Erfolgreiche Menschen erzählen, was sie tun, wenn sie unsicher sind

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Selbstbewusstsein

Erfolgreiche Menschen erzählen, was sie tun, wenn sie unsicher sind

Ronja von Rönne: "Ich bin unsicher, wenn ich in Talkshows sitze. Wenn ich schreiben muss. Wenn ich sehr eifersüchtig bin."

Titelcollage: Lisa Ziegler

Jeder kennt es, jeder hasst es: das Gefühl, dass man sich gleich richtig zum Idioten machen wird. Wenn du zum ersten Mal vor der neuen Klasse ein Referat halten musst. Wenn du dich in einer WG vorstellen musst. Wenn dich jemand auf eine Party mitgenommen hat, auf der du keine Sau kennst, auf der aber alle aussehen, als seien sie eben erst alle zusammen von einer richtig geilen Reise zurückgekommen. Dich in solchen Situationen unsicher zu fühlen, ist so menschlich wie nur was.

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Trotzdem scheint es immer ein paar Menschen zu geben, denen dieses Gefühl völlig fremd ist. Leute, die scheinbar mit Leichtigkeit von Vortrag zu Meeting zu Talkshow hüpfen, immer den Raum dominieren, oder sogar die Bühne, und dabei auch noch entspannt und sympathisch wirken. Sind das einfach gefühlskalte Psychopathen? Oder haben sie ein Geheimnis?

Um das herauszufinden, haben wir mit beruflich erfolgreichen Leuten gesprochen. Junge Politiker, Künstler und Start-up-Unternehmer haben uns erzählt, was sie tun, wenn sie mal unsicher sind. Spoiler: Sie haben haben auch Angst. Sie können damit nur besser umgehen als du.

Ronja von Rönne, 25, Autorin

Foto: imago | Star-Media

VICE: Was ist Unsicherheit für dich?
Ronja von Rönne: Ein Gefühl, von dem alle sagen, es habe auch irgendeinen Nutzen, aber am Ende hält es die Klugen und Weitsichtigen auf und steht den Ignoranten nicht im Weg. Ein Gefühl wie eine angezogene Handbremse.

In welchen Momenten wirst du unsicher?
Wenn ich das Gefühl habe, die Kontrolle zu verlieren. Wenn ich im Kopf Wege so lange auslote, bis alles Hindernis ist. Wenn ich in Talkshows sitze. Wenn ich schreiben muss. Wenn ich sehr eifersüchtig bin. Wenn es unmöglich scheint, eine richtige Entscheidung zu treffen. Wenn ich verkatert bin. Am schlimmsten ist es beim Schreiben. Jeder Text, den ich schreibe, ist vornehmlich eine Entscheidung gegen die Unsicherheit. Wenn ich ihr gehorchen würde, säße ich in meinem Kinderzimmer auf dem Boden vor einem leeren Blatt, weil ich nicht wüsste, was ich malen sollte.

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Überspielst du deine Unsicherheit?
Ich verneine sie nicht, ich negiere sie nicht, aber ich weigere mich, sie zu zelebrieren. Gegen Unsicherheit gibt es nur den einen Trick: Trotz. Dinge trotzdem machen. Man lässt sich schon von so vielem Chancen verbauen, man sollte nicht selbst noch dafür verantwortlich sein. Nur wer Selbstbewusstsein oder Selbstsicherheit vortäuscht, glaubt sie sich irgendwann. Wenn ich in einer Talkshow sitze, obwohl der Gedanke, mit FDP-Politikern über Panikattacken zu debattieren, mich sehr verstört, hilft nur eins: Ich tu so, als sei es die normalste Sache der Welt. Und nach einigen Sekunden oder Minuten glaube ich mir das dann oft.

