Wie ausgerechnet dieser 62-jährige CSUler dein Europa retten will

Bernd Posselt will zurück ins Europaparlament.

Während ausgelaugte Körper nach der “Tanz in den Mai”-Party ihre Alkoholfahne nach Hause tragen, hetzt einer zu seiner nächsten Veranstaltung in diesem Europawahlkampf: Die 100. müsste es sein, schätzt Bernd Posselt, 62, CSU-Politiker mit Seitenscheitel. Als Bernd Posselt 19 Jahre alt war, hat er die Paneuropa-Jugend Deutschland gegründet – etwas Ähnliches wie “Pulse of Europe” heute sein will. Der perfekte Markenbotschafter für die EU. Eigentlich.

Bernd Posselt sitzt seit 2014 nicht mehr im EU-Parlament. Er ist bei der letzten Europawahl rausgeflogen. Trotzdem konnte er nicht loslassen, hat laut eigener Aussage keine Sitzung verpasst und es sich zur Aufgabe gemacht, Europa zu retten. Posselt, der nach einem langen Tag gerne in der Badewanne die Marseillaise singt oder kroatische Volkslieder, will zurück ins Parlament.

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“Ich schlafe nur drei bis vier Stunden am Tag”, sagt Posselt, reibt sich nach zwei Stunden Vortrag über Europa mit dem Zeigefinger über das linke Augenlied und grinst. “Ich komm ja abends um 23 Uhr heim und fang dann an, am Schreibtisch zu arbeiten. Interviews, Artikel und so.”

“Ich habe eine 100-Stunden-Woche für Europa”

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Bernd Posselt sagt, er hat eine 100-Stunden-Woche für Europa

Der “politische Frühschoppen” im Gasthof Neuwirt in Garching bei München ist die fünfte Veranstaltung für den Ex-EU-Parlamentarier diese Woche. Und es ist erst Mittwoch. Das Motto an diesem Tag: Bernd Posselt für ein starkes Europa in einer gefährlichen Welt.

An diesem Mittwoch spricht er vor knapp 30 Leuten. Mehr Männer als Frauen. Viel weißes Haar. Altersdurchschnitt: Mitte 50 aufwärts. Typ: Bio-Deutsch. Draußen sind es mittlerweile 20 Grad, es riecht nach Grillfleisch. Während sich der Biergarten des Gasthofs langsam füllt, schüttelt Bernd Posselt drin ein paar Hände und signiert sein Buch: Bernd Posselt erzählt Europa: Geschichten und Personen, Bauplan und Visionen. “Ich habe eine 100-Stunden-Woche für Europa”, sagt Posselt.


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“Ich liebe dieses Europa”, sagt Posselt. “Und ich bin der Meinung, dass dieses Europa existenziell gefährdet ist. Wenn Sie ein krankes Kind haben, gehen sie auch ans Krankenbett.” Er bezeichnet sich selbst als “Wanderprediger” und “überzeugten Anti-Nationalisten”. Alexander Gauland nennt er “einen Braunen in Nadelstreifen”. Posselt spricht Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Tschechisch, setzt sich für den Dialog mit Minderheiten ein.

Er könnte der perfekte Influencer für die EU sein – nur ohne Instagram und die passende Figur. Die richtigen Worte findet er immer. Es müsste sie nur jemand hören. Obwohl er kein Abgeordneter mehr ist, besucht er weiter die Sitzungen des EU-Parlaments. Als Gast. Er hat kein Rederecht, aber Bernd Posselt, so sieht er das, hat nun mal eine Mission.

“Wissen Sie, was ein Dackel ist?”

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Bier, Weißwurst und ein “Angriff auf Europa”

Wer heute in Garching zu seiner Veranstaltung kommt und deutlich unter 40 ist, wird beim Betreten des Festsaals extrem freundlich begrüßt – aber auch direkt auf sein Alter hingewiesen: “Ach junge Leute, das ist aber schön.” Die Tische im Raum sind für dreimal so viele Menschen eingedeckt, wie anwesend sind. Brezn in roten Plastikkörbchen und blau-weiße Fähnchen vom CSU-Ortsverband stehen darauf verteilt. Die Kellnerinnen balancieren volle Weißbiergläser durch den Festsaal. Mit 26 Jahren senkt man den Altersdurchschnitt knapp um die Hälfte.

Er komme schon heran an die jungen Leute, sagt Posselt. “Aber am 1. Mai in der Früh schlafen die. Ich kann von niemand verlangen, dass er hierher geht. Das kenn ich ja von mir selbst früher”. Bei dieser Wahl tritt Posselt wieder an, Listenplatz 7. Geht man nach aktuellen Wahlumfragen, dürfte er es damit auch 2019 nicht ins Europaparlament schaffen. Posselt selbst sagt, er sei von seiner Rückkehr nach Brüssel “hundertprozentig” überzeugt. Er muss zurück, denn er sieht einen “Angriff auf Europa”.

