Ein Vokuhila ist kein Witz. Wenn ich irgendwas beim diesjährigen Festival de la Coupe Mulet gelernt habe, dann das. Auf dem nach Angaben der Veranstaltenden größten Vokuhila-Festival Europas verstehen die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen den ikonischen Haarschnitt als Rebellion gegen die Gleichförmigkeit der Gesellschaft. Und sie sind hier alle in der westbelgischen Kleinstadt Boussu zusammengekommen, um die Frise zu feiern.
Eigentlich wollten sich nur 30 Freunde treffen, zusammen auf dem Feld abhängen und kiffen, aber dann ging der Trailer für ihr Vokuhila-Treffen viral. “Wenn so etwas passiert, gibt es nur zwei Dinge, die du tun kannst”, sagt Sarah Sleiman, eine der 25 Organisatorinnen. “Entweder du bläst alles ab oder du tust alles, um es zu einem riesigen Erfolg zu machen.”
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Und so geschah es, dass 1.500 Nackenspoiler-Afficionadas und Afficionados zusammenkamen und einander die Haare bewunderten.
Sarah führt mich durch das Festival. Wir treffen die Gustave Brass Band. Die Mitglieder haben sich an der Uni kennengelernt, beim Bio-Engineering-Studium. Die Nackenmatte sehen sie als visuelle Repräsentation ihrer persönlichen Ambitionen. Sie zeige ihren Kampf gegen gesellschaftliche Erwartungen.
“Mit dieser Frisur zeigst du, dass du dich nicht um dein Aussehen scherst”, erklärt mir eines der Bandmitglieder. “Im Meer der Angepassten ist der Vokuhila eine Insel der Freiheit. Unser Ziel ist es, aus dem System auszubrechen. Wir haben vor, Kleinbauernhöfe zu gründen.”
Die 1980er waren die goldene Zeit der Nackenschanze. Stars wie David Bowie und Andre Agassi trugen stolz ihre Haare vorne kurz und hinten lang. Aber die Zeiten haben sich geändert. “Er ist heute nicht mehr besonders verbreitet”, sagt einer der Friseure beim Cut Shop, an dem sich inspirierte Festivalbesucher kostenlos ihren ersten Vokuhila schneiden lassen können. “Wir hatten im Vorfeld befürchtet, dass sich niemand traut”, sagt Sarah. “Aber damit lagen wir total daneben. Die Schlange vor dem Salon ist außer Kontrolle.”
Mathias und Johannes haben sich auch erst in der Woche vor dem Festival für einen Vokuhila entschieden. “Wir hatten beide lange Haare, aber als wir von dem Festival hörten, haben wir den oberen Teil abgeschnitten”, sagt Johannes, nur um sofort zu gestehen, dass die Frisur für ihn “nur eine Phase” ist.
Der Star des Tages ist allerdings Gauthier Istin, aka Michel Mullet. Beim Schönheitswettbewerb lässt der rotblonde Hüne alle 32 Mitstreiter in der Kategorie “lange Vokuhilas” hinter sich. Der Preis? Eine Marienstatue. Warum? Vokuhilas sind hier irgendwie heilig oder so.
Istin trägt seinen beeindruckenden Vokuhila seit über einem Jahr. “Für mich ist es die ultimative Freiheit, sich durch sein Aussehen selbst zu diskreditieren”, sagt er. “Außerdem kommst du super mit Leuten in Kontakt. Du hast sofort ein Gesprächsthema.”
Aber mit dem Sieg beim Vokuhila-Wettbewerb ist Michel Mullets Auftritt auf der Bühne nicht vorbei. Er spielt auch noch mit seiner Band BB Michels. Zum Auftritt fährt er mit einem alten Moped. Die Menge dreht durch. Dann kommt Agathe auf die Bühne, eine professionelle Turnerin. Aus ihrem Leder-BH schießt sie Feuerwerk und hantiert abwechselnd mit Peitsche, Pistole und Kettensäge rum.
Als Michel Mullet für eine Country-Einlage eine Mundharmonika aus der Tasche zieht, zeigt ein Mann in einer mexikanischen Wrestlingmaske und weißer Unterwäsche seine besten Tanzmoves. Dazu trinkt er Whiskey, den er immer wieder ins Publikum spuckt. Und als ich mir das Treiben so anschaue, das Chaos auf der Bühne, das Vokuhila-Meer davor, kann ich zum ersten Mal in meinem Leben sagen, dass ich eine Frisur verstanden habe.