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Sex

Was ich erlebt habe, als ich ein Jahr in Berlin getindert habe

Und warum ihr euch in meinem selbst gemachten Dating-Bingo vielleicht wiedererkennt.
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von Pia
Frau vor einem Berliner Spätkauf

Ich stehe auf dem Balkon meiner Neuköllner Wohnung und fühle mich wie Simba, als Mufasa ihm sein zukünftiges Königreich zeigt. Nur, dass ich eine menschliche Königin bin, mein Zepter mein blinkendes Smartphone ist und meine Untertanen die Männer, die ich bei Tinder nach rechts und links wische. Ich bin 22 Jahre alt und seit der 10. Klasse zum ersten Mal richtig Single. Weil mein Freund meinen Geburtstag vergessen und sich damit zu meinem Ex-Freund gemacht hat.

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Das ist jetzt über ein Jahr her. Damals war ich bereit, meine neu gewonnene Freiheit auf der Dating-App zu genießen. Doch außer Gratis-Drinks anstelle von Orgasmen bekam ich in zwölf Monaten Tinder vor allem eins: einen Haufen enttäuschender Dates.

In den ersten Monaten wische ich mich so enthusiastisch durch die zur App gewordenen Warenauslage, dass ich fast eine Sehnenscheidenentzündung am rechten Daumen bekomme. Die Ausbeute ist eher ernüchternd: Ich treffe Männer, die beim ersten Date von ihrer Ex reden oder sogar noch mit ihr zusammen wohnen (danke, Berliner Wohnungsmarkt!), einen Rapper, der nach dem Sex über Gott diskutieren will, und Fotografen, die gar keine sind.

Als ich vor Kurzem zehn Stunden von Lissabon nach São Paulo fliege und mich nicht dazu überwinden kann, 25 Euro für das W-LAN-Passwort zu bezahlen, verarbeite ich mein Dating-Wissen kreativ: Ich bastele das "Berlin Dating Bingo", das ich auf Instagram teile. Das Gesellschaftsspiel soll die schlimmsten Dates der Hauptstadt zusammenfassen. Die Berliner Instagram-Community findet sich darin offensichtlich wieder und spielt seitdem mit viel Selbstironie Bingo. Mein Smartphone klingelt im Sekundentakt. Meine Inbox ist voller Erfahrungsberichte von Leidensgenossinnen und Vorschlägen für eine zweite Bingo-Runde.

Berlin Dating Bingo Meme

Foto: Bingo | Instagram | @highqualityhoe || Hintergrund | Pixabay

Natürlich lerne ich auch tolle und interessante Männer kennen. Diesen Text widme ich aber den Dates, auf denen ich mich gefühlt habe wie Frank Underwood in House of Cards, wenn er sich mit genervtem Blick ans Publikum wendet.

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Der Fotograf, der mir befiehlt, meine Brüste anzufassen

Ich nutze Tinder nicht nur für Dates, sondern auch, um andere Kreative kennenzulernen. So habe ich schon mit coolen Fotografen zusammengearbeitet. Ein Typ, den ich im Oktober treffe, schafft es mit den Bildern von mir zwar auf meinen Instagram-Account, aber nicht in mein Bett.

Wie immer, wenn man sich mit Fremden aus dem Internet trifft, ist auch bei Tinder-Fotografen Vorsicht geboten – besonders, weil deren Fotostudios oft ihre privaten Wohnungen sind. Fotografen, die wirklich am Fotografieren interessiert sind, macht es allerdings nichts aus, sich vorher in der Öffentlichkeit zu treffen. Ein weiteres gutes Zeichen ist es, wenn sie eine Internetpräsenz haben, die sich um ihre kreative Arbeit dreht. Der Fotograf aus dieser Geschichte, ein dünner Italiener mit Cordhose und fettigem Haar, hat einen Instagram-Account mit verwackelten Bildern von Berliner Baumkronen und lieblos angerichteter Pasta. Aber er hat auch einen Job als Dokumentarfilmer, eine tolle Ausrüstung und Motive, die mich mehr ansprechen als ein Teller Spaghetti.

