Erika Lust ist eine mehrfach ausgezeichnete schwedische Drehbuchautorin und Regisseurin—und Vorreiterin auf dem Gebiet der feministischen Pornos. In ihren Filmen stellt sie Sex so dar, wie er auch im echten Leben ist und entfernt sich von gängigen Pornoklischees, unnatürlich wirkenden, babyglatten Körpern und fragwürdigen Geschlechterbildern. Ihr aktuelles Crowdsourcing-Projekt heißt XConfessions—hier können Nutzer anonym Sex-Geständnisse posten und monatlich werden von Erika Lust zwei dieser Geständnisse ausgewählt und zu Kurzfilmen verarbeitet. Erika Lust hat es sich außerdem zum obersten Ziel gemacht, Frauen in der Pornoindustrie auch hinter die Kamera zu holen, so dem weiblichen Blickwinkel auf Sex den Platz einzuräumen, der ihm zusteht, und die männerdominierte Branche auch für Frauen attraktiv zu machen.
Genau darum hat Erika Lust einen weltweiten Aufruf an Produzentinnen, Regisseurinnen und Filmemacherinnen gestartet. Mit einer Summe von insgesamt 250.000 Euro will sie Frauen bei ihren Filmprojekten unter die Arme greifen, um Filmemacherinnen zu ermutigen, neue Talente zu entdecken und Frauen in der Pornobranche zu fördern. Im Gespräch mit Broadly erklärt sie, warum das dringend notwendig ist und was man tun muss, um sich ihre Unterstützung zu sichern.
Videos by VICE
Mehr lesen: Wie sieht Einvernehmlichkeit an einem Pornoset aus?
Broadly: Warum hast du den Aufruf gestartet?
Erika Lust: Ich kenne vier Filmemacher_innen, die sehr talentiert sind und verschiedenste Ideen und Visionen hatten: Paulita Pappel, Olympe_De_G, die Fotografin Adriana Eskenaki und der Regisseur und Fotograf Bruce LaBruce. Ich habe mich dazu entschlossen, sie als Regisseure von vier Filmen auf XConfessions.com einzuladen. Zuerst dachte ich, das alles wäre etwas, das ich nur zu deren und meinem Vergnügen getan hätte, aber die Ergebnisse waren so großartig, dass ich dann beschlossen habe, den Aufruf zu starten. Es war so toll, ihre Beiträge auf XConfessions zu haben und gleichzeitig begann ich, mich hilflos zu fühlen und wütend zu werden, weil es so viele talentierte Menschen—und vor allem Frauen—gibt, die das Bedürfnis haben, ihren Blickwinkel auf Sex und Sexualität in Form von Filmen zu zeigen. Sie wissen aber oft nicht, wie sie das anstellen und finanzieren können. Wir leben in einer Zeit, in der Feminismus und andere genderbezogene Themen so präsent in den Medien sind wie nie zuvor und dennoch produzieren Mainstream-Produktionsfirmen immer noch das selbe langweilige Zeug und werden von engstirnigen Männern geleitet, die den gesamten Platz in der Pornoindustrie einnehmen. Ich habe einfach gemerkt, dass es eine klare Nachfrage nach den Filmen gibt, die ich mache, also dachte ich mir: „Wenn Geld nötig ist, um mehr von Frauen gemachte Pornos zu produzieren, werde ich das Geld auftreiben und investieren!”
Warum sind so wenige Frauen in der Pornoindustrie hinter der Kamera tätig?
Weil die Industrie Frauen entmutigt—sie entmutigt generell talentierte und kreative Personen. Wie sollte sich eine Frau auch für das Business interessieren, bei all den Millionen Szenen aus Mainstream-Pornos? Ich wollte selbst nie Teil der Mainstream-Industrie sein. Ich wollte das Gegenteil von dem machen, was sie tun und mir meinen eigenen Platz schaffen. Darum ist mein Aufruf auch so wichtig. Wir können Pornos machen, die abseits vom Mainstream existieren.
Welche Anforderungen müssen die Bewerberinnen erfüllen, die deinem Aufruf folgen wollen?
Ich will Frauen, die wirklich etwas ändern wollen—die die Qualität von Pornos verbessern wollen. Sie müssen kreativ sein, ein wenig Erfahrung als Filmemacherinnen haben und eine gute Idee haben. Die Erfahrung in der Filmindustrie muss nicht zwingend etwas mit der Pornoindustrie zu tun haben. Ich würde auch gerne Menschen, die noch nie daran gedacht haben, Pornos zu machen, eine Möglichkeit geben. Sie müssen ihre eigenen Darsteller und ihre eigene Crew zusammenbekommen, Drehorte finden und das Skript schreiben. Sie werden die ganze Zeit die kreative Kontrolle behalten und mein Team und ich werden sie unterstützen—in rechtlichen Aspekten, in der Dokumentation, wir werden sie über die Arbeit in der Pornoindustrie informieren und uns um die Finanzierung kümmern. Der Film darf nicht länger als 15 Minuten sein. Außerdem brauche ich ein Skript und ein Moodboard ihrer Idee, eine Erklärung ihrer Vision und ein Budget. Die 250.000 Euro sind schließlich für das ganze Projekt, nicht für einen einzelnen Film. Mit ihren Vorschlägen können sie mich unter erikalust@lustfilms.com kontaktieren. Bisher habe ich etwa 90 Bewerbungen aus Indien, den USA, Spanien, Frankreich und vielen anderen Ländern bekommen, aber ich bin immer noch offen für mehr Bewerbungen.
