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Experiment

Dieser Filmemacher hat eine Woche als Bereitschaftspolizist verbracht

"Ich glaube, dass viele diesen Nervenkitzel und diese Spannung aufregend finden."

Fußballspiele, Demos, Castor-Transporte – wo es Stress gibt, sind sie da. Kaum eine Einheit der Polizei verkörpert so direkt das Konzept der "Staatsgewalt" wie die Männer und Frauen von der Bereitschaftspolizei mit ihren Helmen und den schweren, dunklen Uniformen.

Genau deshalb stehen sie aber auch immer wieder in der Kritik: Zu hart sollen sie gegen Unschuldige beim G20-Gipfel in Hamburg vorgegangen sein, zu lasch gegen gewalttätige Rechtsextreme bei den Demos in Chemnitz. Aber wie ticken diese Menschen, die zwischen den Fronten stehen?

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Die Filmemacher Martin Rieck und Henning Wirtz wollten es herausfinden – und haben sieben Tage mit einer "Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit" (BFE) in Hannover verbracht. Die sind darauf spezialisiert, bei Großveranstaltungen sogenannte "Störer" festzunehmen, was oft bedeutet, dass sie sich mit Gewalt in die Mitte einer Menge kämpfen, um dort jemanden zu greifen und mitzunehmen. Im Gespräch erzählt uns Martin, was er erlebt hat und warum er diesen Job niemals machen würde.

VICE: Martin, wie hast du dich als Polizist gefühlt?
Martin Rieck: Am ersten Tag habe ich die Uniform anprobiert. Die wiegt 20 Kilo, man hat einen Helm auf und im Ernstfall noch einen Gehörschutz und Funk auf den Ohren. Darin habe ich mich total abgeschottet von der Außenwelt gefühlt.

Und dann das Training: Ich bin selber nicht unsportlich und wollte unbedingt wissen, was man da körperlich mitbringen muss. An einem Tag durfte ich drei Kilometer in der vollen Montur mit denen joggen, da habe ich schnell gemerkt, dass ich meilenweit von deren Konditionsstand entfernt bin. Das hat mich beeindruckt, ich habe gemerkt: Das sind Berufssportler. Wenn die keine Einsätze haben, dann müssen die trainieren. Steht auf dem Dienstplan

Was hat dich am meisten überrascht?
Richtig interessant war, wie eng die alle miteinander befreundet sind, das geht weit über den Job hinaus. Die verbringen auch schon mal die Wochenenden zusammen. Wenn einer einen Umzug macht, dann helfen die Kollegen gerne mal mit, einige Frauen sind untereinander befreundet. Als der Truppführer meiner Einheit geheiratet hat, waren alle drei seiner Trauzeugen Kollegen aus der BFE.

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Ich glaube, das hat mit den Erfahrungen in den Einsätzen zu tun. Die erleben ja richtig krasse Sachen zusammen, und das muss auch verarbeitet werden. Das schweißt zusammen. Und man muss auch sagen: Vom Typ her sind die irgendwie alle ein bisschen ähnlich.

In einer Übung sollst du einen Demonstranten spielen. Was ist dann passiert?
Ich war überrascht. Das war gar nicht abgesprochen, dass ich als Störer oder Zielperson ausgewählt werde. Dann sind die plötzlich voll in mich reingerannt, haben mich in den Schwitzkasten genommen und weggezerrt. Das war ein mehr als unangenehmes Gefühl. Als der Polizist mir dann gesagt hat, dass das "nur 50 Prozent" waren, dachte ich mir: 100 Prozent will ich wirklich nicht erleben.

Haben Polizisten ein anderes Verhältnis zu Gewalt als Zivilisten?
Ja, das ist Teil ihres Jobs. Ich könnte mir das nicht vorstellen, einen Beruf auszuüben, wo das Anwenden von Gewalt zum Alltag gehört. Deshalb kann ich mich da auch ganz schwer reindenken.

Ich glaube, dass man in der Ausbildung da reinwächst und ein anderes Verhältnis entwickelt. Polizisten haben dafür aber auch eine ganz andere Sprache: Gewaltanwendung heißt da "Zwangsmaßnahme". Was wir Schwitzkasten nennen, ist bei denen gleich ein "Kopfkontrollgriff".

Macht sie das gewaltbereiter?
Bei den Beamten, mit denen ich im engeren Kontakt war, hatte ich eher das Gefühl, dass die das unter Kontrolle haben. Das erklärt der Truppführer im Film auch ganz gut, dass es wichtig ist, kein Heißsporn zu sein. Dass man kontrolliert hoch- und runterfährt.

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Zwei Männer stehen in Polizeiuniformen in einer Turnhalle, einer hält eine Pratze hoch, der andere boxt hinein

Martin beim Boxtraining mit den Polizisten. Screenshot aus dem NDR-Film.

Trotzdem wirkt es, als mache denen Stress Spaß.
Ja, die machen den Job gerne. Sie erzählen auch, dass es ihnen darum geht, aus dem Büro rauszukommen, und dass das Ungewisse ihnen Spaß macht. Die wissen ja oft gar nicht, was für ein Einsatz am nächsten Tag reinkommt, das kann eine Demo sein oder eine Hausdurchsuchung – bei der sie null Ahnung haben, was sie erwartet. Ich glaube, dass viele diesen Nervenkitzel und diese Spannung aufregend finden.

Hast du nach diesen sieben Tagen das Gefühl, deren Seite besser zu verstehen?
Ich hab auf jeden Fall mehr Verständnis für den Job, den die da machen. Und ein besseres Gefühl dafür bekommen, wie anstrengend das ist, sowohl geistig als körperlich. Ich glaube, dem Pensum ist nicht jeder gewachsen.

Was müsste man an der Polizeiarbeit ändern, um Probleme wie übermäßige Gewalt zukünftig zu vermeiden?
Ich glaube, Aufklärung ist ganz wichtig. Darüber, wenn Fehler passieren – wenn zum Beispiel ein Polizist über die Stränge schlägt. Ich wäre ganz klar für eine unabhängige Stelle, die solche Fälle behandelt und aufklärt.

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