Meine Nachbarn, Alex Nikolic und Michael Kalivoda, sind bekannte und versiertere Unruhestifter im Bereich des politischen Kunst-Aktivismus. Auch mit ihrer aktuellen Arbeit „European Citizenship“, einer Skulptur der uns gnädig mit Scheiße nährenden deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, werden sie ihrem Ruf gerecht.
Seit ihrer ersten Präsentation vor wenigen Wochen löst die Skulptur Tumulte, Proteste, Beifall und Reaktionen aller Art aus. Doch während international die Wogen hoch gehen, herrscht in Österreich mediale Beschaulichkeit, wo die Tabloids auch mit internationaler Legitimierung die Witterung von Scheiße nicht aufnehmen. Deshalb hier kurz eine Chronologie der Ereignisse und ein Interview mit einem der beteiligten Künstler – denn auch mich stellt die Arbeit vor ein großes Rätsel: Warum scheißt die Kanzlerin eigentlich knapp vor den Kopf des Mannes, der sie stützt?
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Die Notdurft verrichtende Angie wurde erstmals vor 2 Wochen im Wiener Kulturraum W.U.K. präsentiert, was zu einem nicht zu verachtenden Eklat führte. Ein ebenso entrüsteter wie betrunkener junger Mann namens Daniel F. fühlte sich zu einer Variation einer Bücherverbrennung bemüßigt und glaubte, er könnte die Angie-Skulptur in einem unbeobachteten Moment zerstören. Nur blöd, dass das Ding auf der Bühne stand und er dafür am übrigen Publikum vorbei musste – ein paar Watschen und eine Ausnüchterung später half Daniel aus Mangel an politischer Argumentationsfähigkeit dann an der Wiederherstellung von European Citzenship mit.
Wie geplant wurde die Skulptur anschließend bei der Ausstellung „Da ist was im Busch“ im Rahmen der Internationalen Skulpturen Biennale im Botanischen Garten Graz ausgestellt. Und schon ging der mediale Shitstorm in Deutschland los: Während der Münchner Merkur sofort die autoritäre Untertanenfrage stellte „Darf man die Kanzlerin so darstellen?“, gab sich das Magazin Focus großzügiger und gesteht den Künstlern verdattert zu, die Redenschreiber Angela Merkels überflügelt zu haben.
Als nächstes schwappte die Kunst-Aufregung in den südosteuropäischen Blätterwald über, und Herrn Nikolic wird mein Lebenstraum erfüllt: Mit Urlaubsfoto und Überschrift „Dieser Serbe schockiert die Welt“ ist er am Cover von ALO, einer der größten serbischen Illustrierten zu sehen. Michael Kalivoda wird von nun an in allen Medien ignoriert, vermutlich da nicht-Serbe.
Während in Diskussionsforen über doppelte europäische Standards gestritten wird, warum man Mohammed zeigen darf aber Merkel nicht, andere in der Angie-Skulptur eine neue Mona Lisa zu erkennen glauben und dritte sich begeistert die Errichtung ebensolcher Skulpturen vor allen serbischen Verwaltungssitzen wünschen, sorgen sich vierte darum, dass sich Serbiens EU-Beitritt nun um 100 Jahre verzögern werde, alles nur weil Nikolic Schande über das Serbentum gebracht habe.
Inzwischen nahm artleaks die Witterung auf und auch griechische Medien kaperten die Story. Laufend werden weitere internationale Reaktionen publik, nur am Entstehungsort herrscht weiter die geheiligte Ruhe des stillen Örtchens Österreich.
Ich frage mich nun, wo seid ihr österreichischen Boulevardmedien, wenn euch die Scheiße in mundgerechten Häppchen frisch serviert wird? Keine Empörung? Was ist los, wenn einmal frisch vom Arschloch gegen Ekelkunst von Zuwanderern geschimpft werden kann?
Vielleicht liegt es daran, dass ihr die Skulptur nicht finden könnt, weil den Ausstellungsverantwortlichen, hier die Uni Graz, der ganze Wirbel mit Kunst, Medien und politischem Diskurs ein bisschen zu viel, zu anstrengend, zu was auch immer geworden ist, und sie den Namen der Grazer Ausstellung „Da ist was im Busch“, sehr direkt und wörtlich in die Tat umgesetzt haben: Kanzlerin Angela Merkel wurde praktisch unauffindbar in einen Busch verschoben und so wird an ihr von höchster Stelle Kunstvandalismus betrieben.
Nun sitzt Angie auf einer Hecke, ihre Hose wurde artig hinaufgeschoben und das aus ihrem Popo ragende Kackwürstchen wurde entfernt. Der Mann liegt nicht mehr unter ihr, sondern stützt sich von hinten auf ihren Schultern auf. Ein Schild weist nun darauf hin, dass man das Exponat nur mehr vom Weg aus betrachten darf. Was Daniel F. aus innerem Drang begann, hat die Grazer Uni konsequent zu Ende gebracht.
