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Crazy Frog und Nokia-Tüdelü: So entstanden die nervigsten Handy-Klingeltöne

Der Nokia-Klingelton hätte uns wohl nie genervt – hätte nicht vor 100 Jahren ein spanischer Gitarrist ein Lied komponiert. Jetzt will ein ukrainischer Tontechniker einen Wendepunkt in der Geschichte der Klingeltöne herbeiführen.
Screenshot: NPT Music | YouTube

Seit Wochen verfolgt Slavio Pole ein ambitioniertes Ziel: Der ukrainische Musiker und Tontechniker möchte Apple davon überzeugen, die aktuellen Klingeltöne von iPhones durch seine selbstkomponierten zu ersetzen.

Das klingt zwar nach einem ziemlich aussichtslosen Unterfangen, schließlich unternimmt Pole seine Überzeugungsarbeit auf Twitter, wo er derzeit gerade mal 13 Follower hat. Trotzdem meint er es mit seinem ungewöhnlichen Anliegen Ernst und bringt dafür auch gute Gründe vor.

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Obwohl Pole selbst kein iPhone besitzt, wird er überall von den Tönen verfolgt – und sie nerven ihn furchtbar. "Ich finde, dass die meisten Töne des iPhones einen scharfen Klang haben", schrieb er in einer E-Mail. "Ich bin alle Töne durchgegangen und die meisten von ihnen sind überflüssig und unsinnig."

Für die störenden, unnatürlichen Laute, die unsere Elektrogeräte von sich geben, kann man natürlich nicht Apple allein die Schuld geben. Die mobile Lärmbelästigung erreichte mit dem Siegeszug des Mobiltelefons und dem Crazy Frog ihren traurigen Höhepunkt. Jede Firma, von Nokia über Blackberry bis Apple, hat außerdem einen eigenen Standard-Klingelton entwickelt, den wir wohl nie wieder vergessen werden.

Nokia verhalf einem Klassikstück von 1902 zu Weltruhm

Im Jahr 1902 komponierte der spanische Gitarrist Francisco Tárrega das Stück "Gran Vals", aus dem später der unverkennbare Nokia-Klingelton entstand – eines der meist gehörten Musikstücke aller Zeiten. Ein Grund, warum sich die Nokia-Entwickler ausgerechnet für Tárregas Stück entschieden haben: Das Stück war gemeinfrei, denn der Komponist war bereits 80 Jahre zuvor gestorben. Wie The Next Web richtig bemerkte, ist die Melodie sogar noch älter, denn das Original wurde von Frédéric Chopin als "Grande Valse Brillante" komponiert, auch wenn die beiden Werke beim ersten Hinhören gar nicht so ähnlich klingen.


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Doch die Geschichte des Klingeltons begann nicht erst mit Nokia und dem Mobiltelefon. Die Inspiration für den Klingelton, wie wir ihn heute kennen, reicht vermutlich in die 1970er Jahre zurück. Im Jahr 1968 entschied die US-Regulierungsbehörde FCC, dass auch Zubehör, das nicht vom Telefon-Erfinder Bell hergestellt wurde, an das Telefonsystem angeschlossen werden darf. Diese regulatorische Entscheidung in den USA hatte weiterreichende Auswirkungen, als man vielleicht denken würde. Denn sie machte den Weg für Geräte frei, die individuelle Klingeltöne abspielen konnten.

Etwa zur gleichen Zeit arbeitete ein britischer Musiker namens Thomas Morgan Robertson an seinem Debütalbum. Später wurde er unter dem Künstlernamen Thomas Dolby bekannt und gilt als einer der bekanntesten Interpreten von Synthesizer- und New-Wave-Musik. Er sollte auch eine entscheidende Rolle bei der weiteren Entwicklung des Klingeltons spielen.

Ein New-Wave-Musiker machte den polyphonen Klingelton möglich

In einem Interview mit The A.V. Club sagte Dolby im Jahr 2005, dass er nur durch Zufall mit Klingeltönen in Kontakt gekommen ist. Grund dafür war eine Software, die seine Firma Beatnik entwickelt hatte. Die Technologie sollte als Website-Plugin ähnlich wie Flash oder Java funktionieren. Zufälligerweise war sie auch perfekt für Mobiltelefone geeignet. So konnte Beatnik einen Vertrag mit Nokia abschließen, die ihre monophonen Klingeltöne durch polyphone Töne mit mehr Tiefe ersetzen wollten. Dolbys Produkt war so erfolgreich, dass bald andere große Mobiltelefonhersteller die Software kauften.

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Die Musikindustrie entdeckte die polyphonen Klingeltöne schnell als neue Einnahmequelle. Eine Pressemitteilung der Billboard Hot Ringtones Charts von 2004 schätzte den Jahresumsatz mit Klingeltönen auf stolze 245 Millionen Euro. Dieser Markt hätte wohl gar nicht existiert, wenn Thomas Dolby Nokia und andere Hersteller nicht für seine Software für polyphone Klingeltöne begeistert hätte. Es folgten einige Jahre, in denen man in Deutschland nicht den Fernseher anschalten konnte, ohne Werbung für den Crazy Frog, Sweety das Küken oder Schnuffel den Hasen zu sehen. Auf MTV liefen die penetranten Werbeclips in Hochzeiten bis zu 150 Mal am Tag.

Mit dem Smartphone waren die Zeiten des Jamba-Sparabos und der unsäglichen niedlichen Tierchen schließlich vorbei. Während Deutsche im Jahr 2004 noch 183 Millionen Euro für Pop- und Rocksongs als Handyklingelton ausgegeben haben, nutzen heute nur noch die wenigsten Handybesitzer echte Lieder als Klingelton. Viele Menschen lassen ihr Handy heute dauerhaft auf stumm geschaltet – somit ist der meistverbreitete Klingelton heute wohl das Surren des Vibrationsmodus.

Trotzdem möchte der Ukrainer Slavio Pole Apple davon überzeugen, ihren Standardklingelton "Marimba" durch seine selbstkomponierten Werke wie "Evening Mystery" auszutauschen. Für iMessage hat sich der Ukrainer das Geräusch von fröhlich zerplatzenden Luftblasen überlegt. Geweckt werden könnten Nutzer künftig durch den Alarmton "Azure Coast". Ein iPhone besitzt der Tontechniker selbst nicht, denn das kann er sich nicht leisten.

Dieser Artikel ist zuerst in voller Länge auf Englisch im Newsletter Tedium erschienen.

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