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Es ist eine Tragödie, dass Uli Hoeneß den Fußball verlässt

Uli Hoeneß

Es war ein epochaler Auftritt, wie Uli Hoeneß vergangene Woche noch einmal auf dem Trainingsgelände des FC Bayern München aufkreuzte: Wie ein Armeegeneral aus einem untergegangenen Jahrhundert führte er seinen Hund Ben an der Leine auf den Rasen. Die Botschaft war klar: Hoeneß, der Präsident, nein der Alleinherrscher des FC Bayern, war hinabgestiegen, um seinen Rekordeinkauf Lucas Hernandez zu begutachten. Eigentlich hätte man diese Szene malen müssen, Öl auf Leinwand: Der letzte Gang des Patriarchen.

Denn einen Tag zuvor, am 23. Juli, hatte die Bild-Zeitung seinen Abschied von dem Verein enthüllt, den er vierzig Jahre lang als Manager und Präsident geprägt hat. Das Ende des 67-Jährigen ist auch das Ende des Obersten in der Galaxis FC Bayern München, in der alle Planeten um die Hoeneß-Sonne kreisten.

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Und ja, es gibt sie, die Gründe, warum es gut ist, dass Hoeneß in den Ruhestand geht. Etwa als er im Jahr 2000 petzte, dass Christoph Daum mal gekokst hat. Der einzige Grund damals: Hoeneß mochte Daum nicht. Also sorgte Hoeneß dafür, dass Daum nicht Bundestrainer wurde, obwohl man ihm diesen Job längst versprochen hatte.

Die ersten Risse bekam das lebende Denkmal Hoeneß, als bekannt wurde, dass er Steuern hinterzogen hatte, nämlich 28,5 Millionen Euro. Im März 2014 verurteilte ihn die Strafkammer des Münchner Landgerichts deshalb zu 21 Monaten in der JVA Landsberg.

Nachdem er aus dem Gefängnis kam und sich mit dem quasi-nordkoreanischen Ergebnis von 98 Prozent der Stimmen zum Präsidenten wählen ließ, hielt er weiter peinliche Wutreden. Zuletzt im Oktober 2018, als er gemeinsam mit Karl-Heinz Rummenigge über das Grundgesetz, genauer: die Menschenwürde, dozierte, weil Journalisten es gewagt hatten, seinen FC Bayern zu kritisieren. “Eine Frechheit”, fand Hoeneß. Dass das ja ebenfalls ein im Grundgesetz festgelegtes Recht der Journalisten war, hatte Hoeneß wohl vergessen.


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Uli Hoeneß wirkte mehr und mehr wie ein seltenes Fossil, ein aus der Zeit Gefallener. Das manager magazin schrieb im Frühjahr über ihn, sein autokratischer Führungsstil passe eben nicht mehr zum Weltclub-Anspruch des FC Bayern – den Anspruch, den es ohne Hoeneß nie gegeben hätte: Als Hoeneß Manager wurde, im Jahr 1979, machte der Klub einen Umsatz von sechs Millionen Mark. Zuletzt waren es 600 Millionen Euro. Die Mitgliederzahl stieg während der Hoeneß-Zeit von 8.000 auf 290.000, der FC Bayern wurde zum mitgliederstärksten Sportverein der Welt. Und doch, Uli Hoeneß, der all das ermöglichte, passt jetzt nicht mehr zu diesem Verein. Wenn man so will, wurde Hoeneß aus dem FC Bayern herausgentrifiziert.

Ist das Ende der Ära Hoeneß also eine Befreiung? Für den FC Bayern mag das womöglich sogar stimmen. Für den Fußball selbst ist eine Tragödie. Denn hinter ihm wartet schon eine neue Generation von Managern, die viel schlimmer sind, als es Patriarch Hoeneß je hätte sein können.

Andrea Agnelli, der junge und überehrgeizige Präsident von Juventus Turin, erfand im Jahr 2017 kurzerhand ein neues Logo für den Traditionsverein. Das neue, aseptische Juventus “J” ließe sich global besser vermarkten, ließ er wissen. Und seinen größten Markenbotschafter, Cristiano Ronaldo, verteidigte Agnelli auch noch bedingungslos, als dem vorgeworfen wurde, eine Frau vergewaltigt zu haben.

Die neue Generation steinreicher Vereine will ihren Erfolg global vermarkten. Hoeneß sorgte sich immer darum, dass Stehplatzkarten bezahlbar blieben

In England und Paris haben sich brutalreiche Scheichs aus Katar und den Emiraten Vereine gekauft: Manchester City und Paris St. Germain (PSG). Seitdem scheren sich die Klubs um keine einzige Regel, die sich der europäische Fußball durch die UEFA selbst auferlegt hatte.

Als Paris St. Germain etwa im Sommer 2017 den Brasilianer Neymar für 222 Millionen Euro verpflichten wollte, drohte dem Verein eine Sperre wegen Verstößen gegen das Financial Fair Play, das solche Irrsinns-Käufe eigentlich eindämmen sollte. Die Lösung: Neymar schloss also einen Sponsorendeal mit Qatar Sports Investments – in Höhe von ausgerechnet 222 Millionen Euro – und zahlte seine Ablöse selbst. Qatar Sports Investments steht übrigens der Katari Nasser Al-Khelaifi vor, der – wie praktisch – auch Präsident von PSG ist.

Manchester City droht ständig wegen ähnlicher Regelverstöße der Ausschluss aus der Champions-League. Dass die Clubs dafür nur sehr mild bestraft wurden, dafür sorgte der damalige UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino. Heute ist Infantino Präsident des Weltfußballverbands FIFA.