Auch sehr lustig, dass die Grazer Uni im Rahmen eines kleinen Ausrutschers den gesamten internen Mail-Verkehr an Alex Nikolic weiterleitete. Darin diffamierten Mitarbeiter des Gastgebers zunächst pauschal alle eingeladenen Künstlerinnen: “Insgesamt lässt die künstlerische Qualität der Exponate meiner Meinung nach zu wünschen übrig. Mit wenigen Ausnahmen, die als Garten-Deko eine Zukunft haben könnten.“ Anstatt sich schützend vor die bei ihnen ausgestellten Künstler zu stellen, gibt sie ihr Kunstverständnis preis: „Nichts gegen Aufreger/Schocker in der Kunst oder auch Trash, aber das hier ist wert- und geschmacklos.“
Während die Grazer Uni ihren geladenen Künstlern in den Rücken fällt und österreichische Medien den Fall ignorieren, wollte ich von dem meiner Meinung nach interessantesten Künstler Österreichs in Sachen Partizipation, Migration und Öffentlichkeit, Alexander Nikolic, vor allem eines wissen.
VICE: Warum scheißt Merkel dem Mann neben den Mund?
Alex Nikolic: Wir haben uns gedacht: Die produziert so viel Scheiße, einer alleine kann das gar nicht schlucken.
Was war für Dich die abstrakte Idee, die hier die Form einer skulpturalen Arbeit gefunden hat?
Inspirierend war der Titel der Ausstellung: Da ist was im Busch. Nachdem es vor allem bei meiner Arbeit um Kollektive, Repräsentation und Partizipation geht und wir auch sehr stark innerhalb von ArbeiterInnenschichten arbeiten, wollten wir ein hier sehr verbreitetes Gefühl adressieren: Die Politik scheißt auf uns. Das haben wir auf die mächtigste europäische Politikerin umgelegt, welche in allen europäischen Ländern die Politik dominiert, aber nur in einem gewählt wurde.
Die Skulptur hat in 2 Wochen mehr erlebt als andere in einem Leben. Haben dich die Reaktionen überrascht?
Nein, sie waren kalkulierter Aspekt der Arbeit selbst. Wir wollten European Citizenship zu einem weithin rezipierten Ereignis machen und die Frage stellen: Wen repräsentiert Angela Merkel überhaupt noch? Uns hat aber schon überrascht, dass eine österreichische Uni sich so eilfertig mit der deutschen Kanzlerin solidarisiert und sich zu ihrem verlängerten Arm macht. Wir beschweren uns ja auch nicht beim Botanischen Garten: Das ist alles Unkraut, baut mehr halluzinogene Pflanzen an! Ich bin froh, dass die Ausstellung nicht in einem Tiergarten stattgefunden hat, sonst hätten sie uns wohl Gaddafis weißen Babytigern zum Fraß vorgeworfen.
Wie erklärst du dir das Schweigen österreichischer Medien?
Die Konservative Angela Merkel ist bekanntermaßen das Vorbild des Sozialdemokraten und österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann. Von letzterem ist bekannt, dass er der größten Zeitung des Landes viel Geld gezahlt hat, dass sie nur über ihn selbst berichtete. Wenn sogar Faymann für Artikel in Zeitungen zahlen muss…? Nächste Frage bitte.
Wie ist es denn grundsätzliche für Migranten in Österreich künstlerisch zu arbeiten? Seitens der Wiener Stadtregierung war wiederholt von Migrant Mainstreaming die Rede.
Mainstream ist richtig, nur nicht auffallen, nur nicht außerhalb der zugestandenen Zielgruppe arbeiten, sondern immer brav den konstruktiven Ausländer machen. Migrant darf man nur im Rahmen von beschaulicher und zahnloser Community-Arbeit oder an ein paar gettoisierten Restplätzen sein. Am liebsten ist es ihnen wie beim Wiener Afrikafest, deutsche Unternehmen richten die Veranstaltung aus, Fress-Stände werden als kulinarischer Tourismus inszeniert und die in Österreich lebenden Afrikaner spielen bei der Gestaltung keine Rolle. Das sagt alles.
Du arbeitest für gewöhnlich längerfristig und prozessual an Fragestellungen, wie beispielsweise im Fall deines in Nairobi realisierten Projekts Slum-TV oder wie im Fall des Wiener BOEM. Was ist für dich das Spannende an dieser Arbeitsweise und was steht als nächstes an?
Bewiesenermaßen ist die Kunstsinnigkeit von Afrikanern im Slum und diskriminierten Migranten rund ums Boem höher als die einer Grazer Universität. Dadurch ist unsere gemeinsame Arbeit schärfer, lustiger und viel näher an den Problemen und Fragen des gewöhnlichen Lebens dran. Kunst, die zum Dekor in der Weltbank verkommt, interessiert mich nicht. Als nächstes machen wir wieder ein Theaterstück: AUSTROCALYPSE NOW – Tauchen Sie ein in die Wiener Nachkriegswelt! Mit Kampf erprobten Veteranen des Jugoslawien-Krieges, die 11 Monate des Jahres hier leben. Der meist verdrängte Krieg in Österreich ist der des ehemaligen Jugoslawiens. Am Vorabend des österreichischen Nationalfeiertags, dem 25. Oktober, „ehren“ wir im Volkstheater endlich alle unsere Veteranen.