1976. Ein dunkler, ausverkaufter Club. Die verschwitzte Menge drängt sich vor der Bühne in einem wabernden Sturm aus Bier, Schweiß und Urin. Unter ihrem Regenmantel hervor schießt Jill Furmanovsky zwei Bilder. Ihr Blitz erhellt für einen kurzen Moment den gesamten Vorderraum der Bühne und blendet dabei Sid Vicious, der sich kurz darauf in die Menge stürzt. Es ist nicht hundertprozentig klar, ob sie das Bild im Kasten hat.
Die Arbeiten von Furmanovsky, einer der ersten und renommiertesten Musikfotografinnen der Welt, sprechen für sich. Auf ihrer Liste stehen Künstler wie Bob Marley, die Ramones, Debbie Harry, Miles Davis, James Brown oder Led Zeppelin. Darüber hinaus existieren unzählige Auftragsarbeiten aus ihrer Zeit als Fotografin in Londons legendärem Rainbow Theatre, das sich damals in seiner hedonistischen Blütezeit befand.
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In diesem Monat feiert Furmanovsky den vierzigsten Geburtstag des Punk. Dafür hat sie sich durch ihre endlose Sammlung an Arbeiten gewühlt und die beeindruckendsten Fotos für eine ganz besondere Ausstellung zusammengetragen. Das Ergebnis ist eine Zusammenstellung aus anarchischen und emotionalen Aufnahmen (ihrer persönlichen Favoriten, von denen viele bisher noch nie ausgestellt wurden) und einer Auswahl seltener Andenken, Albumcover und Zeitungsauschnitten.
Bei der Eröffnung von Chunk of Punk hat Broadly ihre etwas Zeit gestohlen, um mit ihr über einige ihrer wildesten und denkwürdigsten Momente zu sprechen.
Broadly: Welches war das erste Punkkonzert, auf dem du fotografiert hast?
Jill Furmanovsky: Generation X an der Central London Polytechnic am Red Lion Square im Dezember 1976. Eigentlich habe ich schon ein paar Monate vorher die Ramones fotografiert, im Juli 1976 im Roundhouse in London, aber damals wusste ich noch nicht, dass sie punk waren.
Du hast oft Regenmäntel getragen, wenn du bei Konzerten Bilder gemacht hast. Was war die wildeste Show, die du jemals fotografiert hast?
Ja, das habe ich! Vor allem, wenn ich in Clubs wie dem Roxy war! Was das Wildsein betrifft, muss ich an die Band Slade denken. Im Rainbow haben sie heftig gepogt und sind so wild auf und ab gesprungen, dass ich dachte, der Balkon würde zusammenbrechen! Madness waren auch wild. Ihre Fans sind durchgedreht. Oder auch der Auftritt von The Clash im Rainbow, als das Publikum die Sitze rausgerissen und sie auf die Bühne geworfen hat. Damals konnte man echt nicht ahnen, was tatsächlich dabei rausgekommen ist, bis der Film schließlich entwickelt war—aber es war meistens viel besser, als erwartet!
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Du hast auch viele Albumcover entworfen …
Als Punk auftauchte, waren meine Schwarzweiß-Fotografie und meine Ausbildung als Grafikerin plötzlich von Nutzen. Ich habe Plattenhüllen für Step Forward Records, Deptford Fun City Records und Illegal Records, Alternativ TV und The Police entworfen und [ich] haben zudem auch Fotos für drei der Albumcover der Buzzcocks geschossen.
Die Punkszene war voller extremer Charaktere wie John Lydon und Sid Vicious. Gab es jemanden, den du besonders gern fotografiert hast?
Als ich Sid Vicious fotografiert habe—so wie du beschrieben hast, mit Blitz, bevor ich mich schnell wieder verzogen habe—, habe ich das so gemacht, weil ich ziemliche Angst vor ihm hatte. Ha.
Morgan Webster von Menace ist nicht so bekannt, aber er war ein großartiges Bildmotiv. Er ist auf zwei Bildern in der Ausstellung Chunk of Punk zu sehen. Ich habe auch die Untertones und natürlich auch Debbie Harry oder Jow Strummer und Paul Weller gerne fotografiert. Die Ramones … Sie zu fotografieren war ziemlich aufregend. Sehr viel später habe ich auch mal Liam Gallagher fotografiert. Er hatte diese absolute „Scheiß egal”-Einstellung.
War es von Anfang an dein Plan, Musikfotografin zu werden?
Ich kann mich daran erinnern, wie ich Anfang der 70er-Jahre bei einem Led Zeppelin-Konzert war und dachte, wie fantastisch es wäre, irgendetwas mit Rockmusik zu machen. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich dorthin kommen sollte … Am Ende ist es einfach so passiert. Während meiner Zeit im College bekam ich nach meinen ersten Erfolgen mit der Kamera die Gelegenheit im Rainbow Theatre zu fotografieren—das war 1972 und ich habe es niemals bereut.
Wie war es, als Frau in den 60er- und 70er-Jahren als Fotografin zu arbeiten?
Im Großen und Ganzen war es schon sehr von Vorteil, eine Frau zu sein. Im Vergleich zu meinen männlichen Kollegen habe ich weniger bedrohlich auf die Musiker gewirkt, während sie vor dem Spiegel standen oder ähnliches. Aber das heißt nicht, das es als junge Frau im Geschäft nicht auch herausfordernde Momente gab. Es gab beängstigende Zeitungsverleger, mit denen man die Honorare verhandeln musste, taffe Manager, die man brauchte, um rein zu kommen, Presseagenten, die oftmals schwere Trinker waren und Roadies, die Frauen wie Groupies behandelten. Ich habe aus letzterem Grund angefangen, weite schwarze Klamotten und flache Schuhe zu tragen—das hat die meisten abgeschreckt.
Durch die Punkszene habe ich aber auch extrem viel Selbstbewusstsein bekommen. Ich hatte damals nur ein paar Wochen Übung aus dem Fotografieunterricht und plötzlich arbeitete ich mit diesen großen, bekannten Bands wie Led Zeppelin und Pink Floyd. Bevor ich in die Punkszene kam, hatte ich wirklich keine Ahnung, wie ich mit ihnen umgehen sollte. Während meines ersten Jobs war ich mit Pink Floyd auf Tour. Damals war ich gerade 19. Ich dachte, ich wäre im Himmel! Aber ich wusste wirklich nicht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten sollte. Mit dem Punk hat sich das alles verändert.
Gibt es rückblickend jemanden, den du gern fotografiert hättest, wenn du die Chance dazu gehabt hättest?
Da gibt es ein paar: David Bowies Auftritt im Rainbow 1973 zum Beispiel. Ich habe Bilder von ihm gemacht, als plötzlich einer seiner Bodyguards von der Bühne sprang und meinen Film aus der Kamera riss. David hatte damals seinen eigenen Fotografen—und das war leider nicht ich. Ich habe leider nie wieder die Chance bekommen, ihn zu fotografieren. Ich warte auch immer noch auf den Anruf von Bob Dylan …
Was, glaubst du, fasziniert die Leute auch nach vierzig Jahren noch an dieser Bewegung?
Das, was das Punksein verkörpert—die Respektlosigkeit gegenüber jedweder Autorität und der optimistische Tatendrang—lebt weiter, weil es einfach ein großartiges Gefühl ist.