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rache ist süß

Dieser Typ hat gerade die größte deutsche Verschwörungs-Seite gepfändet

Um die Seite zurückzubekommen, muss das 'Compact'-Magazin Richard Gutjahr jetzt Geld bezahlen.
Collage: Sabrina Schrödl, aus Screenshots und Foto von imago | future image

Ein bisschen Genugtuung kann Richard Gutjahr sich nicht verkneifen, als er die Neuigkeit auf Twitter meldet: "Ich hab dann mal die Domain compact-online.de gepfändet", schrieb der Journalist am Dienstag.

Die Zufriedenheit ist verständlich: Die Pfändung einer der größten deutschen Verschwörungs- und Hetz-Schleudern ist ein kleiner Erfolg in einem Kampf, den Gutjahr jetzt schon seit über einem Jahr gegen die dunkelsten Seiten des deutschen Internets führt.

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Am 14. Juli 2016 stand Gutjahr auf einer Hotelterrasse in Nizza über der Promenade des Anglais, als ein islamistischer Attentäter mit Vollgas einen LKW in die dort versammelte Menge steuerte und 86 Menschen tötete. Gutjahr filmte den Anschlag mit seinem Telefon und produzierte so eines der wichtigsten Videos der Tat, das er dann der ARD zur Verfügung stellte.

Acht Tage später, am 22. Juli, war Gutjahr gerade in München, als er die Nachricht bekam, dass am Olympia-Einkaufszentrum Schüsse fielen. Er machte sich auf den Weg dorthin und war einer der ersten Journalisten am Ort des Geschehens, das sich später als der ausländerfeindlich motivierte Anschlag des David S. herausstellen sollte.

Nur ein winziger Bruchteil aller Menschen auf der Welt erleben je einen Terroranschlag aus der Nähe. Und fast niemand hat das Pech von Gutjahr, innerhalb von acht Tagen gleich zwei solche Attentate zu erleben. Ein ungeheuerlicher Zufall – der für ein paar der denkschwacheren Menschen im Internet einfach zu viel war.

Für Menschen, die hinter jedem Terroranschlag im Westen eine Verschwörung der dunklen Mächte vermuten, war Gutjahrs Geschichte eine Steilvorlage. Als die ersten Google-Rechercheure dann herausfanden, dass Gutjahr mit einer ehemaligen Knesset-Abgeordneten aus Israel verheiratet ist, war es endgültig um die Verschwörungsspezialisten geschehen: Wenn auch noch "die Juden" drinstecken, dann sei ja klar, dass es sich nur um einen düsteren Plan der geheimen Weltregierung handeln könne, die durch Chaos und Terror die "New World Order" erstehen lassen will.

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Damit begann eine Online-Hetzkampagne gegen Gutjahr und seine Familie, die in immer krasseren öffentlich geäußerten Gewaltfantasien und schließlich Morddrohungen selbst gegen seine Tochter gipfelte. Wie sehr ihm die Welle aus Hass zusetzte, hat Gutjahr in einem Ted-Talk in Marokko geschildert:

Gutjahr beschloss, den Kampf gegen die Flut aus Wahnsinn aufzunehmen. Dabei stieß er auf überraschend viele Hindernisse – die Plattformen wie Facebook und YouTube und die Behörden überboten sich an Trägheit und fehlender Hilfsbereitschaft. Wie sich das anfühlte, hat der Journalist vor Kurzem in einem wütenden Blogpost aufgeschrieben. Aber Gutjahr und sein Anwalt Markus Kompa gaben nicht auf. "Wir haben das Landgericht in Köln im letzten Jahr ziemlich gut beschäftigt", sagt Kompa zu VICE.

Die Pfändung der Compact-Domain ist ein erster Erfolg. Es ging dabei um ein Buch des Kopp-Verlag-Autors Gerhard Wisnewski, der jedes Jahr eine Sammlung von Verschwörungstheorien herausbringt. In der Ausgabe Was 2016 nicht in der Zeitung stand hatte Wisnewski Richard Gutjahr und seiner Familie ein ganzes Kapitel gewidmet. Gutjahr wehrte sich dagegen, indem er eine Rezension auf Amazon schrieb und dann auf Facebook dazu aufrief, die möglichst oft als "hilfreich" zu bewerten, sodass sie nach oben rutscht. Compact warf Gutjahr daraufhin eine "Zensurkampagne" vor – und Gutjahr verklagte die Zeitschrift deswegen. Weil Compact die vierstelligen Verfahrenskosten nicht rechtzeitig zahlte, konnte der Anwalt Kompa jetzt also deren Domain pfänden. "Ich habe mir mit großem Interesse das Mobiliar der Compact-Villa im letzten Spiegel angesehen", erklärte Gutjahr gegenüber netzpolitik.org. "Es gab dort aber nichts, was mich interessiert hätte. Also haben wir uns für die Domain entschieden."

Die Pfändung ist allerdings ein eher symbolischer Akt, die Seite ist immer noch online. Theoretisch hätten Gutjahr und Kompa die Domain versteigern können – wenn Compact weiter nicht gezahlt hätte. "Aber erfahrungsgemäß werden die Leute sehr mobil, wenn man die Domain pfändet", erklärt Kompa. So auch Compact: Noch am Dienstag sei die Überweisung eingegangen, damit ist die Pfändung wieder hinfällig.

Auch wenn die Aktion dem Journalisten sichtlich Spaß gemacht hat: Für Gutjahr ist der Kampf gegen den Hass aus dem Netz noch nicht beendet. "Das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagte er am Dienstagabend zu VICE. "Das wird noch lange weitergehen."

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