Am Tag unseres Treffens fotografiert er mich zunächst in verschiedenen Outfits. Obwohl mir schnell klar wird, dass sich zwischen uns keine Freundschaft entwickeln wird, arbeiten wir immerhin auf professioneller Ebene gut zusammen. Doch das ändert sich nach wenigen Posen.

Als er mir beim Fotografieren zuraunt, wie sexy ich aussehe, lächle ich höflich. Das Thema des Shootings ist "70ies Softcore", also leicht verrucht, aber nicht nackt. Dann gibt er mir Anweisungen. "Kinn runter", "Kopf zur Seite", und schließlich: "Fass deine Brüste an!"

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Wem beim Lesen jetzt schon vor Fremdscham die Zehennägel hochgerollt sind, kann sich vorstellen, wie es mir in aussah. Dieser Satz ist die zwischenmenschliche Version eines Sprungs in einer Schallplatte. Ich bin so perplex, dass ich nichts anderes tun kann, als zu lachen und "Nein" zu sagen. Wahrscheinlich dachte er, ich würde mir auf seinen Befehl hin lasziv an die Brüste fassen, mich vor Lust nicht mehr halten können und stundenlang leidenschaftlichen Sex mit ihm haben.

Nach dem Korb kommt er nicht mehr hinter seiner Kamera hervor, wenig später verschwindet er auch aus meiner Wohnung. Erst ein paar Tage später schreibt er mir, was es mit seiner Ansage auf sich hatte: Es sei eine seiner sexuellen Fantasien, Frauen zu fotografieren. Dank mir habe er das endlich ausprobieren können. Vielleicht hätte ich für die Erfüllung seines Traums Geld verlangen sollen.

Bingo-Score: "Is a photographer", "kinky", "Doesn't speak German". Leider kein Bingo.

Der DJ, der sich durch zwei Jahre meines Instagram-Accounts wühlt

Manche Kandidaten schießen sich schneller selbst aus dem Rennen, als ich "Griessmühle ist das neue Berghain" sagen kann. Dabei fängt es zwischen mir und dem Typen, den ich "DJ Insecure" nenne, gut an: Wir verlagern unser Gespräch im Herbst schnell von Tinder auf Instagram. Auf seinem perfekt geordneten Feed, passend zu einem meiner Bingo-Felder in Schwarz-Weiß gehalten, finde ich heraus, dass er für einen großen Berliner Club Partys veranstaltet und dort auch als DJ auflegt. Ich habe sofort kleine Plus-Eins-Zeichen in den Augen. Zu meinen Gästelisten-Plätzen soll es aber nie kommen.

Zehn Minuten, nachdem ich ihm auf Instagram gefolgt bin (er ist mir übrigens nicht zurückgefolgt), schickt mir der DJ einen unvorteilhaften Screenshot von meinem Gesicht. Er hat wie ein Boulevard-Journalist in das Bild reingezoomt und darüber den Text "Na, hast du Spaß?" geschrieben. Das Foto ist etwa zwei Jahre alt und in Belgrad entstanden, ich wurde darin von Anderen getaggt.

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DJ Insecure versucht offenbar, seine eigene Unsicherheit durch Witze über mich zu überspielen. Ich habe grundsätzlich nichts gegen ein paar ironische Sticheleien, aber DJ Insecure ist anscheinend auf einer Mission: mein Selbstbewusstsein angreifen. Leider nicht der beste Power Move, um mich ins Bett zu bekommen.

Ich wünschte, ich könnte die Geschichte an dieser Stelle mit den Worten "unfollow, block, report" beenden. Doch für meine Gästelistenplätze bin ich bereit, viel auf mich zu nehmen. Außerdem habe ich meinen Freunden schon von den gratis Club-Eintritten erzählt. Der DJ und ich planen ein Treffen in seiner Wohnung in Kreuzberg. Doch als ich ihm ein paar Tage vor dem Date schreibe, ich würde mehr erwarten als nur einen One-Night-Stand, ghostet er mich. Ich warte bis heute auf die Antwort – und meine Gästelistenplätze.

