Die Zukunft der Pornoindustrie sieht düster aus

Ein Paar beim Sex

Anfang Juli hat YouTube den Kanal der Porno-Regisseurin Erika Lust gesperrt, nachdem sie Interviews mit Sexarbeiterinnen gepostet hatte. In den Interviews aus der Reihe “In Conversation with Sex Workers” erzählen vier Frauen von ihrer Arbeit, den Vorurteilen, mit denen sie zu kämpfen haben, und von ihrem Verhältnis zu ihren Kunden und der Polizei. Sie sprechen auch über Feminismus und Selbstbestimmung.

In den Videos wird nur geredet, explizite Sex-Szenen werden weder beschrieben noch gezeigt. Trotzdem soll der Kanal gegen YouTubes Community-Richtlinien verstoßen haben. YouTube zufolge sind die Links in den Videobeschreibungen das Problem, denn sie führen auf Erika Lusts Website, die YouTube als Porno-Plattform einstuft.

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Diese Entscheidung von YouTube scheint eine weitere Folge von FOSTA/SESTA zu sein – ein Gesetzespaket, das im April in den USA in Kraft getreten ist. Es soll US-Ermittelnden dabei helfen, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, sogenanntes Sex Trafficking, zu verfolgen, indem Betreiber und Betreiberinen von Websites leichter für den Content zur Rechenschaft gezogen werden können, den User gepostet haben. Kritikerinnen und Kritiker fürchten allerdings, dass der Menschenhandel durch die neuen Regelungen lediglich weiter in den Untergrund gedrängt wird.

Ein Foto der Porno-Regisseurin Erika Lust.
Erika Lust

Auch Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, die einvernehmlich Dienstleistungen zwischen Erwachsenen anbieten, sehen durch diese Gesetze ihre Sicherheit und ihre Lebensgrundlage bedroht. Denn sie leiden unter verschärfter Zensur von Plattformen wie YouTube, Facebook und Twitter. In den letzten Monaten wurden bereits Dateien von Sexarbeiterinnen auf Google Drive blockiert oder gelöscht, die Crowdfunding-Plattform Patreon erlaubt keine pornografischen Inhalte mehr und Microsoft verbietet Nacktaufnahmen auf Skype. Kleine, unabhängige Produktionsfirmen von Erotikfilmen spüren die Auswirkungen besonders stark, da sie die sozialen Medien brauchen, um Zuschauer auf ihre Seiten zu ziehen.

Wir haben mit Erika Lust über die Zukunft der Pornoindustrie gesprochen, welchen Effekt Gesetze wie FOSTA/SESTA auf ihre Branche haben und wie wichtig es ist, mit Kindern und Jugendlichen über Pornos zu sprechen.

VICE: YouTube ist vor allem bei jungen Nutzern sehr beliebt. Wie wird sich die Porno-Landschaft verändern, wenn Inhalte mit einem feministischen Ansatz schwerer zugänglich sind?
Erika Lust: Es bedeutet, dass jüngere Zuschauer auf YouTube keine Alternativen zum Mainstream-Porno finden werden. Statt unabhängige, feministische Pornos zu entdecken, werden sie ausschließlich mit Mainstream-Pornos bombardiert.

YouTube nimmt vor allem kleinere, unabhängige Unternehmen ins Visier und erlaubt den großen Firmen, weiter zu machen wie bisher. Der WoodRocket-Kanal leitet beispielsweise in jedem Video auf seine Pornoseite weiter und darf in den Videos ungehindert über Pornos und verschiedene Sexpraktiken reden. Mein Kanal hingegen wurde wegen einer Doku-Serie über Sexarbeit und einiger harmloser Trailer für feministische Pornos gesperrt, die sich auf Einvernehmlichkeit und weibliche Lust konzentrieren. Da wird schnell klar, zu welchen Inhalten junge Menschen in Zukunft leichter Zugang haben werden.

Eine Szene aus der 'XConfessions'-Serie von Erika Lust.
Eine Szene aus der ‘XConfessions’-Serie von Erika Lust

Wie wird diese Art der Zensur den offenen Dialog rund um Sex und Sexarbeit beeinflussen?
Progressive Dialoge über Sex und Sexarbeit werden bereits zensiert. Plattformen, die sich auf feministische Inhalte, LGBTQ und BDSM fokussieren, haben unter dem sogenannten “shadow banning” zu leiden. Dabei werden die Inhalte von Nutzern geblockt, ohne, dass diese darüber informiert werden. Außerdem werden auf bestimmten Inhalten keine Werbeanzeigen mehr gespielt und Hashtags werden zensiert. Dabei sind diese Kanäle für eine breitgefächerte sexuelle Aufklärung sehr wichtig, denn sie behandeln Themen, die Schulen außen vor lassen. Sie können Heranwachsenden dabei helfen zu erkennen, dass die Gedanken oder Sehnsüchte, die sie haben, nicht abnormal sind und dass sie nicht allein sind.

