„Erobern, eingliedern und anschließen“—Alexander Dugin marschiert in Deutschland ein

Alexander Dugin gilt als Guru des russischen Rechtsradikalismus und Vertreter einer neuen imperialen Ideologie. Seit Beginn der Putin-Ära hat der Geopolitiker in Russland an Einfluss gewonnen, er verfügt aber auch über umfangreiche Kontakte nach Westeuropa. Die neurechte Zeitschrift ‚Zuerst!’ hat ihn jetzt nach Deutschland eingeladen. Anfang März soll der als „Vordenker der pro-russischen Separatisten” angekündigte Philosoph auf einer Tagung sprechen.

Vergangenen Sommer rief Alexander Dugin, zu dieser Zeit Lehrstuhlinhaber an der Moskauer Lomonossow-Universität, in einem Interview zum Mord an Unterstützern der „Kiewer Junta” auf. Womöglich meinte er aber auch Ukrainer im Allgemeinen, als er rief, man müsse jetzt „Töten! Töten! Töten!”, und hinzufügte „Das ist meine Meinung als Professor.” Über 10.000 Menschen forderten in einer Petition seine Entlassung und er verlor seinen Posten.

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In Russland ist Dugin bereits seit Jahren ein Medienphänomen. Als Kommentator und Talkshowgast fällt er immer wieder durch provokative und skurrile Aussagen auf. Daher wird er von manchen Beobachtern mit dem rechtsradikalen Politclown Schirinowski verglichen. Andererseits stellten ihn westliche Medien im letzten Jahr als eine Art neuen Rasputin dar, als mächtigen „ Einflüsterer” an Putins Ohr. Man könnte in Dugin auch eine Art bösen Bruder von Slavoj Žižek vermuten.

Wer also ist dieser Alexandr Geljewitsch Dugin wirklich? Diese Frage ist schwer zu beantworten, was nicht zuletzt daran liegt, dass er selbst alles in seiner Macht stehende zu tun scheint, um sich zur mysteriösen Figur zu verklären. Welchen Einfluss hat dieser schräge Typ tatsächlich auf die Politik? Steckt er eventuell dahinter, dass heute in Russland eine Stimmung vorherrscht, in der es mal eben als TV-Satire durchgeht, anderen Ländern mit Krieg zu drohen?

Über mangelndes Interesse kann sich der bärtige Theoretiker jedenfalls nicht beklagen, es wurde sogar mindestens eine Doktorarbeit über ihn geschrieben (allerdings lange bevor ihn unsere Mainstreammedien überhaupt wahrnahmen). Fest steht: Dugin verdiente sich seine Sporen in einer Subkultur der Sowjetunion, die im Westen praktisch unbekannt ist, einer nationalistischen und offen antisemitischen Szene von Intellektuellen, die bereits seit den 1960er Jahren existierte.

Dugins Vater war vermutlich ein Geheimdienstoffizier, der Groß- sowie Urgroßvater waren Militärs. Er selbst flog 1983 vom Staatlichen Luftfahrtinstitut, die Gründe sind umstritten. Einer von ihm selbst verbreiteten Legende zufolge hatte er aufgrund seiner familiären Beziehungen Zugang zu geheimen KGB-Archiven und studierte dort verbotene Literatur zu Themen wie Freimaurerei, Faschismus und Paganismus. Mit Sicherheit aber schloss er sich in dieser Zeit dem okkultistischen Mamleew-Zirkel an.

Der Fantasy-Autor Yuri Mamleew hatte eine kleine Schar von Mystikern um sich versammelt, die ihre Freizeit im Wesentlichen mit schwarzer Magie, sexuellen Ausschweifungen, hartem Alkohol und rechtsradikaler Esoterik verbrachte. Die Männer nannten sich selbst ‚Schwarzer Orden der SS’. Hier lernte Dugin spätere Mitstreiter wie den Philosophen Evgenij Golovin kennen oder den Islamisten Gaidar Dschemal , aber auch Künstler wie Wenedikt Jerofejew (den Autor von Die Reise nach Petuschki).

Dugin übersetzte in dieser Zeit Klassiker der westeuropäischen Rechten, etwa Julius Evola oder Réne Guénon, ins Russische. Gleichzeitig knüpfte er Kontakte zu führenden Vertretern der ‚ Nouvelle Droite‘ wie Alain de Benoist oder Jean-Francois Thiriart, die er 1989 im Rahmen einer Europareise besuchte. In diesem Umbruchjahr trat die Gruppe erstmals mit einer Zeitschrift, die im Samisdat herausgegeben wurde, an eine etwas breitere Öffentlichkeit.

