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Popkultur

Was ich von Josef Hader über das Leben gelernt habe

Von Grabnamen, surrealem Humor und Menschlichkeit als Grundzustand.

Neulich hat mal wieder jemand gemeint, dass ich wie Josef Hader klinge, wenn ich zu reden anfange (und nicht mehr damit aufhöre). Als großer Fan seit weit über 20 Jahren habe ich mir sicher einiges von seiner Art und Sprache abgeschaut und mich über die Bemerkung auch sehr gefreut. Aber nicht nur die schräge Intonation und unser gemeinsamer Vorname verbinden mich mit ihm. Genau wie viele andere liebe auch ich den oberösterreichischen Kabarettisten und Schauspieler von ganzem Herzen und aus mehrfachem Grund. Hier ein paar Geschichten, warum ich ohne ihn wohl nicht ich wäre.

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Zunächst einmal wäre der Vorname Josef ohne Haders Prominenz die absolute Hölle. Mit international bekannten Namensvettern wie Fritzl, Goebbels, Mengele und dem einen russischen Diktator ist man sonst nicht unbedingt in bester Gesellschaft. Im Alltag trifft man auf diesen Namen meistens auch nur in Verbindung mit Babys von Hipster-Eltern, die bei der Benennung des Nachwuchses so kreativ und originell sein wollten wie bei der Anschaffung eines antiken Retro-Möbelstücks. Und beim Spaziergang am Friedhof sieht man den Namen in Österreich natürlich auf jedem zweiten Grabstein. Haders Josef gleicht für mich das alles wieder ins Positive aus.

Haders Programm Im Keller, quasi eine Genre-Fortsetzung von Helmut Qualtingers Der Herr Karl, beschreibt heute noch, mehr als 25 Jahre später, perfekt die österreichische Bobo-Seele. Hader monologisiert in seiner Rolle als zynischer, frustrierter Städter aus der Werbebranche in seinem Keller vor sich hin, während ein unsichtbarer Baumeister für einen Umbau ausmisst. Haders Schnösel, der selber Schnösel extrem scheiße findet, erzählt aus einem Leben voller pseudointellektueller, arroganter Untertöne und eingebildeter, selbstgefälliger Ansichten einer irgendwie vertrauten, wohlhabenden und auch g'schissenen Mittelschicht.

Meine VHS-Kassette mit Im Keller habe ich so oft abgespielt, dass sie zum Ende hin in unbrauchbaren Magnetstaub zerfiel. Es ist wie ein Zaubertrick, den man sich immer und immer wieder anschauen muss. Hader schafft es, dass du buchstäblich in der einen Sekunde weinst und in der nächsten über einen tiefschwarzen Spruch laut auflachst. Manchmal reichen auch schon ein "Na gut" oder "So is' des". Und das Schlimmste daran ist, dass man sich in all dem beißend satirischen Blödsinn ziemlich gut wiedererkennt.

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Manchmal reichen auch schon ein "Na gut" oder "So is' des".

Von Themen wie Kinderlosigkeit über professionellen Opportunismus hin bis zu kreativem Geltungsdrang macht diese letztlich doch sehr traurige Figur eines sehr deutlich: Man kann wirklich alles verarschen, meistens ist man aber selber der Witz an der Geschichte. Im Keller hat mich zu einem reflektierteren Menschen gemacht – jedenfalls erzähle ich das gerne den Handwerkern, die zu mir kommen, um irgendwas herzurichten.

Die absolute Erleuchtung in Punkto Humor und Anarchie stellt Haders Kabarettprogramm Privat dar, das er über zehn Jahre lang performte. Mit 12 war das meine allererste Audio-CD, noch vor EAV oder David Hasselhoff. Ich konnte diese dreistündige Soloshow auswendig – wahrscheinlich sogar heute noch.

Hader erzählt eine Biografie, die langsam wie ein LSD-Trip in eine komplett surreale Abenteuergeschichte ausartet, in der sich Figuren wie fahrkartenkontrollierende Scheißtrimmerl, Topfpflanzen und ein fliegender Ast, der seinen ungewollten Totschlag an Ödön von Horváth wieder gut zu machen versucht, tummeln. Dieses Programm bewies mir schon früh, dass das Lustigste im Leben die unbegrenzte menschliche Fantasie ist – und "absurd", "verworren" oder "weird" keinesfalls schlechte Eigenschaften sind.

Still aus Wilde Maus (c) Wega Film (von Kino am Dach 2017)

Mein Bruder ist wahrscheinlich ein noch viel größerer Hader-Fan als ich. Vielleicht habe ich die ganze Zeit über auch einfach nur ihn kopiert, typisch kleiner Bruder. Brüderchen war jedenfalls ungefähr 13 Jahre alt und hatte damals für seine Schülerzeitung ein Interview mit dem besten Josef bekommen – nach einem seiner Auftritte im Innviertel, Anfang der 90er. Hader war extrem freundlich und nahm sich alle Zeit der Welt.

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Hader meinte dann zu meinem Bruder, er solle ihm unbedingt den Artikel zukommen lassen, weil er selbst als Schüler einmal ein Interview mit einer bekannten Entertainment-Persönlichkeit gemacht hatte, die sich dann nie auf seine Zusendung des Beitrags zurückgemeldet hätte. Er wollte diese Enttäuschung sozusagen nicht wiederholen. Mein Bruder hat heute noch ein schlechtes Gewissen, weil der Artikel nie veröffentlicht wurde und er ihn nie an Hader weiterschickte. Auf diesem Wege also ein ernst gemeintes "Sorry, Josef" von meinem Bruder!