Welche Probleme ergeben sich, wenn große Unternehmen wie YouTube und Google durch die Bank weg pornografische Inhalte von öffentlichen und privaten Accounts löschen?
Das führt dazu, dass es eine Handvoll Internet-Overlords gibt, die bestimmen, worüber geredet wird. Die Plattformen haben zu viel Angst, zur Rechenschaft gezogen zu werden, also zensieren sie ihre Nutzer und Nutzerinnen und alle Inhalte, die sie als “problematisch” einstufen. Meiner Meinung nach ist das ein Versuch, Sexarbeiterinnen im Netz mundtot zu machen und ihr Verhalten zu kontrollieren.

Unterm Strich vermittelt das Gesetz die Vorstellung, dass Sexarbeit schlecht ist. Es schwingt auch die sexistische Annahme mit, dass Frauen keine eigenen Entscheidungen über ihre Körper treffen können.

Was sind aktuell die größten Probleme, mit denen die Pornoindustrie konfrontiert ist?
Das Geschäftsmodell von kostenlosen Websites wie Pornhub ist ein Problem, denn es basiert auf gestohlenen Inhalten. Eigentlich sollen Nutzer nur Inhalte hochladen, an denen sie die Rechte haben. Aber es ist offensichtlich, dass viele dieser Inhalte gegen das Urheberrecht verstoßen. Anbieter wie Pornhub schützen sich dadurch, dass sie sagen, dass auf ihren Seiten nur nutzergenerierte Inhalte gezeigt werden und sie unmöglich das Copyright aller Videos prüfen können.

Wenn ein Filmemacher merkt, dass seine Inhalte illegal hochgeladen wurden, kann er das melden und die Seiten müssen die Inhalte entfernen. Oft wird das Video jedoch am nächsten Tag wieder von einem anderen Nutzer hochgeladen. Vor allem kleine Studios können es sich nicht leisten, jeden Tag alle Seiten nach ihren Videos abzusuchen.

Eine Szene aus der 'XConfessions'-Serie von Erika Lust.

Sollten diese Plattformen stärker kontrolliert werden?
Definitiv. Nutzer und Nutzerinnen sollten darüber informiert werden, welche Auswirkungen es hat, wenn sie gestohlene Filme schauen. Es gibt viele gute Gründe dafür, warum professionell und einvernehmlich produzierte Pornos hinter einer Paywall liegen. Die Produktion kostet Geld. Darstellende, die Crew, Post-Produktion und Regisseurinnen müssen bezahlt werden. Es müssen Verträge aufgesetzt werden, Essen und Unterkünfte müssen gezahlt werden. Indem Nutzer für ihre Pornos bezahlen, stellen sie sicher, dass kleine Unternehmen weiterhin ihre Arbeit machen können und dass Sexarbeit in einem sicheren Rahmen stattfindet.

Welche Auswirkungen von FOSTA/SESTA befürchtest du als unabhängige Produzentin von Erotikfilmen?
Im Endeffekt richten sich diese Gesetze gegen Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen. Sie werden vor dem Gesetz entweder als Opfer oder als unerwünscht betrachtet. Das führt zu einer unverhältnismäßig harten Strafverfolgung. In den USA ist das Risiko für Sexarbeiter, bei der Arbeit ermordet zu werden, höher als für Polizisten. Sie werden mit 400 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit mit Gewalt konfrontiert als andere Arbeitnehmer und haben einen sehr schlechten Zugang zum Rechtssystem.


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Durch FOSTA/SESTA werden Sexarbeiterinnen aus der Online-Welt wieder auf die Straße gedrängt. Sie verlieren Zuschauer und Einnahmen aus Online-Werbung. Außerdem wird ihre Stimme nicht mehr gehört. Zuhälter und böswillige Kunden nutzen diese Situation aus. Diese Gesetze bringen Sexarbeiterinnen regelrecht um und niemanden scheint das zu interessieren.

