Wenn du auf gutes Essen stehst – also wirklich unglaublich teure Luxusmahlzeiten und nicht nur den leckeren Pulled-Pork-Burger vom Foodtruck in der Nähe deiner Arbeit –, dann sind mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurants dein heiliger Gral. Die Köchinnen und Köche sind auf visionäre Gerichte spezialisiert, der Service lässt absolut keine Wünsche offen und die Liebe zum Detail findet man so nirgendwo anders. Im Restaurant La Pergola in Rom bekommen Stammgäste zum Beispiel mit ihren Initialen bestickte Servietten.
In den vergangenen sechs Jahrzehnten hat der 79-jährige Autor Maurizio Campiverdi in fast allen 3-Michelin-Sterne-Restaurants der Welt gegessen. Seine Erfahrungen hat er in seinem neuen Buch Tre Stelle Michelin festgehalten und damit eine interessante Perspektive auf die Champions League der Kulinarik geschaffen. Das Buch wirkt wie eine Enzyklopädie voller Fakten und witziger Anekdoten über diese fast schon mythischen Gaststätten. Er sagt: “Ich wollte meine 60 Jahre voller gastronomischer Reisen in einem Werk zusammenfassen.”
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Campiverdi ist ein exzentrischer Mann, der eine große Leidenschaft fürs Essen hat. Mit einer angenehmen Hochnäsigkeit lässt er auch mal ganz beiläufig Kommentare wie “Wenn ich zufällig in Modena bin und bei Massimo Bottura anrufe, dann bekomme ich immer einen Tisch” fallen. Seine Begeisterung für Drei-Sterne-Restaurants hat er bereits mit zwölf Jahren entwickelt: “Damals hat mich mein Vater mit in das Restaurant La Pyramide bei Lyon genommen”, erzählt er. Die Geschichte der Michelin-Sterne geht aber noch viel weiter zurück.
Die Michelin-Brüder, eigentlich die Besitzer einer Autoreifenfabrik, entwickelten den Michelin Guide im Jahr 1900 zuerst noch als Werkstattführer. In den 1920er Jahren fingen sie dann an, auch Restaurants und Hotels mit aufzulisten. Die Idee dahinter: den damals noch relativ wenigen Autobesitzern einen Grund geben, durch Frankreich zu fahren und so die Reifen abzunutzen. Das Bewertungssystem mit den Sternen kam schließlich ab dem Jahr 1926 zum Tragen.
“Als ich mit diesem Hobby anfing”, sagt Campiverdi, “gab es nur 23 Restaurants mit drei Sternen. Heute sind es viel mehr. Allerdings kommt es kaum mehr vor, dass mich ein Gericht total begeistert. Es wurde einfach schon fast alles gemacht. Vor Kurzem habe ich aber ein Risotto von Enrico Bartolini gegessen, dass mich richtig bewegt hat.”
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Der Michelin Guide ist auch bekannt für seine Geheimniskrämerei. Niemand weiß, wer die Restauranttester sind, sie kennen sich nicht mal untereinander. Außerdem wird nicht verraten, nach welchen Kriterien sie die Restaurants bewerten. Es gibt aber einige Konstanten. Französische Restaurants – oder zumindest die französische Küche – haben im Guide schon immer einen gewissen Vorzug bekommen. Außerdem wird in der westlichen Welt merkbar anders geurteilt als in der östlichen. In Europa würde beispielsweise niemals ein familiengeführtes Café oder eine Imbissbude einen Michelin-Stern bekommen, während man in Fernost auch Streetfood Beachtung schenkt.
“Manchmal lässt sich das Vorgehen von Michelin nicht erklären. Selbst nach 60 Jahren sind mir manche Dinge noch schleierhaft”, sagt Campiverdi. “Meiner Meinung nach sollte es mehr Restaurants mit zwei Sternen und weniger mit drei Sternen geben. Ich befürchte, nicht alle haben drei Sterne verdient.”
In seinem Buch schreibt Campiverdi auch darüber, wie sehr die Preise in den letzten Jahren angezogen wurden – und wie das vielen Sterne-Restaurants den Charme geraubt hat. Es können sich eben nicht viele Menschen leisten, 400 Euro für ein Abendessen auszugeben. “Mir gefällt nicht, dass man wegen dieser ‘Celebrity-Köche’ häufig nur noch ganz schwer einen Tisch bekommt und normale Menschen außen vor bleiben”, sagt Campiverdi. Was der Autor allerdings gut findet, ist die Einführung des grünen Sterns, mit dem Restaurants ausgezeichnet werden, die auf nachhaltige Küche setzen.
Obwohl in den Drei-Sterne-Restaurants alles auf einem extrem hohen Level abläuft, passieren auch Fehler. So erzählt Campiverdi in seinem Buch von einen Faux Pas in den späten 60er Jahren: Als der Autor mit seiner Begleitung im Restaurant des berühmten Kochs Michel Guérards gerade aufgegessen hatte, kam der Küchenchef zu ihnen an den Tisch und bot ihnen vier Gläser des Apfelbranntweins Calvados an. “Am darauffolgenden Morgen stellten wir erbost fest, dass man uns diese Gläser in Rechnung gestellt hatte”, sagt Campiverdi. Dabei sollten nach dem Essen angebotene Liköre immer kostenlos sein. Die Rückerstattung des Geldes war Campiverdi nicht genug: “So macht man eine Beleidigung nicht wieder gut”, berichtet er. “Also sagten wir dem Koch, dass wir jeweils eine Flasche Alkohol aus dem Keller mitnehmen. So fuhr ich mit einem Cognac aus dem Jahr 1907, den auch König Eduard VII. mochte, wieder nach Hause.”
Wenn man die 700 Seiten von Campiverdis persönlicher Reise von Cognac-Geschenken über ekstatische Gastronomie bis hin zu liebenswerten Tiraden über Äpfel als die Zukunft unseres Essens gelesen hat, will man dem alten Mann am liebsten bei jedem seiner neuen Abenteuer begleiten. “Hier in Europa muss ich noch in drei Restaurants essen. Sobald man wieder normal reisen kann, gehe ich ins Enoteca Pinchiorri, ein historisches Restaurant in Florenz”, sagt er. Ans Aufhören denkt Campiverdi also noch lange nicht.