„Komponistinnen waren inakzeptabel“: wie Frauen klassische Musik revolutionieren
Photos by Rahkela Nardella

FYI.

This story is over 5 years old.

Musik

„Komponistinnen waren inakzeptabel“: wie Frauen klassische Musik revolutionieren

Seit jeher wurde Frauen gesagt, sie könnten nicht komponieren, da ihnen von Natur aus die Kreativität dazu fehlen würde oder sie „zu schwach“ seien. Ein neues Programm für Nachwuchskomponistinnen möchte die Musikwelt nun eines Besseren belehren.

Im Jahr 1820, als die deutsche Pianistin und Komponistin Fanny Mendelssohn gerade einmal 15 Jahre alt war und ihr erstaunliches musikalisches Talent deutlich wurde, erhielt sie einen Brief von ihrem Vater. „Die Musik wird vielleicht der Beruf [deines Bruders] werden", schrieb er, „für dich kann und wird sie nur eine Zierde bleiben."

Zwanzig Jahre später ereilte Clara Schumann, eine andere deutsche Komponistin, ebenfalls das Gefühl, dass es kaum weibliche Vorbilder auf ihrem Gebiet gab. In ihrem Tagebuch schrieb sie: „Ich habe einst gedacht, ich hätte eine kreative Begabung, mittlerweile habe ich diese Vorstellung aufgegeben. Eine Frau darf nicht den Wunsch haben zu komponieren—nicht eine von ihnen hat es geschafft, warum also sollte es mir anders ergehen?"

Anzeige

Clara hat letztendlich sage und schreibe 420 Stücke komponiert, dennoch existiert bis heute die Vorstellung, dass Frauen in diesem Beruf nicht erfolgreich sein könnten: Im Jahr 2013 meinte Bruno Mantovani, Chef des Pariser Konservatoriums, dass Komponieren eine zu große „körperliche Anstrengung" für Frauen wäre.

Mehr lesen: Reaktionäre, sexistisch, übergriffig—deutsche Musikbranche, wir müssen reden

Im selben Jahr sagte der russische Komponist Yuri Temirkanov, dass die Kraft, die man zum Komponieren bräuchte, in direktem Kontrast zum „Wesen einer Frau" stünde, womit er eigentlich meinte, dass Frauen zu schwach wären. Musiker, sagte er weiter, wären auch nicht in der Lage mit einer Komponistin zu arbeiten, weil ihr Anblick sie „von der Musik ablenken" würde.

Das sind nicht „nur" irgendwelche faulen Kommentare. Statistiken zeichnen ein düsteres Bild von der Arbeit weiblicher Komponistinnen und zwar in allen Bereichen der klassischen Musik. In Australien sind nur zwölf Prozent der Komponisten, die vom australischen Ensemble beauftragt werden, Frauen und nur 26 Prozent der Komponisten, die beim Australian Music Centre registriert sind, sind weiblich. Eine Untersuchung führender US-amerikanischer Orchester aus dem Jahr 2014/15 hat unterdessen festgestellt, dass nur 1,8 Prozent aller Stücke, die in einer Konzertsaison gespielt wurden, von Frauen stammten.

In Deutschland hat das Archiv Frau und Musik die Daten großer Hochschulen und Kompositionsinsitute ausgewertet und hat dabei festgestellt, dass im Jahr 2014 von ingesamt 2.872 Einzelaufführungen der Initiative Neue Musik Berlin nur zwölf Prozent von Komponistinnen stammten. Außerdem gab es 2014 deutschlandweit nur vier Professorinnen im Hauptfach Komposition (also insgesamt acht Prozent).

Anzeige

Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.

Ein neues Projekt, angeführt von den erfolgreichsten australischen Komponistinnen, möchte das nun ändern. Das National Women Composers' Development Program wurde 2016 von der University of Sydney vorgestellt und hat vier junge Komponistinnen—Ella Macens, Clare Johnston, Elizabeth Younan und Natalie Nicolas—ausgewählt, die auf einer entscheidenden Stufe ihrer Karriere durch das Programm betreut werden sollen.

Geleitet wird das Ganze von dem Conservatorium of Music in Sydney, einer der renommiertesten Musikschulen des Landes. In den kommenden zwei Jahren werden sie von erfolgreichen Komponisten betreut werden, Musik für führende klassische Musiker schreiben und innerhalb ihrer Branche Kontakte knüpfen.

„Das Programm bietet uns unglaubliche und noch nie da gewesene Möglichkeiten", sagt Clare, eine der auserwählten Komponistinnen. „Es wird mich dabei unterstützen, innerhalb dieser zwei Jahre mein volles Potenzial als Komponistin zu entfalten."

