Nur weil ich beim Ausgehen Ausschnitt trage, heißt es nicht, dass ich keine Feministin sein kann
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Meinung

Nur weil ich beim Ausgehen Ausschnitt trage, heißt es nicht, dass ich keine Feministin sein kann

Man kann seine Titten herzeigen und trotzdem für die Gleichberechtigung der Frau sein.

Die #metoo-Debatte hat die letzten Monate dominiert und erschütternde Tatsachen an die Oberfläche gebracht. Das Thema wurde und wird heiß diskutiert, auf hinterwäldlerische Slut-Shaming-Kommentare unter diversen Threads musste man also nicht lange warten. Die "Sie will es doch so, wenn sie so herumläuft"-Meinung wird meines Gefühls nach weniger, aber dass wir noch immer mit menschenverachtenden Klischees kämpfen, hat nicht zuletzt der Fall von Gina Lisa bewiesen. Grundtenor der Gegenseite: Wer mit aufgespritzten Lippen, gemachten Brüsten und solchen Outfits herumläuft, der wollte gefickt werden. Das Erschreckendste ist, dass nicht nur gewisse Männer, sondern auch einige Frauen diese Meinung vertreten.

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Mir gefallen meine Brüste und Lippen noch so, wie sie sind, und ich zeige das auch gerne. Es geht so weit, dass in meinem Schrank kaum hochgeschlossene Shirts und Kleider sind. Es gefällt mir oft nicht an mir und ich finde auch, dass der Stoff irrsinnig störend ist. Gut, es ist auch die Macht der Gewohnheit – wie damals in den Teenager-Jahren mit den Tangas – aber ich möchte mich gar nicht umgewöhnen.


Das Ende des Patriarchats:


Wenn ich auf eine Party gehe, dann trage ich erst recht wenig. Ich habe Kleider, die für meine Freundinnen als Spaghetti-Leiberl durchgehen und auch welche sind. Ich höre oft Sprüche wie "Da kann sich ja kein Mann konzentrieren" und so weiter, Zwinkersmiley, Zwinkersmiley. Und vor allem merke ich, wie angestrengt man versucht, mir in die Augen zu schauen, während man mit mir spricht. Kurz gesagt: Die Menschen fühlen sich aufgrund meiner Titten öfters unwohl als wohl und ich könnte das Problem mit ein paar Metern Stoff aus der Welt schaffen.

Mein Männer- und Frauen-Game wäre ohne Ausschnitte auf jeden Fall einfacher. Meine Titten überfordern, sie senden falsche Signale aus und mein Typ Mensch steht generell auf Hipster-Bräute, Marke hochgeschlossenes Katzen-Hemd. Ich bin öfter in Lokalen, in denen sich die Leute normal kleiden, als in Lokalen mit Gleichgesinnten – zumindest was die Outfits betrifft. Außerdem muss ich wohl nicht betonen, wie es aussieht, wenn ich um vier Uhr betrunken mit zerrissenen Strumpfhosen aus dem Club stolpere. Oder wenn ich bei jeder Bewegung meinen Rock zurechtzupfen muss. Aber ich fühle mich gut, wenn ich aus dem Haus gehe und dieser Vibe zählt für mich.

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"Auf meine Brüste runterzuschauen, ist das Beste."

Ich fühle mich gerne sexy und auch wenn man sich auch angezogen sexy fühlen kann: Für mich gehört ein schöner Ausschnitt dazu. Auf meine Brüste runterzuschauen, ist das Beste. Brüste sind doch generell schön, nicht nur meine. Manche Menschen werfen mir vor, dass ich mit meiner Kleiderwahl die Sexualisierung des weiblichen Körpers unterstütze oder, dass meine Handlungsgrundlage Komplexe sein müssen. Validieren durch die Anerkennung des Mannes quasi.

"Oh, meine Titten stören? Sie sind mit Swarowski-Kristallen verhüllt!", sagte Rihanna in ihrem durchsichtigen Kleid.

Ich bin bestimmt nicht komplexbefreit, wenn es um meinen Körper geht. Aber jedes Fettpolster macht, dass ich im Dezember so nackt fortgehen kann, wie ich es tue. Trotzdem: Für mich geht ein Abend auch gut aus, wenn mich niemand angesehen hat oder wissen wollte, ob sie echt sind. Was ja durchaus in Beisln, die eine Fassungsmenge von zehn Menschen haben, regelmäßig passiert. Ich bin zu alt, um mich über sexuelle Aufmerksamkeit im realen Leben zu definieren, ich mach das jetzt wie alle anderen auf Instagram.

Wenn mich meine konservativen Freunde also fragen, wie meine Make-Up-Sucht und meine Kleider mit meinen wöchentlichen, feministischen Tiraden zusammengehen, kann ich nur müde lächeln. Wenn mir befreundete Männer sagen, dass meine Outfits einschüchternd sind und ich so erst recht niemanden kennenlerne, kann ich noch sehr laut und hysterisch Auflachen. Und wenn ich höre, dass mir Frauen am Nebentisch ein Sexualverhalten unterstellen, das ich nicht habe – wie zum Beispiel Geld für Sex zu nehmen, oder jede Fortgehnacht verzweifelt auf der Suche nach Kopulation zu sein – dann werde ich eher traurig.