Bingo-Score: "Doesn't speak German", "is DJ", "Want guestlist for Griessmühle?", "black and white Instagram". Ein knapp verpasster Gewinn!

Der Whisky-Lover, der noch bei seiner Ex wohnt

Der Whisky-Lover ist wahrscheinlich einer der interessantesten Männer, die ich jemals gedatet habe. Er ist Südamerikaner, spricht fünf Sprachen fließend und hat zufällig das Gleiche studiert wie ich. Außerdem steht er auf Jazz und teuren Whisky. Als ich ihn im November treffe, hat er schulterlange, braune Locken und trägt ein Hemd, bei dem er den oberen Knopf offen gelassen hat. Er gibt mir einen Wein nach dem anderen aus. Als wir die Bar verlassen, um in seiner Maisonettewohnung Whisky zu trinken, hilft er mir sogar in die Jacke. Aber es gibt einen Haken.

Auf dem Weg zu seiner Wohnung erwähnt er, dass er und seine Ex erst seit zwei Monaten getrennt sind. Sie sei allerdings gerade in Asien. In mir machen sich erste Zweifel breit. Andererseits: Wann sieht man in Neukölln schon eine Maisonettewohnung mit Dachterrasse? Und wann lernt man Männer kennen, die sich eine solche leisten können?

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Als wir in die Wohnung kommen, merke ich zwar, dass seine Ex out of the picture ist. Out of the Wohnung ist die Gute aber noch längst nicht: Im Badezimmer steht noch ihre Nagellacksammlung. Ich benutze ihre Bürste, um meine Haare vor dem Sex zu richten. Und auch im Schlafzimmer ist die Ex überaus präsent.

Mehrere Kleiderstangen mit ihren Klamotten erstrecken sich über die Wand, auf dem Boden liegt eine geblümte Bluse in der Größe XS. Doch hätte ich gewusst, welche Abgründe sich in dieser Nacht noch in seinem Schlafzimmer auftun, wäre seine omnipräsente Ex-Freundin meine geringste Sorge.

Der Whisky-Lover ist offensichtlich nicht in seiner besten Kondition. Der Sex mit ihm ist etwas feucht. Und damit meine ich nicht "Sex bei 36 Grad im Schatten"-Schweiß. Der Mann schwitzt wie ein Boxer, der vor dem Wettkampf im Neoprenanzug durch die Stadt gejoggt ist. Nach kürzester Zeit sind er, ich und die Laken komplett nass.

Ich habe schnell genug: Es gibt nichts Ungemütlicheres, als in fremden, schweißgetränkten Bettlaken die mittelmäßigen Outfits einer Fremden zu betrachten, während ihr Ex-Freund versucht, dich zu einer zweiten Runde zu überreden. Mein Schweiß-Albtraum dauert etwa 30 Minuten. Doch mir ist es noch heute unangenehm, daran zurückzudenken. Der Whisky-Lover sieht das anders: Wenige Tage nach unserem Date bittet er um ein zweites und hört auch dann nicht auf, als ich ihm deutlich zu verstehen gebe, dass es keins geben wird. Manchmal ist Ghosting auch einfach Selbstschutz.

Bingo-Score: Disqualifiziert, weil nicht in Wettkampfform

Ich werde mich wohl weiterhin durch den Berliner Tinder-Trash wühlen. Es gibt da draußen bestimmt noch andere DJs, auf deren Gästeliste ich noch nicht stehe, oder Expats, mit denen ich mein Englisch aufbessern kann. Und vielleicht finde ich irgendwann jemanden, der bei meinem Berlin-Dating-Bingo nicht innerhalb weniger Minuten gewinnt.

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