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Die gute alte Zeit I: Uli Hoeneß, schon 1972 Hundefreund, am Pool seines Hauses in München. Foto: imago | WEREK

Diese neue Spezies global agierender Superclubs kauft sich Erfolg, um diesen global zu vermarkten. Allein Manchester City hat in den vergangenen zehn Jahren über 1,6 Milliarden Euro für Spielereinkäufe ausgeben, PSG 1,2 Milliarden. Uli Hoeneß hat sich bis zuletzt gewehrt, Fantasiesummen für Spieler auszugeben, die in Manchester oder Paris Standard sind. Je mehr Geld sein FC Bayern global verdiente, desto mehr setzte sich Hoeneß für die Fans im Stadion ein. Der Eintritt zu jedem Zweitligaspiel in England ist heute teurer als ein Besuch in der Allianz-Arena.

Es ist so ein bekannter Reflex unter Fußballfans: dieses ewige Sich-Zurücksehnen nach der Baumwolltrikot-Romantik von früher. Und natürlich, mit der Verehrung alter Helden wie Hoeneß ist es so eine Sache. Ständig ist man gefährdet, ein mürrisches Scheusal zu verklären. Dessen borstige und abstoßende Zacken im Rückblick wirken wie Ecken und Kanten eines “echten Typen”, den viele im modernen Fußball des 21. Jahrhunderts so vermissen.

Das Leben des Uli Hoeneß war eines voller Brüche. Er war gerade mal 27 Jahre alt, als er im Mai 1979 Manager des FC Bayern wurde. Fußball spielen ging nicht mehr, sein Knie war kaputt. Er nahm seine neue Aufgabe an, er machte aus dem Fußballverein FC Bayern ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen – bis heute ist sein Klub der einzige, der in Europas Spitze mitspielen kann und dabei schuldenfrei geblieben ist.

Im Jahr 1982 folgte der nächste Bruch. Hoeneß stieg in München in ein Flugzeug, weil er sich in Hannover ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft ansehen wollte. Das Flugzeug stürzte kurz vor dem Ziel über dem Osterwald ab. Hoeneß kroch schwerverletzt aus dem Wald – der einzige Überlebende. Hoeneß, der sich zuvor gerne mal in Unterhosen vor einem Oldtimer fotografieren ließ, sagte rückblickend über diesen Moment: “Da ist der Sunnyboy in mir gestorben.”

Es ist seitdem viel geschrieben worden über den eiskalten Manager Uli Hoeneß und dessen Erfolge: 14 Meistertitel und zwei Champions-League-Siege gewann der FC Bayern während Hoeneß regierte. Er baute dem Verein ein neues Stadion, die Allianz-Arena im Münchner Norden. Bescheidenheit war nie seine Stärke. “Ich bin der sozialste Mensch, den ich kenne”, sagte er mal über sich selbst. Man könnte es sich leicht machen und über den ach so arroganten Uli lachen. Oder man schaut sich einmal an, was er damit meint.

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Die gute alte Zeit II: Unterhosen-Model Hoeneß präsentiert 1973 gemeinsam mit seinem damaligen FCB-Mitspieler Paul Breitner, was sie unter der Sporthose tragen. Foto: Imago | Fred Joch

Er spendete Geld für die Opfer des Kosovo-Kriegs, er unterzeichnete als einer der ersten Funktionäre die sogenannte Berliner Erklärung gegen Homophobie im Fußball. Und: Hoeneß erkannte geistige Gesundheit als ernstes Problem für Profisportler – in einer Zeit, als die weitläufige Reaktion auf eine Depression oder einen Burn-Out noch war: Stell dich nicht so an.

Im Jahr 2002 holte er den damals 22-jährigen Sebastian Deisler nach München. Deisler galt als Jahrhunderttalent, als zukünftiger Star-Spieler. Einer, der in München zur Legende werden sollte – wie Hoeneß selbst. Doch Deisler wurde kein Star. Wie bei Hoeneß machte ihm das Knie zu schaffen. Nach mehreren Operationen war klar, dass Deisler nie wieder wirklich fit werden könnte. Also klingelte Deisler eines Abends bei Hoeneß und sagte seinem Manager: Ich kann nicht mehr. Die beiden reden die ganze Nacht, am Ende übernachtete Deisler bei Hoeneß auf dem Sofa.

Hoeneß war einer der ersten, der in Deutschland das Thema Depression im Profi-Sport erkannte – und ernst nahm

Als Deisler kurz darauf sein Karriereende verkündete, saß neben ihm: Uli Hoeneß. Die Botschaft war klar: Ich bin für dich da. Der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber bezeichnete Sebastian Deisler als “das größte Verlustgeschäft” der Vereinsgeschichte. Es war Uli Hoeneß, der Stoiber öffentlich zurechtwies: “Wenn der schwerkranke Mensch wieder gesund ist, dann reden wir wieder über den Fußballer Sebastian Deisler” sagte er damals, im Dezember 2003 – sechs Jahre, bevor der Suizid des Torhüters Robert Enke das Thema Depression mit tragischer Drastik in den Fußball holte.

Uli Hoeneß half denen, die Hilfe brauchten. Er organisierte Benefizspiele für Chemnitzer FC, Union Berlin und den FC St. Pauli, als die Vereine vor der Insolvenz standen. Den ärgsten Rivalen Borussia Dortmund rettete er mit einem Darlehen über zwei Millionen Mark. Dieses Darlehen ließ er sich zurückzahlen. Inklusive Zinsen. Man kann einen Uli Hoeneß aus seiner Heimat Ulm holen. Aber nicht Ulm aus Uli Hoeneß. Aber so unsympathisch seine schwäbische Sparsamkeit oder sein Autokratentum vorkommen mag, besser als die kalten grauen CEO-Typen aus Manchester und Paris ist das allemal.

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