Dieses Magazin will das "hippe" Jugendmedium der Neuen Rechten sein
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rechte Szene

Dieses Magazin will das "hippe" Jugendmedium der Neuen Rechten sein

In 'Arcadi' geben sich Rechte gegenseitig Sextipps, erteilen Wichsverbote und erklären, warum nicht nur Linke Club Mate trinken sollten. Und das sind noch die harmloseren Vorschläge.

Es gibt "kein wertiges Kulturmagazin für junge Europäer". Das zumindest behauptet Yannick Noé. Also versucht es der Leverkusener mit seinem Magazin Arcadi einfach selbst. "In schnelllebigen Zeiten bleiben nur wenige Momente, um zur Ruhe zu kommen. Wir wollen einen Kontrast zum Alltag bilden", schreibt Noé im Vorwort der ersten Ausgabe. Klingt erstmal unverfänglich, ist es aber nicht. Und das liegt nicht daran, dass in Arcadi zum Sex im Freien aufgerufen wird und man männlichen Lesern empfiehlt, sich nie wieder einen runterzuholen.

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Noé und seine Mitstreiter wollen nicht bei der Renaissance der Indie-Magazine in Deutschland mitmachen. Statt Reisetagebüchern von Cloud-Rappern und Artikel über japanische Nudelhäuser präsentieren sie im Inhaltsverzeichnis von Arcadi ein Interview mit der Trump-Unterstützerin Britanny Pettibone, einen Reisebericht mit Erinnerungslücken von der Ostsee und Eindrücke aus der Bundeswehr. Arcadi soll kein Magazin für "junge Europäer" sein, sondern für junge Rechte – für Identitäre, Mitglieder der Jungen Alternative und andere Kameraden. Auf 80 in großer Schrift bedruckten Seiten dürfen die jetzt lesen, warum es aus nationaler Sicht gut wäre, MMA zu trainieren, Soldat zu werden und Club Mate zu trinken, und eben schlecht zu masturbieren. Erhältlich ist der Printneuling bei Online-Shops für selbsternannte Widerstandskämpfer wie "Konmo", aber auch beim AfD-Parteitag in Hannover lag er aus – verkauft von der Jungen Alternative.

Hinter Arcadi steckt ein deutschlandweites Autoren-Netzwerk, das sich geschlossen am rechten Rand bewegt. Simon Kaupert etwa, Mitinitiator des Würzburger Pegida-Ablegers WüGIDA und Mitarbeiter bei "Ein Prozent", der selbsternannten patriotischen "Bürgerinitiative" und Aktionsplattform, in der Identitäre, AfD und Jürgen Elsässer zueinander finden. Oder Alina Spiegel, Frederic Höfer, Leon Stockmann, Luca Hart, Reimond Hoffmann und Robin Classen – allesamt AfD-Mitglieder. Hoffmann sitzt auch im Bundesvorstand der Jungen Alternative. Der Name von Spiegel findet sich unter einer Resolution von AfD-Mitgliedern, die sich gegen einen Ausschluss von Björn Höcke stellen. Chefredakteur Noé selbst ist Sprecher der AfD Leverkusen.

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Bei der Bundeswehr "lernst du dich und deinen Körper besser kennen", heißt es im Magazin

"Wir müssen selbst ran und dürfen nicht auf fremde Hände vertrauen", schreibt Simon Kaupert in seinem Artikel.

Wenig überraschend lesen sich viele Texte deshalb wie – mal verkappte, mal ganz offene – Aufrufe, für die rechte Sache aktiv zu werden. "Wir müssen selbst ran und dürfen nicht auf fremde Hände vertrauen", schreibt Simon Kaupert. Für seine Reportage ist er auf der C-Star mitgefahren, einem von der rechtsextremen Gruppierung "Identitäre Bewegung" gemieteten Boot. Mit dem schipperten die Aktivisten im Sommer über das Mittelmeer. Eigentlich wollten sie in dieser Zeit NGOs wie Sea Watch kontrollieren, die in Seenot geratenen Geflüchteten helfen. Am Ende hatten die Identitären selbst Probleme mit Gesetz und Technik, und gerieten in Seenot.