Fritz Kalkbrenner, 36, DJ und Musikproduzent

Foto: imago | Future Image

VICE: Bist du unsicher?
Fritz Kalkbrenner: Nein, ich kann mich auch nicht erinnern, wann es in letzter Zeit so war. Für mich gibts nur Probleme und Nicht-Probleme. Das hängt wohl damit zusammen, dass man mit fortschreitendem Alter immer seltener Dinge zum ersten Mal macht.

Echt, du hast nie Lampenfieber?
Das letzte mal war ich, glaube ich, in der Schule unsicher, bei irgendeiner Prüfung, aber dann ging das immer weiter zurück. Später habe ich vor 500 Leuten gespielt und gedacht: "Eieiei, das sind ja viele Leute." Dann habe ich mich dran gewöhnt und vor 2.000 Leuten wieder gedacht: "Eieiei, was ist das!" Das geht ein paar Etagen lang so und dann spielt man mal bei Rock im Park und Rock am Ring und dann geht das Lampenfieber langsam weg.

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Bist du dir auch immer sicher, dass deine Musik ankommt?
Nein, natürlich nicht. Aber das weiß ich ja schon vorher und lebe damit.

OK, Lampenfieber hast du nicht, wie sieht es mit Unsicherheit in Gesprächen aus?
Kommt drauf an. Ich versuche, über den instinktgesteuerten Prozessen in einer Verhandlung oder bei Gesprächen zu stehen. Ich gehe dann recht unvoreingenommen und nicht aggressiv in eine Situation hinein. Ich lasse das Gespräch auf einem nüchternen Level laufen. Damit driftet das nicht ins Emotionale ab. Geh mit ein bisschen mehr Gleichmut an die Dinge ran. In hundert Jahren sind wir eh alle tot.

Warst du dir im Leben auch immer sicher, dass du die richtigen Entscheidungen triffst?
Nein, gar nicht. Die Entscheidungen wurden für mich getroffen, so fühlte sich das zumindest für mich an. Ich hab die Schule vorzeitig verlassen und alle verfügbaren Nachteile daraus aus nächster Nähe mitbekommen. Das war nicht schön und ich habe ziemliche Untiefen durchschritten. Musik war immer ein Hobby und in meiner Zeit als freischaffender Journalist wurde mein Hobby immer mehr zu meinem Beruf. Dass aus Hobby Beruf wurde, haben der Zufall, die Zeit oder die kleinen Partikel im Äther entschieden.

Anna Alex, 32, Gründerin und Geschäftsführerin "Outfittery"

Foto: Guido Castagnoli

VICE: Fühlst du dich gerade sicher?
Anna Alex: Ja, ich befinde mich noch in meiner Comfort-Zone, weil ich schon einige Interviews in meinem Leben gegeben habe und gerade in meiner gewohnten Umgebung, meinem Büro, sitze.

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Wann warst du zuletzt unsicher?
Ich habe vor ein paar Tagen vor 3.000 Menschen, mit einem Männeranteil von 98 Prozent, sprechen müssen und wurde dann noch von Sandra Maischberger interviewt. Da denke ich dann: "Oh nein, ich will hier schnell wieder raus." Ich habe dann aber versucht, diesen natürlichen Fluchtinstinkt mit positiven Gedanken aufzuladen. Ich sage mir dann: "Super, das ist eine Situation, die mich weiterbringt und in der ich etwas lerne." Das hilft.

Wie wichtig ist Selbstsicherheit in deinem Job?
Absolut essentiell. Im Team, gegenüber Geschäftspartnern und Investoren—letztlich setzen sie alle Vertrauen in uns und da müssen sie uns ja abkaufen, dass wir genau wissen, was wir wollen.

Wie überspielst du Unsicherheiten?
Ich bin ein großer Fan davon, Probleme und Unsicherheiten offen zu besprechen. Ich schließe mich nicht in mein Zimmer ein, wenn ich nicht mehr weiter weiß, sondern rede mit meiner Geschäftspartnerin oder anderen im Team. Am Ende des Tages kommt es darauf an, authentisch und mit sich selbst so im Reinen zu sein und kein Problem damit zu haben, mal zu sagen: "Ich weiß es nicht."

