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'No Man's Sky' bläst zur Schnitzeljagd im echten Leben und die Spieler geben alles

Mysteriöse Informanten in New York, Funkcodes und ein spektakulärer Livestream: Beim neuen Meta-Spiel für die Fans von 'No Man's Sky' haben sich die Entwickler selbst übertroffen.
Screenshot: Twitch-Stream von User "Courage99"

New York City, 19. Januar 2018, Punkt 21 Uhr: Der Twitch-Streamer "Courage99" steigt aus seinem Auto und betritt ein kleines Café. Ein junger Mann, der eine auffällige Fliegerjacke trägt und auf dem Tisch vor sich ein wuchtiges, altes Buch liegen hat, blickt ihn erwartungsvoll an. Der Streamer setzt sich zu der unbekannten Person und erhält nach einem kurzem Gespräch einen Umschlag mit roter "TOP SECRET"-Beschriftung. Tausende Zuschauer, die über das Smartphone von "Courage99" via Livestream die Szene beobachten, können sich vor Begeisterung nun kaum noch halten: Sie spammen begeisterte Jubelrufe in den Chat, während der Streamer das Café verlässt und noch auf dem Bürgersteig mit zitternden Händen den Umschlag öffnet.

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Was ist da gerade passiert?

"Courage99" ist Teil einer eingeschworenen Gaming-Community, die ein ganz besonderes Lieblingsspiel hat: Das Weltraum-Abenteuer No Man's Sky, das in seinem Erscheinungsjahr 2016 die hohen Erwartungen der Fachpresse und Spieler weltweit enttäuschte und gemeinhin als schlechtestes Spiel des Jahres galt. Infolgedessen schrumpfte die Community des Spiels alleine auf dem PC innerhalb eines Monats von 200.000 auf nur noch 3.000 Spieler. Doch ein paar hundert Hardcore-Fans halten dem Titel die Treue und werden dafür von den Entwicklern mit einzigartigen Abenteuern abseits von der Weltraumumgebung des Spiels belohnt.

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Hinter diesen Abenteuern stecken die sogenannten Alternate Reality Games (ARGs): Die Entwickler streuen mysteriöse Hinweise in den Foren der Community und auf einer Website namens Waking Titan und fordern die Spieler dazu auf, die von ihnen gestellten Aufgaben und Rätsel zu lösen. Die Fans organisieren sich dann über das Internet, finden sich in Discord-Gruppen zusammen, stellen seitenlange Brainstorming-Dokumente zusammen und dokumentieren den Verlauf ihrer Rätselraterei in eigens dafür eingerichteten Wikipedia-Beiträgen. Und dieser Grad der Organisation ist auch notwendig, denn die entscheidenden Hinweise verstecken sich oft genug nicht nur in Dokumenten oder vielsagenden Tweets der Entwickler, sondern müssen zuweilen auch in Radio-Werbespots, verschlüsselten Emails oder ominösen Live-Streams entdeckt und kombiniert werden.

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Als Belohnung für die oft wochenlange kollaborative Detektivarbeit winkt dann ein Teaser für ein kommendes Spiel-Update oder ein erster Blick auf neue Features, die noch in Arbeit sind – und das lange bevor diese Neuigkeit auf dem Radar der Fachpresse landet. Doch es geht beim Lösen der ARGs nicht nur darum, schneller als alle anderen von kommenden Updates zu erfahren. Längst sind diese Alternate Reality Games zu einem wichtigen Event für die No Man's Sky-Community geworden, die sich zum gemeinsamen Rätseln zusammenfinden und daran erinnert werden, dass sie mit ihrer Leidenschaft für ihr Lieblingsspiel trotz allem nicht alleine sind.

Die Eingabemaske auf der Website "Waking Titan" war bereits in vergangenen ARGs der Startpunkt für einige spannende Schnitzeljagden | Bild: Screenshot Hello Games

Seit Anfang 2017 veranstalteten die Entwickler drei dieser ARGs, die immer wieder die Grenzen des Internets überschritten und Spieler auch in der echten Welt nach Hinweisen suchen ließen. Einer der Höhepunkte dieser vergangenen Schnitzeljagden war sicherlich der Versand von 16 altmodischen Kassetten an auserwählte Mitglieder der Community, die von den Entwicklern händisch mit Audio-Codes bespielt und beschriftet wurden.