“Der nationale Weg”, wie Posselt es nennt, führe in die Sackgasse. Er wolle junge Leute für Europa begeistern, für Frieden und Freiheit sensibilisieren, damit sie die EU nicht irgendwann auf die Seite wischen. Er gibt sich überzeugt davon, dass die europäische Einigung eine Überlebensfrage ist. Posselt vergleicht die Nationalstaaten in Europa mit Dackeln, die sich mit Doggen anlegen wollen: “Wissen Sie, was ein Dackel ist?”, fragt er in die Runde. “Der Dackel ist ein kleiner Hund, der sich für einen Wolf hält. Und das Besondere am Dackel ist, dass er nicht weiß, dass er ein Dackel ist. Deswegen geht auf die Dogge los, weil er denkt, er ist größer und stärker.”

“Meine Kinder müssten öfter daran erinnert werden, warum die EU eigentlich so wichtig ist”

Laut dem Eurobarometer, eine Studie im Auftrag der EU-Kommission, befürworten 80 Prozent der jungen Deutschen eine Mitgliedschaft in der EU. Wir reisen grenzenlos, fliegen über das Wochenende nach Barcelona zum Feiern oder Knutschen im Erasmus-Semester in Prag. Aber wo sind die heute, diese jungen Leute?

“Bei anderen Wahlkampfveranstaltungen in der Münchner Innenstadt waren es auch nicht mehr”, sagt CSU-Stadtrat Jürgen Ascherl. Bei Facebook hätten 43 Leute zugesagt. “Ich denke, die jungen Leute sind satt von Informationen”. Bei der letzten Europawahl gingen gerade einmal ein Drittel der Berechtigten unter 24 wählen. Vielleicht zieht die Grüne Katharina Schulze in Sneakers und Leggings mit Wahlwerbung auf Instagram aber auch einfach mehr als Bernd Posselt mit handsigniertem Buch im Wirtshaus. Auch, wenn die Inhalte stimmen.

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Eine der jüngsten Besucherinnen bei Posselts Frühschoppen: Steffi, 45

Steffi Lemke ist eine der jüngsten Besucherinnen beim politischen Frühschoppen, sie ist 45. Ihre Mutter sitzt gegenüber. Sie muss selbst ein bisschen darüber lachen. “Ich ärgere mich, meine Kinder nicht mitgebracht zu haben”, sagt sie. “Die müssten öfter daran erinnert werden, warum die EU eigentlich so wichtig ist.”

“Das müssen junge Leute machen!”

Mit welchen Themen will Posselt die junge Leute überzeugen? Posselt stört die Frage: “Ich halte nichts davon zu sagen: Das interessiert nur junge Leute, das interessiert nur alte Leute.” Klar, sagt er, gebe es spezielle Themen, die die Jungen mehr bewegen: Jugendarbeitslosigkeit, Klimawandel, Existenzfragen. Und auch ein lebenslanger Kampf für Europa, wie ihn Posselt geführt hat, geht einmal zu Ende. Es gibt da ein Projekt, das muss er seinen Nachfolgern überlassen: “Ich will eine richtige europäische Verfassung”, sagt er. “Das müssen junge Leute machen! Sie sollen wählen gehen, weil man so europäische Parteien gegen Nationalisten stärkt. Die wollen nur ins Parlament, um es zu zerstören.” Aber wählen gehen, verhindern, dass Nationalisten sein Europa zerstören, das sei kein exklusives Thema für junge Wähler, sondern für alle. “Ich halte es für eine Fehlentwicklung unserer Zeit, dass jeder nur noch in seiner eigenen Blase schwimmt – wie auf Social Media.”

So ein bisschen wirkt der Festsaal in Garching aber auch wie eine Blase an diesem 1. Mai. Eine exklusive Runde vor bayerischer Landhaus-Kulisse. Mit Posselt am Stehtisch. Der lässt das Mikro liegen, seine Stimme erfüllt auch so den Raum. Ein Skript hat er nicht dabei. “Hab noch nie was vorgelesen”, sagt er nachher, “das würde mich nur selbst langweilen”. Und Langeweile will Posselt vermeiden, in seiner 100-Stunden-Woche für Europa. Er hat zwar keine Kinder, aber das Bedürfnis sich um Europa zu kümmern. “Ich bin jetzt über 60”, sagt Posselt. “Ich könnte jeden Tag unter einer Palme liegen und nichts tun. Aber dann wär ich schon längst gestorben – vor Langeweile.”

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