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Der Fall des "Osama-Leibwächters" Sami A. zeigt, wie egal Asylgegnern der Rechtsstaat ist

"Recht und Ordnung" gilt offenbar nicht, wenn es Ausländer betrifft.
Foto: imago | Eibner Europa

"Endlich!", triumphierte die Bild. "Bin Ladens Ex-Leibwächter raus aus Deutschland!" Am 25. Juni war nämlich gelungen, was die deutschen Behörden seit über zehn Jahren vergeblich versucht hatten: den Gefährder, Islamisten und mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächter Sami A. festzunehmen und seine Abschiebung einzuleiten.

Über Jahre hatten die Behörden es nicht geschafft, Sami A. abzuschieben. Immer wieder hatten Gerichte entschieden, dass das nicht ginge, weil ihm in Tunesien womöglich Folter drohe. Als der er dann am letzten Freitag tatsächlich in ein Flugzeug gesetzt und nach Tunesien ausgeflogen wurde, schien ein jahrzehntelanger Kampf des Rechtsstaats mit sich selbst endlich glücklich ausgegangen.

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Dachte man.

Denn wie sich jetzt herausgestellt hat, hätte Sami A. nie abgeschoben werden dürfen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte am Donnerstag entschieden, seiner letzten Klage stattzugeben und seine Auslieferung zu verbieten. Als das Urteil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am Freitag (BAMF) erreichte, war A. aber schon in der Luft – und ist jetzt erstmal in Tunesien.


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Am Dienstag kam dann auch noch heraus, dass auch einer der 69 Afghanen, über deren Abschiebung Innenminister Horst Seehofer sich so sehr gefreut hat, weil sie genau am Tag seines 69. Geburtstages erfolgt war, ebenfalls nicht hätte abgeschoben werden dürfen. Für alle, die die Entscheidungen deutscher Gerichte achten, ist klar: Der Afghane und Sami A. müssen wieder nach Deutschland zurück. Nicht, weil irgendjemand besonders Bock auf die Typen hätte, sondern einfach, weil der Rechtsstaat das verlangt. Wer das scheiße findet, muss sich dafür einsetzen, dass die Gesetze geändert werden – die Entscheidung des Amtsgerichts in A.s Fall muss aber trotzdem respektiert werden. So einfach ist das.

Finden allerdings nicht alle. Als herauskam, dass Sami A. möglicherweise nach Deutschland zurückgeholt wird, tickten nicht nur die Kommentarspalten aus. Auch Politiker gaben sich empört – allen voran natürlich die "Recht und Ordnung"-Hardliner von der AfD:

Alice Weidel verlangt also, deutsche Gerichte sollten sich am "gesunden Menschenverstand" orientieren, statt am Gesetz – erklärt aber nicht, wer definiert, was gesunder Menschenverstand ist. Jörg Meuthen geht noch viel weiter, vergisst gleich alles über die Gewaltenteilung und behauptet praktisch, Angela Merkel selber habe die "die Sicherheit eines Islamisten höher ein[ge]stuft als die der eigenen Bürger!" Was selbst für einen AfDler ziemlich bekloppt ist: Schließlich weiß Meuthen sehr gut, dass Angela Merkel wirklich gar nichts mit der Entscheidung im Fall Sami A. zu tun hat.

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Was beide AfD-Politiker hier beweisen: Die Normen des deutschen Rechtsstaats sind ihnen ziemlich egal, wenn diese Normen mal Ausländer vor der Abschiebung schützen. Und das, obwohl Weidel sich sonst sehr gerne besorgt um den Rechtsstaat zeigt: Als knapp 150 Asylbewerber im Mai in Ellwangen versuchten, die Abschiebung eines Afrikaners durch Protest und Blockaden zu verhindern, veröffentlichte Weidel dazu eine Pressemitteilung, in der sie beklagte, der Rechtsstaat würden "von seinen 'Gästen' mit Füßen getreten":

"Das ist erst der Anfang. Die Kumpanei innerhalb der Asylbewerber wächst, Abschiebungen werden immer öfter gewaltsam verhindert. Das deutsche Gesetz wird außer Kraft gesetzt, die unterbesetzte Polizei sieht hilflos dabei zu. Und muss, sofern sie auch nur ansatzweise angemessen reagiert, mit umgehenden Repressalien aus der Politik rechnen."

Das Zitat ist interessant, weil man es auch einfach umdrehen könnte, um die aktuelle Abschiebepraxis der deutschen Regierung zu beschreiben: Abschiebungen werden immer öfter auf Willen von Politikern durchgedrückt; das Gesetz wird außer Kraft gesetzt; die unterbesetzten Gerichte müssen mit Repressalien aus der Politik rechnen, wenn sie angemessen reagieren.

Das ist natürlich übertrieben. Aber es zeigt auch, wie verlogen Politiker wie Weidel und Meuthen agieren: Wenn ein paar Asylbewerber der Polizei nicht gehorchen, dann sehen sie den Rechtsstaat in Gefahr – als könnte der nur existieren, wenn ihm alle Menschen immer ausnahmslos gehorchen. Wenn deutsche Abschiebe-Behörden, also eben wirklich der Staat, in den Verdacht geraten, das Recht zu umgehen (und dazu womöglich von Politikern angestiftet werden), dann ist das für Weidel "gesunder Menschenverstand".

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