Nach einer mehrwöchigen Pause ist nun das vierte ARG gestartet und verspricht schon jetzt, die vielleicht aufregendste und weitreichendste Schnitzeljagd zu werden, die der Community von No Man's Sky bisher geboten wurde: Noch nie kam es so schnell zu einem sogenannten Live Drop, in dem ein Mitglied der Community an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit sein muss, um wertvolle Hinweise direkt von einem Schauspieler zu erhalten. Und auch sonst scheinen sich die Entwickler ins Zeug gelegt zu haben:

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Bereits Ende Dezember 2017 bemerkten einige NMS-Spieler, dass die alte Rätsel-Anlaufstelle Waking Titan wieder aktiviert und die zehnte von insgesamt 15 Glyphen, rätselhafte Objekte auf der Website, freigeschaltet wurde. Ein Klick auf diese Glyphe führt zu einem GoogleDrive-Ordner, der 17 Bilder mit endlos gespiegelten Motiven enthält. Die Community fand schnell heraus, dass sich hier ein weiteres Rätsel verbirgt: Werden nämlich die Titel der Bilder aneinandergehängt und dabei alle Titel, die eine Doppelnull enthalten, ausgelassen, so ergibt sich ein Code, der mit Hilfe des Hexidezimalsystems als "moirrr" entschlüsselt werden kann – ein Anagramm für "mirror". Was es damit auf sich hat, ist der Community noch nicht klar, doch viele Spieler vermuten einen Zusammenhang mit dem zweiten Teil des Rätsels, dem der Streamer "Courage99" unterdessen abseits vom Bildschirm in New York nachjagte.

Die Schnitzeljagd nimmt Fahrt auf

Auch dieses zweite Rätsel startete auf der Waking Titan-Website. Am 20. Januar wurde die Eingabemaske der Homepage innerhalb weniger Stunden mehrfach aktualisiert und gab schließlich eine Telefonnummer aus, als ein Spieler "STATUS" in das Eingabefeld tippte. Die Nummer verband den Anruf mit einer Audiosequenz, die die Hobby-Detektive schließlich mit Hilfe einer Funk-Codierung entschlüsseln konnten. So erhielten sie eine Niederschlagstabelle, die die durchschnittliche Regenmenge einer ganzen Reihe von Städte anzeigte. Indem sie die Städte nach dem Alphabet ordneten, stießen sie schließlich auf die Ortsangabe, die "Courage99" zu dem Café in New York City führte.

Hier erhielt der Streamer den "TOP SECRET"-Umschlag, in dem er eine kryptische Grußbotschaft fand, auf deren letzte Seite mit Filzstift REM gekrakelt wurde. Das erregte die Aufmerksamkeit der Community, die das Gespräch zwischen "Courage99" und dem Informanten im Café mitangehört und sich an einen Satz erinnerten, den der junge Mann immer wieder wiederholt hatte: "Bekommt ihr auch genug Schlaf?" Die Spieler schlussfolgerten daraus, dass die Abkürzung REM auf die gleichnamige Tiefschlafphase anspielen muss und tippten "REM SLEEP" in die Eingabemaske der Waking Titan-Website ein. Diese Eingabe führte sie zu einem Umfrageformular mit sechs Fragen. Die Community entdeckte, dass eine siebte Frage freigeschaltet wird, wenn sie bei der eigentlich letzten Frage "REM Sleep" als Antwort angeben.

Mit dem richtigen Code-Wort kann auf der Waking Titan-Website eine Umfrage freigeschaltet werden | Bild: Screenshot Hello Games

Diese geheime letzte Frage verlangte schließlich von den Spielern, ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Sie werden dann bald "die Überreste von Lab 319" erhalten – ein Name, mit dem die Community noch nichts anfangen kann. Allerdings haben die Spieler bereits eine Vermutung: Sie glauben, dass dieses ARG das nächste große Update 1.5 ankündigt, das unter anderem virtuelle Avatare einführen und den Weltraum-Astronauten einen Körper geben soll. Die sehen sich bisher nur als leuchtende Kugel, wenn sie sich in den unendlichen Weiten des Alls begegnen sollten – ein Avatar wäre also eine willkommene Neuerung. Dafür spricht laut Community der Hinweis "Mirror" aus dem ersten Rätselteil, der die "Spiegelung" des menschlichen Spielers in die virtuelle Welt andeute.

Was sich wirklich hinter dem ARG verbirgt, bleibt wohl vorerst noch ein Geheimnis, doch scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die No Man's Sky-Spieler auch dieses Rätsel lösen können. Aber egal, wie überraschend oder enttäuschend die Auflösung auch sein mag, eines hat die Community bereits gewonnen: Die Erkenntnis, dass es trotz der schlechten Kritiken und Vorwürfe gegen No Man's Sky noch immer Fans dort draußen gibt, die noch immer nicht ihre Faszination für das Weltraum-Abenteuer verloren haben.