Wenn am Mittwoch vier YouTuber Angela Merkel interviewen, wird das einer der wohl wichtigsten Wahlkampftermine, mit dem die CDU-Vorsitzende bei jungen Menschen punkten will. Vereinbart hat das Interview Studio71. Die zu ProSiebenSat1 gehörende Produktionsfirma managed und vermarktet YouTuber und andere Videomacher. Allerdings war ihr Ansprechpartner das Bundeskanzleramt – und nicht das CDU-Wahlkampfteam, wie Anfragen von Motherboard zeigen. Auch das Bundespresseamt bestätigt auf Anfrage, dass die Absprachen für das Merkel-Interview über das Kanzleramt, nicht über das CDU-Wahlkampfteam stattfanden. Aus der CDU-Parteizentrale haben wir auf unsere Anfrage keine Antwort erhalten.
Das Vorgehen widerspricht einer wichtigen, moralischen Grundregel, an der sich die meisten deutschen Parteien im Wahlkampf orientieren. Es geht um die Trennung zwischen Parteien auf der einen Seite und Staat bzw. Regierungsstellen wie dem Kanzleramt und dem Bundespresseamt auf der anderen Seite: Wahlkampf sollte über das Wahlkampfteam der Partei laufen, die normale Regierungsarbeit der Kanzlerin übers Kanzleramt. Schließlich soll niemand, der an der Macht ist, Ressourcen seines Amtes benutzen, um erneut gewählt zu werden.
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Genau dieser Vorsatz wurde bei den Vorbereitungen des YouTuber-Interviews mit der derzeitigen Kanzlerin und CDU-Kanzlerkandidatin allerdings nicht beachtet. Die Absprachen und Vorarbeiten liefen über das Bundeskanzleramt und nicht über das CDU-Wahlkampfteam. Das ist zwar verfassungsrechtlich in Ordnung – ethisch findet es jedoch nicht jeder im politischen Berlin unbedenklich.
Warum es ein Problem ist, dass das Kanzleramt den Termin organisiert
Initiiert wurde das Interview laut eigenen Angaben von Studio71. Die Firma sei ans Bundeskanzleramt herangetreten und habe das Interview entsprechend mit der CDU-Spitzenkandidatin verabredet, erklärt das zu ProsiebenSat1 gehörende Unternehmen. Ausgewählt wurden die YouTuber, die das Gespräch führen, durch Studio 71.
Dass die Vorbereitungen des Interviews mit der Kanzlerin auch über das Kanzleramt organisiert wurden, mag naheliegend und auf den ersten Blick auch unproblematisch wirken. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, warum das Detail für manche durchaus ein wahlkampftechnisches Geschmäckle haben könnte. Denn Angela Merkel, die am vergangenen Samstag in Dortmund die heiße Phase ihres Wahlkampfes einläutete, dürfte in dem Interview nicht nur in ihrer Rolle als Kanzlerin auftreten: In den nächsten Wochen ist sie nämlich vor allem auch die oberste Wahlkämpferin der CDU. Als Spitzenkandidatin ist sie das Gesicht ihrer Partei.
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Genau deswegen finden manche Beobachter es auch wichtig, Wahlkampf und Regierungsarbeit klar voneinander zu trennen. Dabei geht es nicht nur um eine verwaltungstechnische Kleinigkeit, sondern letztlich um die Unterscheidung zwischen Staat und Partei, die eine wichtige Grundlage von Demokratien ist. Die Grünen führten deshalb zum Beispiel 1980 eine strikte Trennung zwischen Amt und Mandat ein. Ein Mitglied mit Regierungsamt oder Bundestagsmandat sollte lange Zeit nicht gleichzeitig auch ein Parteiamt besetzen. 2003 wurde der Teil der Grünen-Satzung allerdings gelockert.
Das ist eine unglaubliche Verquickung von Staat und Partei
Damit Merkel nicht einfach ihre Mitarbeiter, die sie als Kanzlerin hat, für ihren Wahlkampf und der ihrer Partei einspannt, müsste sie diese eigentlich aus der Wahlkampfarbeit heraushalten – was jedoch in der Praxis nicht immer einfach umzusetzen ist. Genau diese nicht eingehaltene Trennung sorgte schon im April für Kritik: Damals wurde verkündet, dass Peter Altmaier das Wahlkampfprogramm schreiben wird – doch Altmeier ist gleichzeitig auch Kanzleramtsminister.
Aus diesem Fall scheint die CDU nicht gelernt zu haben – was nun für Kritik von den anderen Parteien sorgt. Die FDP hält nicht viel davon, dass das Kanzleramt den YouTuber-Termin betreut: “Die Freien Demokraten kritisieren die Vermischung von Partei- und Regierungsarbeit der CDU. Schon die Übernahme von Wahlkampfaufgaben durch Kanzleramtschef Peter Altmaier hat gezeigt, dass die CDU nicht davor zurückschreckt, Wahlkampf auf Kosten des Steuerzahlers zu machen.” Die SPD zeigt sich ebenso kritisch: “Das ist eine unglaubliche Verquickung von Staat und Partei”, teilt uns ein Sprecher auf Anfrage zu dem Vorgang mit.
Das Bundespresseamt hält den ganzen Vorgang hingegen nicht für problematisch: “Es entspricht dem üblichen Vorgehen, dass Interviews mit der Bundeskanzlerin im Bundespresseamt angefragt werden”, erklärt ein Sprecher auf Anfrage von Motherboard.