Anne Helm, 30, Synchronsprecherin und Politikerin (Linke)

Foto: CC BY-SA @Anne Helm

VICE: Wann bist du unsicher?
Anne Helm: Weil ich ja sowohl Synchronsprecherin, Musikerin als auch Politikerin bin, kenne ich sehr verschiedene Formen von Unsicherheit. In der Politik ist es nicht so gern gesehen, wenn man sich seiner selbst nicht sicher ist. In Sitzungen entstehen schnell mal Machtspiele. Da versuchen dann Leute im Gespräch, Unsicherheiten des anderen auszunutzen, und wenn man seine Unsicherheit überspielt, hat der andere noch mehr Angriffsfläche.

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Und als Schauspielerin?
Ich hatte mal ein Vorsprechen und habe versucht, sicherer zu wirken, als ich es eigentlich war. Irgendwann habe ich mich nur noch verhaspelt und bin über mich selber gestolpert. Da wusste ich: Das wird nichts mehr.

Was tust du dann?
Man muss sich die eigene Unsicherheit eingestehen und damit offen umgehen. Im Zweifelsfall kann das sogar zu einer Stärke werden, weil es einfach total entwaffnend wirkt. Man kann ruhig zugeben, dass man etwas nicht verstanden oder hinbekommen hat, und nimmt damit Gegnern oft den Wind aus den Segeln. Es ist nur wichtig, dass man sich in seiner Sache und seinem Anliegen sicher ist.

Sind deine Strategien in der Politik andere?
Bei den Koalitionsverhandlungen neulich hatte ich anfangs das Gefühl, als Neue und als junge Frau unterschätzt zu werden, weil einige ältere männliche Politiker so väterlich daherkamen. Da waren dann, glaube ich, einige von mir und meiner entwaffnenden Ehrlichkeit überrascht. Aber das zu lernen, war natürlich ein Weg, und den Drang, Unsicherheit zu überspielen, habe ich mir auch abgewöhnen müssen.

Derya Çağlar, 34, sitzt für Berlin-Neukölln im Berliner Abgeordnetenhaus (SPD)

Foto: SPD Berlin | Joachim Gern

VICE: Wann bist du unsicher?
Derya Çağlar: Wirkliche Unsicherheit entsteht bei mir, wenn ich mir Sorgen mache—wenn meine kleine Tochter plötzlich 40 Grad Fieber hat, werde ich unsicher. Nicht, weil ich nicht weiß, was zu tun ist, sondern weil es sich hier um eine Situation handelt, die man selbst nur schwer kontrollieren kann.

Und im Beruf?
Im politischen Umfeld ist es natürlich wichtig, sicher aufzutreten. Auch wenn man es leider nicht mehr erwähnen müssen sollte, aber besonders als Frau muss man manchmal stärker auftreten, als man es in bestimmten Situationen eigentlich sein möchte. Da ich schon in meiner Kindheit manchmal vorlaut war und als Klassensprecherin viel früher als andere vor größeren Gruppen gesprochen habe, hatte ich vermutlich direkt gute Voraussetzungen für eine politische Karriere.

Kann man Unsicherheit überspielen?
Kleinere Unsicherheiten kann man mit einem Lächeln überspielen. Generell schätze ich aber unsichere Verhaltensweisen bei meinen Mitmenschen. Dies zeigt Menschlichkeit—ich möchte keine Schauspieler um mich herum. Als Abgeordnete merke ich oft, dass Menschen in meiner Gegenwart eine gewisse Unsicherheit an den Tag legen. Vielleicht, weil sie einen übertriebenen Respekt vor dem Amt haben. Ich versuche, ihnen dann diese Unsicherheit zu nehmen, damit wir auf Augenhöhe sprechen können.

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