Etwa zur Zeit des gescheiterten Putsches gegen Gorbatschow, der das Ende der UdSSR einleitete, kam Dugin mit dem Kriegsreporter und Autor Alexander Prochanow zusammen, der den rechtsradikalen Esoteriker mit führenden Funktionären der Kommunistischen Partei bekannt machte. Bald darauf gründete er mit dem Schriftsteller Eduard Limonow die ‚Nationalbolschewistische Partei’ (NBP), die versuchte, verschiedene antidemokratische und totalitäre Strömungen in sich zu vereinen.

Doch die NBP blieb ein Randphänomen und Dugin suchte nach einer Idee, die geeigneter wäre, Anklang abseits radikaler Subkulturen zu finden. So wandte er sich, wie auch andere rechte Vordenker, dem Eurasismus zu. Diese antiwestliche Ideologie war ursprünglich von russischen Emigranten in der Weimarer Republik entwickelt worden. Die Eurasienideologen glaubten, Russland müsse sich isolieren und auf seine kulturellen Wurzeln besinnen.

Dugin machte aus dem angestaubten Gedankengut eine postmoderne Vorstellungswelt, indem er sie mit neurechten Argumentationsmustern, aber auch Versatzstücken der deutschen ‚Konservativen Revolution’ der 1920er und 30er Jahre anreicherte. Ab Ende der 1990er Jahre strickte er sein Ideengebäude dann zu einer pseudoreligiös-überhöhten Antiglobalisierungstheorie um. Der Hauptfeind stand fest: die USA, von Dugin als „ Reich des Bösen” bezeichnet, sollten vernichtet werden.

Aber warum eigentlich? Achtung, jetzt wird’s richtig schräg!

Die Vereinigten Staaten stehen, laut Dugin, an der Spitze der Zivilisation der ‚ Atlantiker‘, die ihren Ursprung im sagenumwobenen Atlantis hat. Seefahrerkulturen wie Karthago waren Teil dieser atlantischen Ordnung, die seit Jahrtausenden einen geheimen Krieg gegen die ‚Eurasier’ führt. Letztere entstammen dem mythischen Land des Nordens: Hyperborea (das schon in der Rassenlehre der NSDAP eine wichtige Rolle spielte). Ihre heutige Zentrale ist Russland.

Die Eurasier, zu denen auch das Römische Reich gehörte, sind seit jeher bodenständige Krieger, die sich ihren Wurzeln und der autoritären Ordnung verpflichtet fühlen. Damit stehen sie im Widerspruch zu den degenerierten Seevölkern, die keine Werte kennen, sondern nur Sodom und Gomorrha. Dieser fundamentale Konflikt rast mit bahnbrechender Geschwindigkeit auf sein Finale zu. Unsere Generation ist auserwählt, den „Endkampf” zu erleben – einen letzten Weltkrieg.

Dass die meisten Europäer diese herannahende Götterdämmerung beinahe verschlafen hätten, ist vielleicht gar nicht schlimm. Denn wie man Dugins Manifest ‚ Eurasien über alles‘ von 2001 entnehmen kann, dürfen sich viele von uns sowieso nicht angesprochen fühlen: „Das eurasische Ideal ist der mächtige, leidenschaftliche, gesunde und schöne Mensch, und nicht der Kokainsüchtige, der Bastard aus weltlichen Diskos, der asoziale Kriminelle oder die Prostituierte.”

Seine Aussagen klingen für das westliche Verständnis zumeist so irrational und verworren, dass man Dugin für nicht viel mehr als eine radikale Randfigur der Gesellschaft halten möchte. Das war er bis Ende der 1990er Jahre auch. Während der Jelzin-Ära bewegte er sich in der alternativen Musikszene und war etwa mit dem sibirischen Punkrocker Jegor Letow oder dem Metal-Bassisten Sergey ‚Pauk’ Troitsky befreundet, aber auch mit dem militanten Neonazi Aleksandr Barkaschow.

