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Meinung

Warum du nicht 80 Stunden die Woche arbeiten sollst, auch nicht für Elon Musk

Der Tech-Milliardär behauptet: "Niemand hat jemals die Welt in 40 Stunden verändert." Nicht nur ist das falsch, sondern stinkt auch sehr nach Ausbeutung.
Elon Musk scheint Ausbeutung zu bevorzugen
Foto: Peter Parks | AFP | Getty Images

"Ihr werdet die Welt verändern!" Wenn dein Boss so etwas sagt, ist das ein sicheres Zeichen, dass er oder sie vor allem eins tut: Scheiße labern.

Dieser Motivationsspruch fußt auf der verhältnismäßig jungen Ideologie, dass du – ja, du! – ein einzigartiges und besonderes Wesen bist. Folglich verdienst du einen Job, der bedeutsam ist und die Welt bereichert.

Wenn solche Ansagen aus dem Tech-Sektor kommen – wo dieses Denken dermaßen verbreitet ist, dass man sich wunderbar darüber lustig machen kann –, kann da natürlich etwas Wahres dran sein. Neue Technologien können tatsächlich die Welt verändern, wenn auch nicht immer verbessern. Vor allem scheint dieses Gerede aber ein Abwehrmechanismus zu sein, um das eigene exorbitante Gehalt zu rechtfertigen.

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Womit wir bei Elon Musk wären. Dieser hatte am 26. November getwittert, was er von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwartet:

Der Tesla-Chef schrieb weiter: "Aber wenn du liebst, was du tust, fühlt es sich (meistens) nicht wie Arbeit an." Auch wenn die ideale Arbeitszeit von Person zu Person variiere, twitterte er, brauche es "etwa 80 Stunden durchgehend mit vorübergehenden Spitzenzeiten von über 100 Wochenstunden", um die Welt zu ändern.

Zuerst einmal ist die Vorstellung, dass ein derartiges Arbeitspensum in irgendeiner Weise förderlich ist, mehr als fragwürdig: Der Stanford-Ökonom John Pencanvel analysierte 2014 Fabrikdaten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und aktuellere Quellen. Er kam zu dem Schluss, dass Arbeitszeiten von über 50 Wochenstunden sinkende Erträge mit sich bringen und die Arbeitsleistung der Angestellten sogar verringern können.

Andere Studien suggerieren ähnlich, dass lange Arbeitszeiten schlecht für dich und schlecht für deine Arbeit sind. Eine 2017 erschiene wissenschaftliche Übersicht des CUNY-Hochschulverbunds zitiert eine Studie von 2005, die ergeben hatte, dass eine 60-Stunden-Woche das Risiko für arbeitsbedingte Verletzungen und Krankheiten um 23 Prozent erhöht.


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Das alles scheint Musk nicht zu interessieren. Ihm, dem Mann mit einem Privatvermögen von 24 Milliarden US-Dollar, geht es in erster Linie darum, das Meiste für sein Geld, respektive von seinen Angestellten zu bekommen.

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Meiner Meinung nach sagt Musk eigentlich Folgendes: Ich will mein Erbe zementieren, indem ich die Welt durch Technologie verändere – und damit auch meinen Wohlstand und meinen Wert für die Gesellschaft. Um das zu erreichen, benötige ich deine Hilfe. Ich bin bereit, dir dafür einen ausgehandelten Lohn zu zahlen. Aber wo du schon mal hier bist, versuche ich, noch etwas mehr Arbeitskraft aus dir herauszuquetschen, indem ich dir die Idee verkaufe, dass auch du die Welt verändern wirst. Und wenn du nicht darauf reinfällst, finde ich schnell jemand anderes.