Kaupert stellt das natürlich anders da. Dass in der Zeit der C-Star-Reise die Flüchtlingszahlen zurückgingen, reklamiert er als Erfolg der Identitären, mehr noch: Die C-Star-Mission habe sogar das Ertrinken weiterer Menschen verhindert. Schließlich, so seine Logik, hätten die Identitären NGO-Boote am Auslaufen gehindert, und ohne Seeretter hätten sich weniger Schlepperboote aufs offene Meer gewagt. Dass es ihm am Ende aber nicht um Menschenleben geht, zeigt Kauperts Fazit: "Migration ist keinesfalls etwas, was man erdulden muss."

Auch Anja Jacob hat Seeluft geschnuppert. Ihr Reisebericht von der Ostseeküste trägt den Untertitel "von Danzig bis Tallinn". Und wer dabei an 1941 und den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion denkt, muss wohl ein böser Linker sein. Jacob jedenfalls sucht im Baltikum die Spuren von Ritterorden, Immanuel Kant und vertriebenen deutschen Bewohnern des heutigen Kaliningrads. Was die Deutschen in den Jahren vor 1945 angestellt haben, erwähnt sie nicht. Dafür glaubt die Autorin zu wissen, dass sich die Stadt durch die Vertreibung so stark verändert habe, "dass sie noch bis heute nach einem eigenen Selbstverständnis sucht".

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Für die Titelgeschichte hat Yannik Noé die Aktivistin Britanny Pettibone interviewt. Die US-amerikanische Katholikin unterstützt Donald Trump und ist die Freundin des österreichischen Anführers der Identitären, Martin Sellner. Und weil man bei Arcadi unter sich im rechten Nest hockt, muss weder Noé erklären, wer denn "wir" ist, wenn er fragt: "Wie können wir für junge Frauen attraktiver werden?", noch muss Pettibone genau ausführen, was sie meint, wenn sie sagt: "Der Krieg, den wir kämpfen, ist der wichtigste, denn er wird das Schicksal der westlichen Zivilisation entscheiden."

Als Chefredakteur hat Noé die meisten Texte selbst geschrieben, die zweitmeisten stammen von Robin Classen. Der freie Journalist hat bereits für das einigermaßen bekannte rechte Magazin und Blog Blaue Narzisse geschrieben. Wie journalistisch sauber Classen arbeitet, merkt man daran, dass er sich nicht so genau erinnern kann, ob er für seinen Text über Scientology nun zweimal oder doch dreimal zu Besuch bei der Sekte war. Vielleicht haben ihm bereits die Persönlichkeitstests dort das Hirn gewaschen. So urteilt er über die Traumatheorie von Scientology: "Das klingt logisch und ist es in einem gewissen Umfang auch."

In zwei anderen Artikeln warnt Classen vor antibiotikaverseuchtem Lachs aus Aquakulturen und Tees "aus dem Asia-Laden" oder schreibt über die Bedingungen in deutschen Justizvollzugsanstalten, die er als "Luxusknäste" beschreibt. Einen vierten Erguss widmet er dem Trend "NoFap", was er konsequent ungelenk als "Kein Wichsen" übersetzt. Weil nach sieben Tagen ohne Ejakulation der Testosteronspiegel eine Mannes angeblich am höchsten sei, schlussfolgert Classen: "Wer jeden oder jeden zweiten Tag masturbiert, wird nie besonders männlich sein." Dabei ist die positive Auswirkung des Verzichts auf die Hormonproduktion bestenfalls umstritten.

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Doch Classen nutzt seine vielleicht unterbeschäftigten Hände, um noch mehr Vermutungen in die Welt hineinzutippen. Wer nämlich zu Pornos aus dem Internet masturbiere, werde angesichts der penetrierenden Geschlechtsgenossen unterbewusst zum "Beta-Männchen" und "durch eine Mischung aus Scham, Schuld und geistiger Programmierung daran gehemmt, bei Frauen tatsächlich zu landen".