Erst nach der Amtseinführung Putins bekam Dugin eine breitere Aufmerksamkeit, und wurde zum ständigen Kommentator in den Massenmedien. Als solcher forderte er im April 2013, lange vor Beginn des Konflikts in der Ukraine, Russland müsse „Europa erobern, eingliedern und anschließen … Lasst uns vorschla­gen, Eu­ropa vor Homo-Ehen zu schützen, vor Femen, vor Pussy Riot. Um Euro­pa vor sich selbst zu retten.”

Gleichzeitig reüssierte er in der akademischen Welt. Sein Buch ‚Grundlagen der Geopolitik’ brachte es nicht nur zum Bestseller, sondern wurde – nicht zuletzt aufgrund der Förderung durch einen hochrangigen Militär – zum Lehrbuch in der Offiziersausbildung erhoben. Innerhalb weniger Jahre durchlief Dugin die akademische Laufbahn, unterstützt von dem ‚Neoeurasier’ und Philosophieprofessoren Alexander Panarin. 2008 erhielt er seinen Lehrstuhl für Soziologie.

Es war das Jahr, in dem die russische Armee in Georgien einrückte und zwei Teilgebiete besetzte mit der Begründung, dort würde ein „Genozid” an Russen verübt. Diesen Ausdruck hatte Dugin nur wenige Tage zuvor erstmals verwendet—in einem Interview mit dem Radiosender ‚ Echo Moskau‘. Führende Politiker griffen das Schlagwort auf. Dugin jedoch forderte mehr: Die Eroberung ganz Georgiens und—wenn man schon einmal dabei ist – die Annexion der Krim.

Natürlich weiß Dugin um seine Rolle als Scharfmacher. Ihm muss klar sein, dass seine Forderungen nicht vollständig erfüllt werden. Aber er verfügt zweifelsohne Kontakte zu einflussreichen Personen aus unterschiedlichen politischen Lagern und ist bemüht, seine Netzwerke weiter auszubauen. Damit folgt er der Strategie der ‚ Kulturellen Hegemonie‘ wie sie die Neue Rechte um Alain de Benoist fordert. Im Grunde sind ihm alle antiwestlichen und antidemokratischen Kräfte willkommen.

In Deutschland scheint Manuel Ochsenreiter, der ihn schon mehrfach interviewte, Dugins bester Mann zu sein. Der neurechte Publizist ist hierzulande weitgehend unbekannt, aber ein regelmäßiger Kommentator bei RussiaToday, wo er als seriöser Vertreter der deutschen Sicht der Dinge auftritt. Abgesehen davon referierte dieser feine Experte im vergangenen Jahr bei der Holocaustleugner-Konferenz in Teheran über die angebliche Knechtung der Deutschen durch die ‚Zionisten’.

Als Chefredakteur der ‚Zuerst!’ ist Ochsenreiter Teil der rechtsintellektuellen Szene Deutschlands. Auf dem ‚Lesertreffen’ der Zeitschrift geben sich regelmäßig Nationalkonservative, Revisionisten und Ultranationalisten ein Stelldichein. Diesmal wurde auch der islamhassende Katzenbuchautor Akif Pirinçci eingeladen, um zu erklären, wie und warum heutzutage Minderheiten die Mehrheit unterdrücken – „von Homoehe bis Multikulti”. Und eben Dugin, als gefeierter Stargast.

Dugins Idee einer jahrtausendealten Fehde zwischen den Orden der Eurasier und Atlantiker ist schlicht und ergreifend irrwitzig. Doch seine geopolitische Rhetorik Anklang findet bei Rechtsradikalen, religiösen Fanatikern und sogar manchen Linken. Das simple Grundprinzip ist der Angriff auf alles als ‚liberal’ wahrgenommene, die Prinzipien der Gleichheit und der Gerechtigkeit. Als Gegenentwurf wird ein autoritäres und traditionalistisches Modell gepredigt.

Der Grünen-Politiker Volker Beck hat zwar beim Außenminister ein Einreiseverbot für Alexander Dugin gefordert. Momentan sieht es aber so aus, als würde die Tagung tatsächlich stattfinden. Den Konferenzort hat der Veranstalter – wie in diesen Kreisen üblich – bisher nur nebulös angedeutet als ein Hotel im „Raum Sachsen-Anhalt/Thüringen”. Die Teilnehmer werden dann vermutlich informell über Details in Kenntnis gesetzt.

Mehr über Alexander Dugin und anderen gefährlichen Irrsinn findet ihr in Krzysztofs Blog.

Foto oben: Wikimedia | Creative Commons