Ein Lieferant bringt eine Pizza
Symbolfoto: VICE

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Belästigung

Aufdringliche Essenslieferanten: Wenn mit der Pizza ein Creep nach Hause kommt

Wie Frauen regelmäßig von Essenslieferanten belästigt werden und was die Lieferunternehmen dazu sagen.

Zu Hause ist da, wo man sich sicher fühlt. Zumindest sollte es so sein. Und daran sollte sich auch nichts ändern, nur weil man sich etwas zu Essen bestellt. Trotzdem überschreiten einige Essenslieferanten immer wieder persönliche Grenzen – bei der Auslieferung oder auch danach. Das zeigen viele Geschichten von Kundinnen, die VICE ihre Erfahrungen geschildert haben – so wie Yasmin.

An einem Dienstagabend im März bestellt sie über Lieferando einen Burger, gegen halb neun klingelt es an ihrer Tür. Yasmin öffnet dem Lieferanten in Schlabberpulli und Jogginghose, nimmt das Essen entgegen, lächelt und schließt die Tür. Alles ganz normal. Ein paar Minuten später, den Burger hat sie noch nicht mal ausgepackt, vibriert ihr Handy. Der Lieferando-Fahrer hat ihr eine WhatsApp-Nachricht geschrieben.

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"Hat dir geschmeckt?"

Ist doch nett – könnte man meinen –, diese Nachricht, die dieser Mann an Yasmins private Nummer schickt. Yasmin sagt, sie habe diesen unbeholfenen Kontaktversuch zuerst fast witzig gefunden – bis ihr das Problematische daran auffiel: "Dieser völlig fremde Typ kennt meine Adresse, meinen Namen, weiß wie ich aussehe und schreibt mir einfach auf meine private Nummer. Das war extrem unangenehm."


Aus dem VICE-Netzwerk: Eine Messe für die Pizza


Als Yasmin einen Screenshot der Nachricht in ihrer Instagram-Story postet, melden sich Dutzende Frauen mit ähnlichen Geschichten. Von Essenslieferanten, die ihre Grenzen nicht kennen, die an der Tür das Aussehen ihrer Kundinnen anzüglich kommentieren oder private Kundinnen-Daten missbrauchen, um sie bei Facebook zu belästigen. Wir haben uns diese Geschichten erzählen lassen und die Lieferunternehmen gefragt, wie sie damit umgehen. Denn auch wenn manchen dieser Männer nicht bewusst sein sollte, was sie da tun, bleibt es das gleiche Problem: Es sind Grenzüberschreitungen, die dafür sorgen, dass sich die Betroffenen zu Hause nicht mehr sicher fühlen.

Wenn Essenslieferanten fragen, ob man allein zu Hause ist

Auch Kim erzählt gegenüber VICE von einer unangenehmen Begegnung – in ihrem Fall mit einem Foodora-Fahrer. In Schlafshirt und kurzer Hose habe sie an der Wohnungstür den Lieferanten empfangen. Der habe gelächelt, ihr das Essen in die Hand gedrückt und gesagt, "sieht ja gemütlich aus". Dann habe er ihr zugezwinkert und sei gegangen. "Ich war alleine zu Hause und mir war das sehr unangenehm", sagt Kim. Es sei absurd, ein ungutes Gefühl haben zu müssen, nur weil man sich Essen liefern lässt. Dennoch geht es offenbar einigen Frauen so, auch Stefania* aus Wien.

Als sie Ende März eine Lieferung von Foodora entgegennahm, habe der Lieferant sie von oben bis unten gemustert, dann gegrunzt und "Na Servus!" gesagt, während er auf ihren Körper starrte. Stefania schloss die Tür und meldete den Fall an Foodora. In der gleichen Stadt bekam es Naomi mit einem aufdringlichen Lieferanten der Firma Mjam zu tun. "Ein paar Minuten nach der Lieferung hat der Typ mich angerufen und mir Fragen gestellt. Ob ich Single bin, wie alt ich bin, ob ich da alleine wohne." Ein anderer Lieferant habe sie direkt an der Wohnungstür gefragt, ob sie alleine lebe, sagt Naomi. "Das ist die gruseligste Frage ever. Warum muss er das wissen? Will er später wiederkommen oder wie?"

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Wie problematisch solche Grenzüberschreitungen sind, merkt man dann, wenn man sie wie Yolanda* in einer kleineren Stadt wie Würzburg erlebt. Auch ihr hatte ein Lieferant private Nachrichten geschrieben, aber damit war die Sache nicht vorbei. Jedes Mal, wenn sie etwas bestellte, sei der Lieferant wieder vorbeigekommen, sagt sie. "Er hat mir immer wieder auf WhatsApp geschrieben, mich zum Essen einladen wollen und mich schließlich noch gestalkt, wenn ich das Haus verlassen habe, angeblich weil er in der Nähe wohnte und mich gesehen habe." Auch als Yolanda zwei Monate später in eine andere Stadt zog, habe ihr der Lieferant noch geschrieben.