Außerdem sollten wir uns um die Leute sorgen, denen diese Gesetze eigentlich helfen sollen: Opfer von Sex-Trafficking. Da Online-Plattformen übervorsichtig sein müssen, entfernen sie alle Posts, die mit Sex in Verbindung stehen. Damit werden auch die Worte und Formulierungen herausgefiltert, die Opfer von Sex-Trafficking verwenden würden, um über ihre Erfahrungen zu sprechen oder Hilfe zu suchen. Indem man diese Inhalte zensiert, wird es auch schwerer, Opfer über das Internet zu finden. Falls Sex-Trafficker zuvor öffentliche Plattformen genutzt haben, wurden sie durch die Gesetze nun ins Darknet gedrängt. Sogar das US-Justizministerium hat sich gegen die Umsetzung von FOSTA/SESTA ausgesprochen, weil dadurch die Verfolgung von Menschenhändlern erschwert werde.

Erika Lust mit ihrem Team am Set.
Erika Lust mit ihrem Team bei der Arbeit

Gesetze wie FOSTA/SESTA oder Altersbeschränkungen für Pornoseiten wie in Großbritannien sollen das Internet für Kinder sicherer machen. Gibt es bessere Wege, jungen Menschen zu helfen, als den Zugriff auf Inhalte zu erschweren?
Seit es Online-Pornografie gibt, gibt es auch Bemühungen von der Regierung, sie “zum Wohle der Kinder” zu regulieren. Doch im Internetzeitalter lässt es sich nicht vermeiden, dass Kinder Dinge sehen, die nicht für sie geeignet sind. Wir sollten jedoch nicht versuchen, ein gesellschaftliches Problem durch Technologie zu lösen. Wir sollten uns lieber fragen, warum Kinder online nach Sex suchen. Welche Fragen haben sie?

Über Suchmaschinen landet man schnell auf Seiten wie Pornhub, wo man mit schlechtem, erniedrigendem, respektlosem Sex konfrontiert wird, der nicht immer einvernehmlich zu sein scheint. Wir können Kinder nicht davon abhalten, diese Seiten zu finden – aber statt das zu ignorieren, sollten wir sie besser aufklären. Indem wir anerkennen, dass es Pornografie gibt, wird das Thema automatisch weniger beschämend und offene Dialoge können stattfinden.

Mein Ehemann Pablo und ich beraten Eltern und Lehrer, wie sie mit Teenagern über Pornografie sprechen können. Es ist wichtig, jungen Menschen zu vermitteln, dass Neugier ganz normal ist, aber dass das in den Pornos eine Performance ist und nichts mit echtem Sex zu tun hat. Dass viele Menschen, die sie in den Filmen sehen, nicht repräsentativ für den durchschnittlichen Körperbau sind und dass man Frauen nicht so behandeln sollte, wie es in vielen der kostenlos verfügbaren Pornos der Fall ist.

Pornografie wird es immer geben. Darum ist es wichtig, dass Jugendliche sich kritisch damit auseinandersetzen können, was sie sehen. Sie sollten zwischen verschiedenen Arten von Pornos unterscheiden können und verstehen, wie respektvoller, gleichberechtigter und einvernehmlicher Sex aussieht. Dadurch können Jugendliche auch eine gesündere Einstellung zu Sex und Beziehungen entwickeln.

Erika Lust und ihr Team bei der Arbeit.

Sollte Pornografie reguliert werden? Wie sollte diese Regulierung aussehen?
Ich finde es bedenklich, dass so viele extreme und gewaltsame Inhalte für junge Menschen online zugänglich sind, aber ich glaube nicht an Zensur. Durch das Internet sind pornografische Inhalte so weit verstreut, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie eine weltweite Regulierung durchgesetzt werden sollte. Wenn man Online-Pornografie regulieren will, würde sie das wahrscheinlich tiefer ins Darknet treiben und das wäre nicht gut.

Dasselbe gilt für Altersbeschränkungen. Pornos sind überall kostenlos verfügbar, also müssen wir jungen Menschen beibringen, wie sie mit dem Angebot umgehen können. Für mich heißt das, dass ich sexpositive Filme produziere, die Einvernehmlichkeit und gleichberechtigte Lust sowie verschiedene Vorlieben und Sexualitäten zeigen.

Wie könnte man den Diskurs um die Pornoindustrie in eine positivere Richtung lenken?
Wir müssen offen mit jungen Menschen über Sex und Sexualität sprechen. Es ist wichtig, dass Sexarbeit als echte Arbeit anerkannt wird. Nur so können wir das Stigma entfernen, sexualisierte Gewalt reduzieren und das Wohlergehen, die Sicherheit und die Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit verbessern.

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