? 
Ich habe mich nach einem Allergologen umgesehen. Wir lebten nicht in der Nähe einer Großstadt, deswegen war die Suche nicht so einfach. Es war mir unangenehm, über mein Problem zu sprechen, aber ich habe überall angerufen und gefragt: "Habt ihr Erfahrung mit Spema-Allergien? Ich glaube, ich habe eine, und ich will herausfinden, was ich dagegen tun kann." Eine Praxis sagte, ich solle mit einer Spermaprobe meines Partners vorbeikommen. Ich bin direkt nach der Arbeit hingegangen, deswegen musste ich das Sperma tagsüber im Bürokühlschrank lagern. 

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In der Praxis haben sie einen Pricktest an meinem Arm durchgeführt: einmal mit Histamin, einmal mit einer Kochsalzlösung und einmal mit dem Sperma. Nach 15 Minuten schwoll meine Haut beim Histamin und beim Sperma an. Die Krankenschwester sagte, der Test sei positiv und ich allergisch. Und ich sagte: "Scheiße." 

Die Ärztin kam zurück ins Behandlungszimmer und gab zu, dass sie in Wirklichkeit gar keine Erfahrung mit Sperma-Allergien hat. Ich hatte bei meiner Recherche ein Behandlungsprotokoll eines Arztes entdeckt, und sie war damit einverstanden, dass wir es zusammen an mir testen. Dann haben wir einen Termin für die Sensibilisierung ausgemacht. "Bringen Sie viel Sperma mit", sagte die Ärztin. 


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Wie ging dein Partner damit um?
Er wollte ohne Kondom mit mir Sex haben und sich dabei keine Sorgen machen, dass mich sein Sperma umbringen könnte. Also ging er mit mir zu dem Termin. Ich verbrachte den halben Tag bei der Allergologin und sie spritzte mir mit einer Dosierpipette alle 30 Minuten verdünntes Sperma in die Vagina. Durch die Schwerkraft lief ein Teil direkt wieder aus mir raus, ein anderer Teil ging einfach daneben. 

Als die Ärztin fertig war, sagte sie: "Vielleicht sind Sie geheilt. Vielleicht auch nicht. Wenn Sie in 24 bis 48 Stunden Sex ohne Kondom haben, wissen wir mehr." Ich sollte ihr Bescheid geben, wie es lief.

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Und?
Wir hatten danach nicht besonders viel Lust auf Sex, vor allem, weil soviel Druck auf der Behandlung lag. Kurz vor Ablauf des Zeitfensters haben wir es dann versucht. Wir waren sehr aufgeregt. Nachdem er in mir gekommen war, fühlte ich keine Reaktion. Ich war so glücklich, dass ich geweint habe. Aber innerhalb einer Stunde setzen ungewöhnliche Kopfschmerzen ein. Ich habe eine Antihistamin-Tablette genommen und meinen Allergie-Pen eingepackt. Dann sind wir in ein Restaurant gefahren, um uns für die Strapazen zu belohnen. Ab da wurde es schlimmer. Es fiel mir schwer zu atmen. Und ich sagte: "Wir müssen ins Krankenhaus." 

Unterwegs habe ich gefühlt, wie meine Luftröhre zugeschwollen ist. Mein Partner musste die Lösung aus dem Allergie-Stift in meinen Oberschenkel injizieren. Danach ging es mir sofort besser, aber wir fuhren trotzdem in die Notfallaufnahme. Nach dem Erlebnis wollten wir kein Risiko mit seinem Sperma mehr eingehen – außer wenn wir schwanger werden wollten. Dann würde ich zum führenden Experten für Desensibilisierung gehen. 

So kam es dann auch. 
Fünf Jahre später haben wir den Arzt mit dem Behandlungsprotokoll besucht – den besagten Experten. Wir haben die Methode mit dem verdünnten Sperma also nochmal versucht, obwohl ich nach der ersten Erfahrung sehr skeptisch war. Im Gegensatz zur Ärztin verwendete dieser Arzt keine Dosierpipette. Und tatsächlich: Es hat funktioniert. Danach hatte ich keine allergische Reaktion mehr auf das Sperma meines Partners. Doch das war nicht das Ende der Geschichte.

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"Zählt es auch als Desensibilisierung, wenn ich das Sperma anal oder oral einführe?" Der Arzt wusste darauf keine Antwort.

Was ist dann passiert?
Der Arzt sagte, ich müsste mich jede Woche mindestens zwei Mal dem Sperma aussetzen. So wie andere Leute einen Allergieshot brauchen, brauche ich einen Spermashot… einen Cumshot. Doch wir wussten nicht richtig, wie wir das anstellen sollten. Wir waren damals Anfang 30, seit Jahren zusammen und wegen unserer Jobs viel unterwegs. Der Arzt, ein älterer Mann, meinte: "Ach kommt, meistens freuen sich die Männer, wenn ich das verschreibe!"

Ich aber hatte andere Fragen: "Zählt es auch als Desensibilisierung, wenn ich das Sperma anal oder oral einführe?" Der Arzt wusste darauf keine Antwort. Er sagte nur, es gebe keinen Beweis dafür, dass es auch anders ginge. Weil ich selbst wusste, dass die Vaginalschleimhaut anders als andere Schleimhäute funktioniert, wollte ich kein Risiko eingehen. 

Wie fühlt es sich an, wenn man aus medizinischen Gründen viel Sex haben muss?
Wir haben den Sex manchmal so lange es ging hinausgezögert, immerhin hatte ich im Notfall noch immer einen Allergie-Stift. Aber alle fünf Tage kommt meine Vagina in Berührung mit Sperma – auch wenn es nicht immer über Sex ist. Mein Partner ejakuliert in einen Becher und dann führe ich das Sperma mit einer Dosierpipette in meine Vagina ein. 

Es macht keinen Spaß. Für meinen Partner ist es schwer, wenn er gezwungenermaßen alle fünf Tage abspritzen muss. Manchmal nimmt er Medikamente, die seine Libido beeinflussen. Überhaupt ist alles mit viel Druck verbunden, und es kann auch immer sein, dass ich beim nächsten Sex doch wieder einen allergischen Anfall habe und sterbe. Das ist doch beschissen. Wir waren deswegen auch in der Paartherapie, aber manchmal ist es noch immer schwer. Auch nach sieben Jahren. 

Hat sich deine Beziehung zu Sex verändert, nachdem er für euch so medizinisch geworden ist?
Definitiv. Aber ich habe auch andere gesundheitliche Probleme, die unser Sexleben beeinflussen. Außerdem werden wir älter. Wir haben ein kleines Kind und sind ständig müde. Viele Dinge beeinflussen unseren Sex. Es dreht sich nicht alles um die Sperma-Allergie. 

Wie geht ihr als Paar damit um?
Wir sind ein ziemlich starkes Team. Wir wollen noch ein weiteres Kind. Aber danach freue ich mich auf die Zeit, in der wir diesen Prozess beenden können. Irgendwann gibt es hoffentlich einen anderen Weg, mit einer Spermaallergie umzugehen. Vielleicht findet ihn ja jemand.

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