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Ich denke, es wurde schon gebetsmühlenartig vorgetragen, aber nochmal in aller Deutlichkeit: Feminismus bedeutet, Optionen zu haben (s/o Emma Watson). Es bedeutet, in Ländern, in denen Ausschnitte Usus sind, keine tragen zu müssen. Und in Ländern, in denen es Usus ist sich zu bedecken, sich nicht bedecken zu müssen. Es bedeutet, Sachen tragen zu können, die man tragen will. Jedes Geschlecht, übrigens. Wenn ich unterdrückte Frauen aus anderen Kulturkreisen betrachte, dann brauchen die natürlich einen radikaleren Ansatz und haben andere Wünsche, als "Bitte habt keine Vorurteile und vergewaltigt mich nicht, wenn ich meine Brüste herzeig." Aber wir leben hier und hier ist es nun mal eine der Herausforderungen des Feminismus. Meine Titten mögen ein paar Menschen stören oder zu steinzeitlichem Benehmen aufrufen – aber ich nehme mir die Option heraus, sie trotzdem zu zeigen. Feminismus ist gleich Selbstbestimmung der Frau. Auch wenn es manchen nicht ins Weltbild passt: Wenn ich mir das gesamte Gesicht piercen lasse, Mechanikerin werde oder mir ne Glatze schneide, dann geht es andere ein Scheißdreck an. Meinung darf ja jeder haben, aber wenn sie voller Vorurteile ist, muss man mich damit eigentlich nicht konfrontieren.

Natürlich beschäftigen sich Feministen auch mit der Darstellung der Frau in den Medien und dem Ursprung von Ganzkörperrasuren, Solarien und HighHeels. Man darf auch nicht vergessen, dass es viele Strömungen des Feminismus gibt und ich mit diesen Outfits sicher ein paar Rand-Theoretikern Schnappatmung beschere. Die modernen Feministen von heute ordnen sich eher selten bewusst einer der Strömungen zu. Der heutige feministische Trend ist: Leben und Leben lassen. Und gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit, nebenbei erwähnt. Aber nur, weil man diese Dinge kritisch betrachtet, bedeutet es nicht, dass man plötzlich aus seiner Sozialisierung erwacht und ganz andere Dinge attraktiv findet. Vielleicht habe ich Fergie und die Pussycat Dolls zu sehr bewundert – aber warum sprang ich mit 14 mehr auf diese Sängerinnen an als auf Kate Nash oder andere Indie-Größen?

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Die Sängerin SINAH sieht das ganz ähnlich.

Auch das Argument, dass ich nur männliche Aufmerksamkeit möchte, finde ich nicht schlüssig. Dass Frauen mit Outfits oder Make-up ihr sexuelles Leben steuern wollen, ist längst überholter Bullshit. Ich habe per se keine One Night Stands und auch sonst gebe ich Blowjobs nur Männern, die mich im Tchibo-Pyjama gesehen haben. Und auch dieses Wochenende werde ich einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel tragen. Für mich. Nicht weil ich gerne pro Fortgehnacht drei Schwänze in mir drin haben will oder gerne hätte, dass mich alle weiblichen Freundinnen beneiden und hassen. Sondern für meine eigene Wahrnehmung, Ausstrahlung und mein Körpergefühl. Genau derselbe Grund, warum ich mich auch schminken werde.

Wenn sich Frauen freizügig kleiden, dann muss das doch einen Hintergrund haben. Weshalb ein User 2012 in einem medizinischen Forum diese ungeklärte Frage stellen musste. Screenshot von med1.de


Frauen, die nicht gerne im Mittelpunkt stehen, fühlen sich verständlicherweise sehr unwohl in solchen Kleidern. Ich bin mit meinen 185 Zentimetern unweigerlich in den Mittelpunkt hineingewachsen, somit komme ich damit gut zurecht, wenn man mich anstarrt oder blöd anspricht. Aber auch mir sind beim Fortgehen unangenehme Begegnungen passiert, in denen ich mich kaum wehren konnte und im ersten Moment habe ich auch die Schuld bei mir und meiner Kleiderwahl gesucht: Wäre mir das passiert, wenn ich mit Jeans und einem Shirt fortgegangen wäre? Ich werde die Antwort nicht erfahren.

"Aber mich wegen ihren Trieben, Blicken und Sprüchen zu bedecken kommt mir wahnsinnig devot vor und ich lasse nicht Angst und Sorge meine Outfits diktieren."

Meine Kleidung ist mein Weg, mich zu präsentieren. Gehöre ich dafür vergewaltigt, begrapscht oder dumm angegraben? Ich denke nicht. Kann ich was dafür, wenn mir sowas am Heimweg mit solchen Outfits passiert? In einer kaputten Gesellschaft begünstige ich es wahrscheinlich, da braucht man nichts schönreden. Dass Samstag Nacht in Wien nicht nur nüchterne und reflektierte Feministen herumrennen, ist Fakt. Dass sich leider noch immer viele Männer eingeladen fühlen, tiefes Verhalten an den Tag zu legen, auch. Aber mich wegen ihren Trieben, Blicken und Sprüchen zu bedecken kommt mir wahnsinnig devot vor und ich lasse nicht Angst und Sorge meine Outfits diktieren. Lieber verteile ich Ohrfeigen und stürme nachher oben ohne den Dancefloor.

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