Warum denkst du, dass es Zeit ist, dass Frauen die Pornoindustrie übernehmen—auch hinter der Kamera?
Wir müssen sie nicht übernehmen, aber wir müssen zumindest ein Teil davon werden. Aktuell bekommen wir Frauen kein Gehör in der Pornoindustrie. Pornografie ist ein Diskurs über Sexualität und die Menschen, die in diesem Diskurs aktuell den Ton angeben, sind vor allem weiße, heterosexuelle Männer, die dem Publikum täglich dieselben Filme vorsetzen. Mainstream-Pornos vermitteln uns allen ein negatives, unrealistisches und einseitiges Bild von Sexualität: Frauen sind Objekte der Begierde, die für sich gewonnen und befriedigt werden müssen. Männer werden als Maschinen dargestellt, die Frauen so benutzen, wie es ihnen gerade gefällt. In diesen Filmen steckt kein Leben, keine Freude, keine Liebe und keine echte Lust und der Konsens zwischen den beiden Darstellern ist oft nicht klar. Aktuell wird in Pornos ein sehr gewalttätiges und gefährliches Image von Sex, Sexualität und den Geschlechterrollen fortgeführt. Warum? Weil es immer funktioniert hat, weil es sich gut verkauft. Also warum sollten sie ihre Zauberformel dann verändern? Es braucht einen Anstieg von Pornos, die von Frauen gemacht wurden, weil wir einen anderen Diskurs brauchen. Wir Frauen müssen die Repräsentation unserer Sexualität übernehmen und nicht die Männer sagen lassen, wie unsere Sexualität aussieht.
Warum ist der „Female Gaze” in der Pornoindustrie so wichtig für unsere Gesellschaft als Ganzes?
Weil Pornografie einen Einfluss auf die Gesellschaft hat, auf unsere Ansichten über Sex, Sexualität, Konsens und Geschlechterrollen. Aktuell kommt dieser Einfluss wie gesagt zum großen Teil von Männern. Uns wird vermittelt, dass die weibliche Sexualität nur zum Vorteil von Männern existiert. Es ist kein Geheimnis, dass uns die frauenfeindlichen und sexistischen Werte von Mainstream-Pornos negativ beeinflussen. Es ist unser Recht, unsere Sexualität auszudrücken und es ist ein natürlicher Teil unseres Lebens. Bisher wurde uns dieser Teil unseres Lebens in Pornos verwehrt. Wir brauchen unsere Körper zurück. Wir brauchen unsere Sexualität zurück und deswegen müssen wir handeln und etwas verändern. Dazu brauchen wir Frauen in Führungspositionen als Autorinnen, Produzentinnen und Regisseurinnen. Wir müssen explizite Filme drehen, die positiv sind, sodass junge Menschen daraus lernen können. Gleichheit und Konsens müssen sich durch alle Stufen der Filmproduktion ziehen. Frauen müssen ihre eigenen Geschichten erzählen können. Der „Female Gaze” ist notwendig, um eine gleichberechtigte Gesellschaft zu erlangen.
Mehr lesen: Eine kleine Geschichte der weiblichen Schambehaarung in Pornos
Glaubst du, dass feministische Pornos eines Tages der Mainstream sein könnten?
Das glaube ich nicht und das ist auch keineswegs meine Agenda. Ich beanspruche nur eine Indie-Ecke in der Pornoindustrie, genauso wie es auch Indie-Musik oder Indie-Kino gibt. Das Problem ist, dass die meisten Menschen noch nie etwas von feministischen Pornos gehört haben, also sind sie verwirrt und haben Vorurteile. Sie stellen dumme Fragen und denken, ich würde von Lesbenpornos oder Pornos, die von Lesben gemacht würden, sprechen. Oder denken, dass in feministischen Pornos Männer getötet werden. Aber ich glaube, dass sich immer mehr Menschen etwas Neues wünschen, etwas Ehrliches und Echtes.
Was ist für dich der maßgeblichste Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Pornoproduzenten?
Um diese Frage zu beantworten, möchte ich aus Peggy Orensteins Buch Girls & Sex: Navigating the Complicated New Landscape zitieren: „Natürlich aussehenden Menschen dabei zuzusehen, wie sie Sex haben, den sie beide wollen, der Beiden gefällt und realistisch ist, ist wahrscheinlich nicht gefährlich—nein, es ist sogar eine gute Idee—aber es ist nicht das, was die 97 Milliarden Dollar schwere Pornoindustrie will. Die Produzenten haben ein Ziel: Männeraus Profitgier schnell und hart kommen zu lassen. Das bedeutet, dass die Degradierung von Frauen erotisiert wird. Einer Studie über das Verhalten in Pornos zufolge enthalten 90 Prozent von 304 zufällig ausgewählten Szenen physische Gewalt gegen Frauen, die darauf beinahe immer neutral oder mit Lust reagieren.” Das Problem mit männlichen Filmemachern im Mainstream-Bereich ist, dass sie hauptsächlich sich wiederholende Bilder von aneinander schlagenden Genitalien drehen. Sie haben auch begonnen, mit Virtual Reality zu arbeiten und es ist einfach nur die Fortsetzung von dem, was sie ohnehin seit Jahren machen. Sie verstehen den Punkt einfach nicht. Nur weil etwas ethisch vertretbar und respektvoll ist, heißt das nicht, dass es nicht heiß ist!