Wie man(n) den drohenden "Samenstau" trotzdem vermeiden kann, ist dann auf der nächsten Seite zu lesen. Hier versucht sich die anonyme Arcadi-Sex-Kolumnistin "Fräulein Frech" an der Rettung eingeschlafener Beziehungen zwischen Gesinnungsgenossen und -genossinnen. Eben hatte man noch fünf Mal an einem Abend Sex, plötzlich nur noch einmal pro Woche, schreibt sie. Die Lösung: Warum die deutschen Glieder nicht mal im Büro oder in der Autogarage verrenken – oder gleich ganz im Freien, beim herbstlichen Spaziergang? Man solle keine Angst vor Spannern haben, denn "so viele Jäger und Sammler gibt es nun auch wieder nicht", weiß das Fräulein. "Und selbst wenn: insgeheim finden die eure Idee auch gar nicht schlecht." Frivolität klang selten so bieder.

Die anonyme Kolumnistin "Fräulein Frech" will mit ihren Sextipps eingeschlafene Beziehungen zwischen Gesinnungsgenossen und -genossinnen retten

Dennoch gehört dieser Artikel zu den wenigen, die ihrer inhaltlichen Ausrichtung auch in einem nicht-rechten Magazin auftauchen könnten. Denn selbst eine Besprechung des Comics Justice League vs Suicide Squad mit Batman, Wonder Woman und Superman regt den Rezensenten zu gewagten Querverweisen zur Bundespolitik an. Anderswo wird sogar die Limo politisiert. Matebrause, merkt Reimond Hoffmann an, mache nicht nur wach, sondern sei auch ein "'Du kannst mich mal' gegen die Cola- und Red-Bull-Eintönigkeit". Doch damit nicht genug, denn der flüssige Mittelfinger hat eine Heimat-Connection, sei Club Mate doch in der "Entwicklung ein originär deutsches Getränk, das sehr gut als Getränk einer modernen deutschen Jugend dienen kann". Nehmt das, ihr tanzenden Antifas in den Berliner Technoclubs, jetzt klauen sie euch auch noch die Mate!

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Im Heft finden sich Anzeigen der Identitären Bewegung, der pflichtschlagenden Berliner Burschenschaft Gothia und von Götz Kubitscheks Antaios-Verlag. Der Onlineshop "Sonnenkreuz" will Nahrungsergänzungsmittel mit Namen wie "Valhalla Vikingstorm" an müde Kampfsportler bringen.

Dass Arcadi ein Szenemagazin ist, zeigen auch die Werbepartner. Im Heft finden sich Anzeigen der Identitären Bewegung, der pflichtschlagenden Berliner Burschenschaft Gothia und von Götz Kubitscheks Antaios-Verlag, der zuletzt für mehrere Eklats auf der Frankfurter Buchmesse sorgte. Der Onlineshop "Sonnenkreuz" will Nahrungsergänzungsmittel mit Namen wie "Valhalla Vikingstorm" an müde Kampfsportler bringen. Der Rechtsanwalt und ehemalige AfD-Direktkandidat bei der Bundestagswahl, Dubravko Mandic, empfiehlt sich als "erster Ansprechpartner, wenn es um politisch motivierte Strafverfahren gegen Dissidenten und Sezessionisten geht".

Als Herausgeber wird der erst im Frühjahr dieses Jahres gegründete Verein Publicatio e.V. genannt, dessen Sommerfest von der Stadt Leverkusen abgesagt werden musste, weil die Organisatoren falsche Angaben über die teilnehmenden Redner gemacht hatten. Unterstützt wird das Magazin laut Impressum von "Ein Prozent".

Wenn man nicht gerade die seltsamsten Zitate für eine VICE-Rezension herausschreiben muss, hat man das Heft in unter einer Stunde durch. Hängen bleiben vor allem zwei Sachen:

Die eine ist der stumpfe Pathos der Autoren. Über Politiker heißt es beispielsweise: "Sie sind schwach, wir sind es nicht."

Die andere ist die Schizophrenie der selbsternannten "Generation Identitär", die sich durch die erste Ausgabe von Arcadi zieht. Einerseits beruft man sich auf angeblich althergebrachte traditionelle "europäische" Werte, andererseits will man auch gerne so cool, frisch und offen sein wie die verhassten Linken, bei denen man mit deutschem Fleiß abkupfert. Egal ob es nun Protestformen sind, offen über Sex zu sprechen oder eine Flasche bittersüße Club Mate.

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