Ist so ein Verhalten strafbar? Es kommt darauf an. Auf Stalking oder, wie im Strafgesetzbuch steht, "Nachstellung", stehen in Deutschland bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Dafür muss jemand eine andere Person auf eine Weise verfolgen, "die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen". Und zwar indem er sich immer wieder dieser Person nähert oder sie auf irgendeinem Kanal kontaktiert. Heißt: Es ist in jedem Einzelfall Auslegungssache des Gerichts. Eine einmalige schleimige Anmache vom Pizzaboten reicht jedenfalls nicht für eine Anzeige. Das ändert aber nichts daran, dass so ein Verhalten falsch ist – und zumindest von Seiten der Lieferunternehmen Konsequenzen hat.

Manche Lieferfirmen müssen beim Datenschutz noch nachbessern

Fahrerinnen und Fahrer von Foodora müssen laut einem Unternehmenssprecher regelmäßig Schulungen zum Lieferverhalten absolvieren. Wenn es Vorwürfe gab, habe man die mit den Fahrern besprochen und gegebenenfalls rechtliche oder personelle Schritte eingeleitet, teilt ein Sprecher von Delivery Hero mit. Zu dem Unternehmen gehören neben Foodora auch Lieferheld und Pizza.de, die jedoch keine eigenen Fahrer beschäftigen. "Alle Fahrer sehen die Kundendaten wie Adresse, Name und Telefon- oder Mobilfunknummer, da sonst eine reibungslose Lieferung nicht gewährleistet ist", sagt der Sprecher. Ob das Unternehmen in Zukunft eine technische Lösung finden wird, um zumindest die Handynummer von Kunden in der Fahrer-App zu verbergen, ist unklar, aber durchaus möglich. Denn das gesamte Deutschlandgeschäft von Delivery Hero wurde Ende März an Takeaway.com verkauft, dem niederländischen Unternehmen, zu dem auch Lieferando gehört. Und dort arbeitet man zumindest schon an einer Lösung des Problems.

Noch können Essenslieferanten bei Lieferando die vollen Kontaktdaten von Kundinnen und Kunden sehen. Das soll sich jedoch ändern: "Wir haben vor, die Telefonnummern so zu verbergen, dass die Kunden noch kontaktiert werden können, ohne dass die Fahrer die Telefonnummer sehen können", sagt ein Sprecher. Auch Lieferando schule seine Mitarbeiter regelmäßig und fahre eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Mitarbeitern, die andere belästigen oder deren private Kontaktinformationen missbrauchen.

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Nur Deliveroo zeigt, dass man auch schon weiter sein könnte. In der Fahrer-App von Deliveroo sei die Telefonnummer von Kunden immer verborgen, schreibt ein Sprecher des Unternehmens, nur während des Liefervorgangs können die beiden einander kontaktieren. Diese Funktion hat Deliveroo nach eigenen Angaben bereits 2017 implementiert. Alle Beschwerden über unangebrachtes Verhalten nehme man auch bei Deliveroo sehr ernst. Wenn sich Vorwürfe bewahrheiten, beende das Unternehmen seine Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Fahrer.

Yasmin hatte lange überlegt, ob sie den Fahrer bei Lieferando melden sollte. Schließlich sei er erstens vielleicht einfach nur ein Depp, der dafür seinen Job verliert. Und zweitens habe sie nicht wissen können, wie dieser Mann dann reagiert, der genau weiß, wo sie wohnt. Doch weil sie Lieferando in ihrer Instagram-Story markiert hatte, meldete sich das Unternehmen von ganz allein. Man werde den Fahrer darauf hinweisen, dass das Verhalten nicht in Ordnung sei.

Die technische Lösung ist also nur die eine Seite. Bei der anderen geht es darum, dass die Lieferunternehmen all ihren Fahrerinnen und Fahrern wirklich klarmachen, dass ihre Kundinnen keine Projektionsflächen für Gedanken sind, die unterhalb der Gürtellinie entstehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr Verhalten als nett, höchstens ein bisschen flirty und eigentlich doch ganz harmlos empfinden. Denn es geht um die Perspektive der Kundinnen und Kunden, die keinen bedrohlichen und übergriffigen Flirtversuch bestellt haben, sondern lediglich etwas zu Essen.

*Name geändert

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