"Ich will ja nichts beschönigen. Aber man muss schon sagen, unterm Hitler war ja auch nicht alles … gut." Das Besondere an Haders Humor ist das Verdrehen von Wertigkeiten, mit dem er es schafft, die Erwartungshaltung gegenüber gewissen Gesellschaftskonstruktionen und auch der Politik komplett ad absurdum zu führen. In Privat streitet er mit seinen fiktiven Eltern, die als progressives Künstlerpaar ein kreatives Landleben führen – und zwar streitet er mit ihnen, weil ihn "die öden Drogenpartys" von Papa und Mama nicht interessieren und es ihn so ankotzt, dass sie "keinen Bausparvertrag" haben. Interessant, wie er damals schon eine heute sehr aktuelle Sehnsucht zum Konservatismus und die Grundtöne der Alt-Right-Bewegung irgendwie anstimmt.

"Unterm Hitler war ja auch nicht alles … gut."

Auch, wenn Hader politisch wohl eher links der Mitte Stellung bezieht, verarscht er schon seit den 90ern die liberale Schickeria, gemeinsam mit den Wohlstands-Humanisten und vor allem mit der faulen unreflektierten Linken. Ähnlich wie es South Park, Loriot, Sarah Silverman, Louis C.K. oder Monty Python handhaben, verdienen in der besten (Hader-)Satire auch die bravsten Moralisten keine Gnade.

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Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sich unsere ganze Familie im Radio Haders Witz anhörte – über das Kondom, das er prall mit heißer Luft aufbläst, indem er Kulturauszeichnungen wie "Deutscher Kleinkunstpreis" und "Österreichischer Kleinkunstpreis" hinein flüstert. Ich war 10 und hatte keine Ahnung, was ein Präservativ ist und dass er sich auf komplett abgedrehte Art und Weise über den deutschsprachigen Kulturbetrieb lustig machte. Diese Haltung des ständigen Hinterfragens und Ablehnens einer einzigen finalen Wahrheit hat meine heutige politische Einstellung sicherlich stark mitgeprägt.

Mein Bruder hat neulich nach dem dritten Bier die Kabarett-Verfilmung Indien von Hader und Alfred Dorfer als "das österreichische Pulp Fiction" bezeichnet. Statt "Royal mit Käse" geht es in diesen Autogesprächen unter anderem um Servier-Etikette von chinesischen Suppen und viel Paniertes. Zwei Außendienstbeamte im niederösterreichischen Niemandsland lernen einander und sich selbst besser kennen, Sprüche über "die Frau über der Tiefkühltruhe pudern, damit sie es ganz unbequem hat" fallen und die Dynamiken von Schnapsen und Hodenkrebs vereinen sich in diesem Film zu einem hilflos existenzialistischen Meisterwerk.

Dabei passen Haders Filme irgendwie in kaum ein vorgegossenes Genre – sie schaffen viel eher ihr eigenes. Sein schauspielerisches Talent kam ja schon in den Programmen zum Vorschein, spätestens und ganz deutlich aber beim Einmann-Plus-Tontechniker-Theaterstück Hader muss weg. Dieser komplette Laie ist – wie man an den Brenner-Verfilmungen der Bücher von Wolf Haas problemlos erkennen kann – ein besserer Charakterschauspieler als die meisten professionellen Max-Reinhardt-Seminar-Abgänger der letzten 10 Jahre zusammen. Gute Drehbücher schreibt er auch noch. Der Hund! Er hatte in diesem Bereich nicht nur sehr inspirierenden Einfluss auf mich, sondern fast auf die ganze österreichische Filmlandschaft.

Josef Hader verarscht die Menschen gerne, aber sie sind ihm nicht wurscht. Sein soziales Engagement, wie zum Beispiel für die Gruft in Wien oder die Caritas, ist ein ernstes Anliegen, bleibt dabei aber immer pragmatisch und wird nie zum Versuch, sich zu profilieren. Ich bin lange nicht aus der Kirche ausgetreten, weil Hader einmal in einem Interview erwähnte, dass die Kirche das allerletzte soziale Auffangnetz für Leute, die wirklich nirgends mehr mehr hinkönnen, sei. An das bizarre und extrem traurige Finale einer seiner Auftritte hängte er raunzend an: "So kann i jetzt auch ned aufhören, keine Ahnung … spendet's wos!"

Das beschreibt für mich eine sehr gesunde, nichts beschönigende Einstellung zu karitativer Hilfe. Der Umstand, dass es Spendenaktionen geben muss, ist schließlich alles andere als schön. Haders Programme und Figuren sind voller Melancholie und Fatalismus – aber er lässt immer anklingen, auch wenn die ganze Welt im Arsch zu sein scheint, MUSS man probieren, sie besser zu machen. Vielleicht ist das alles nur meine persönliche Interpretation einer universalen Message. Menschlichkeit als Normalzustand. Mut zur Verrücktheit. Kritisches Denken und sich selbst einfach nicht zu ernst nehmen. Das habe ich von Josef Hader gelernt.

Josef auf Twitter: @theZeffo