Foto: Rahkela Nardella

Eine andere Komponistin, Elizabeth, hatte zuerst einige Vorbehalte und hat sich selbst gefragt: „Wird meine Musik dann als grundsätzlich ‚anders' oder ‚fremdartig' angesehen? Wird meine Musik dann noch leistungsabhängig beurteilt? Letztendlich wurde mir aber klar, dass diese Fragen den geschichtlichen Umgang mit Frauen und seine anhaltende Wirkung auf die heutige Gesellschaft vollkommen außer Acht lassen."

Anzeige

Elizabeth war nicht die Einzige, die zunächst gezögert hat. Die Ankündigung des Programms, sagt Ella, hatte einen „Schockfaktor, von wegen: ‚Warum ist es nur für Frauen?'"—eine Frage, die sich viele Studenten am Konservatorium stellten. Doch nachdem anfängliche Meinungsverschiedenheiten geschlichtet waren, sagt sie, wurde vielen Studenten bewusst, in welchem historischen und aktuellen Kontext ihr gewählter Beruf steht.

„In der Schule haben wir keine einzige Komponistin besprochen", sagt Ella. Bei Clara war es genauso. „Frauen wurde über mehrere hundert Jahre gesagt, dass sie nicht komponieren könnten, weil es unweiblich sei und Frauen von Haus aus nicht kreativ seien", sagt sie. „Frauen konnten Klavierlehrerinnen werden—das war in Ordnung—, aber Komponistinnen waren vollkommen inakzeptabel."

Eine 17-jährige britische Schülerin hat 2015 die britische Prüfungskommission Edexcel mit einer Petition dazu aufgefordert, auch die Werke weiblicher Komponistinnen in ihre Prüfungsprogramme aufzunehmen. Die 63 Werke, die bis dahin enthalten waren, stammten allein von männlichen Komponisten. Nachdem die Petition publik wurde, erhielt die junge Frau eine persönliche Entschuldigung von Edexcel mit dem Versprechen, die Programme anzupassen.

Doch nicht jeder ist bereit, so öffentlich Stellung zu nehmen. Professor Sally Macarthur, eine feministische Musikwissenschaftlerin an der Western Sydney University, sagt, dass „sich mit Sicherheit einige [Komponistinnen] diskriminiert fühlen, sie sich aber nicht zu Wort melden, weil sie nicht als Störenfriede gelten wollen."

Anzeige

Wenn [Orchester und Ensembles] mehr zeitgenössische Musik von Komponistinnen spielen, wird das andere junge Frauen dazu inspirieren, selbst Musik zu schreiben.

Sie zitiert eine persönliche Freundin von sich, eine talentierte Komponistin, die sich über das Ungleichgewicht der Geschlechter geäußert hat und am Ende aus dem Lineup eines Festivals genommen wurde. „Eine solche Denkweise sagt aus, dass Kreativität eine Männerdomäne ist, in der Frauen nichts zu suchen haben."

Geboren wurde diese Mentalität aus der männerdominierten Vergangenheit des Komponistenberufs heraus. Maria Grenfell ist eine der Mentorinnen bei dem Programm des Konservatoriums und ist selbst Komponistin. Sie erklärt, dass es zwar immer Komponistinnen gab, Frauen aber oft keine wirkliche „Karriere" hatten: „Sie waren in der Kirche oder hatten Kinder."

Mehr lesen: „Wir Frauen müssen uns immer mehr beweisen"—Patti Smith im Interview

Daher wird auch an Schulen und Universitäten nur selten über Komponistinnen gesprochen. Über zeitgenössischere Komponistinnen zu sprechen, würde auch bedeuten, dass man darüber sprechen müsste, was tatsächlich aktuell in der Welt passiert, sagt Maria und meinte dazu auch, dass „es dabei nicht um Geschlechterrollen geht, sondern um Gleichberechtigung."

Die jungen Frauen, die an dem Programm teilnehmen, sind optimistisch. „Wenn [Orchester und Ensembles] mehr zeitgenössische Musik von Komponistinnen spielen, wird das andere junge Frauen dazu inspirieren, selbst Musik zu schreiben", sagt Clare. „Eine meiner Lieblingskomponistinnen, Julia Wolfe, hat gerade erst den Pulitzer-Preis für Musik gewonnen. Komponistinnen werden in ihrem Beruf also schon jetzt viel stärker wahrgenommen."

„Unsere Welt gedeiht in Vergänglichkeit", sagt Natalie, das vierte Mitglied des Programms, „und das ist auch beim Komponieren so."