Damit unterscheidet er sich von wenigen Chefs, von wenigen Chefinnen dieser Welt. Ein Boss will Geld mit irgendwas verdienen und bezahlt dich, damit du dabei hilfst. Unser aktuelles System ist allerdings so ausgelegt, dass deine Chefin wahrscheinlich versuchen wird, dir so wenig wie möglich dafür zu zahlen. So kann sie nämlich mehr Geld für sich behalten. Vielleicht investiert dein Chef die Kohle wieder in die Firma, vielleicht kauft er sich einfach ein Boot. Im Fall von Private-Equity-Typen ist es eigentlich immer das Boot.

Eine ebenfalls beliebte und verbreitete Methode zur Arbeitszeitmaximierung ist das perfide Verwischen der Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben. Dein Boss wird dich dazu bringen, länger zu bleiben, dich an dein Smartphone fesseln oder dir Aufgaben aufhalsen, die eigentlich nicht in deinen Bereich fallen.

Der ultimative Traum einer jeden Chefin, eines jeden Chefs ist es, die Angestellten glauben zu lassen, dass sie Teil von etwas Größeren sind, dass das Projekt das eigene Opfer wert ist. Anteile am Unternehmen gibt es natürlich trotzdem nicht. Die Utopie teilt die Chefin mit der Welt, die Profite behält sie.

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An dieser Stelle sollte man auch die Frage stellen, was "die Welt verändern" eigentlich bedeuten soll. Umweltfreundlichere Mobilität dank Elektro-Autos von Tesla könnte dabei helfen, die Lebenszeit der Menschheit auf der Erde etwas zu verlängern. Das ist nett und an sich gut. Gleichzeitig ließe sich einwenden, dass es sich dabei lediglich um ein schwaches Ablassventil handelt. An der kapitalistischen Tendenz, die globalen Ressourcen zu verfeuern, ändert ein Elektroauto nichts.

Solche grünen Technologien scheinen in erster Linie darauf angelegt zu sein, dass du ein weniger schlechtes Gewissen hast, wenn du täglich allein im Auto zur Arbeit fährst. Und auch wenn SpaceX auf eine nerdige Art "cool" ist, scheint das Projekt am Ende auf Weltraumtourismus für die Ultrareichen hinauszulaufen. Vielleicht stellt das Unternehmen irgendwann die Fluchtkapseln her, mit denen wir vom sterbenden Planeten Erde entkommen – auch wenn Musk das abstreitet.

Wie dem auch sei. Versuch dir mal vorzustellen, was "Veränderung" für deine persönliche Welt bedeuten könnte. Wird sich mehr Arbeit positiv auf dein Leben auswirken? Eher unwahrscheinlich. Würde mehr Zeit deiner ohnehin beschränkten Existenz für andere Aktivitäten wie Lesen, Schreiben, die Welt zu erkunden oder mit deinen Kindern zu spielen, deine Lebensqualität erhöhen? Wahrscheinlich schon. Und trotzdem ist es nicht das, was Musk seinen potenziellen Arbeitskräften verkaufen will. Es ist noch nicht mal die Welt, die er mit seinen technologischen Neuerungen erschaffen will.

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Stell dir vor, du würdest zurück in das Jahr 1930 reisen und jemandem von den ganzen technischen Innovationen unserer Zeit erzählen. Wenn du der Person dann sagen würdest, wie viele Stunden wir immer noch arbeiten müssen, würden ihr sämtliche Gesichtszüge entgleisen. Der renommierte britische Ökonom John Maynard Keynes hätte dir dafür einen Satz heiße Ohren verpasst.

Was auch immer Elon Musk mit den Produkten seiner Tech-Firmen erreicht, wird die Welt weniger verändern als das, was diejenigen erreicht haben, die für den Achtstundentag und die Vierzigstundenwoche gekämpft haben – und teilweise dafür gestorben sind. Du weißt schon, die Menschen in Gewerkschaften zum Beispiel, die Musk schon lange verspottet, gegen die er mutmaßlich vorgeht. Menschen wie diese haben die materiellen Umstände unser aller Leben auf der ganzen Welt auf eine Art verändert, wie Musk oder irgendein Chef es niemals tun wird.

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