collage: berghain club in berlin und die autorin
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Popkultur

Ich war das erste Mal im Berghain

Die erste Berghain-Regel: Man spricht nicht öffentlich übers Berghain. Ich breche diese Regel – wie alle anderen Regeln – gerne, und teile meine Erfahrungen.

Dieser Artikel wird von zwei Gruppen von Menschen angeklickt. Die erste Gruppe ist die, die mich ächten und hassen will, weil ich es wage, übers heilige Berghain zu schreiben. Aber ganz ehrlich: Im Zuge meiner privaten Recherche, wie ich denn in diesen Laden reinkomme, habe ich so viele Blog-Artikel, Artikel und Posts gelesen, die teilweise so ein Bullshit waren, dass ich mich jetzt nicht als die ultimative Snitch sehe und wenn, ist mir das irgendwie auch egal. Wenn ihr mich zitiergenau hassen wollt: Zirka ab dem siebten Absatz kommentiere ich die Musik, ab dem fünften die Tür und immer wieder auch die Menschen. Die zweite Gruppe besteht aus Menschen, die wissen wollen, wie ich reingekommen bin.

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Also liebe zweite Gruppe: Keine Ahnung, ganz ehrlich. Es war auch für mich eine Wissenschaft. Von Beiträgen, die fancy Kleidung oder schwarze Kleidung oder nur Unterwäsche anraten (mit den wundervollen, abschließenden Frauenmagazin-Worten: " Hauptsache, du bleibst du selbst") habe ich so gut wie alles gelesen. Solltest du nicht wirklicher und realer Raver sein – also deine gesamte Partyzeit in Technoschuppen verbringen und mal auch lange nach Sonnenaufgang feiern –, oder ein schwuler Mann zwischen 20 und 45 sein, der auf Sado Maso steht und diese Outfits gerne zum Feiern anzieht – dann bleibe auf gar keinen Fall du selbst.

"Die Türsteher in Berlin sind keine Wappler."

Verändere dich komplett oder versuche es erst gar nicht. Ich wäre nach meiner Erfahrung aber für Letzteres. Du wirst dort sowieso keinen Spaß haben, solltest du nicht wirklich zu einer der beiden Gruppen gehören und deshalb wirst du wahrscheinlich auch ausgesiebt werden. Die Türsteher in Berlin sind keine Wappler.

Was sicher nicht funktioniert: Lachen in der Schlange. Handy in der Schlange. Bier in der Schlange. Kurz gesagt: Alles, was nach Spaß aussieht, ist haram. Techno ist nun mal arroganter, ernster Krieg und das Berghain ist seine Festung. Wage es nicht, den Türsteher anzulachen oder Freude zu äußern. Schau mehr so drein, als würdest du deine Eltern nach dem Oberstufen-Elternsprechtag erwarten. Ich hatte nur Mascara oben, eine Jeansjacke und eine schwarze Laufhose an. Wenn du dich zu sehr auftakelst, dann kommst du nicht rein. Gut aussehen und lachen kannst du in einem HipHop-Club, aber nicht im Berghain. Ich habe dort keine einzige Handtasche, Stöckelschuhe (außer an einem Typen, der ein Brautkleid trug) oder Contouring-Gesichter gesehen. Und auch keine Hipster-Einfälle, wie weiße Socken und hochgekrempelte Hosen. Schau einfach so aus, als wärst du frisch obdachlos, aber rieche besser. Oder greife zu Lack und Leder.

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Die Autorin vor ihrem Besuch im Bergahin

He hast du ein Euro oder eine Tschick?

Aber wieder zum großen Ganzen: Das Berghain nimmt sich und seine tragende Rolle in der Technoszene sehr ernst. Das merkt man anhand der strengsten Tür in Berlin, aber auch an den leuchtenden Augen der Anhänger, mit denen man über das Berghain spricht. Aber genau das macht den Reiz aus. Jeder Berlin-Tourist unter 35 will mal drinnen gewesen sein, weil dort gibt es ja verruchte Darkrooms. Erschrockenes Emoji. Liebe Berliner: Seid nicht sauer auf uns Touristen. Die meisten von uns feiern in Räumen, die die Akustik und Optik eines Jugendheim-Kellers haben.

Unsere Highlights sind Flaschenboot-Angebote, das legale Feiern mit 16-jährigen und Wiener-DJs, die so tun als wären wir in Berlin. Das ist zwar ur lustig, aber auf Dauer befriedigt es nicht nur nicht, sondern zerstört jede normale und gesunde Psyche. Auch ein Trigger: Nicht jeder schafft es rein und so ist der verruchte Berghain-Hedonismus-Apfel noch ein bisschen saftiger und röter, als die anderen Äpfel im benachbarten Garten. Der Ego-Schub, wenn man in den auserwählten Zirkel der Reingelassenen gehört, ist das Anstehen und Herumstressen für viele Generation Y-Egos wert.

Das Berghain-ABC

Und das obwohl viele davon nicht mal wirklich Techno-Fans sind oder auch sonst einen weiteren Mehrwert von einem Besuch hätten, da man außer einem "Ich bin hier"-Status wenig posten kann. Ich weiß, Fotos sind überall in Berlin uncool – eh gut so. Und ich weiß, die Generation Y ist grundsätzlich keine logisch-nachvollziehbare und effektive Mehrwert-Generation. Grüße an meine Kollegen am Tibetanismus-Institut, die am liebsten über meta-philosophische Konzepte oder über ihre eigene Gefühlswelt reden, anstatt der Gesellschaft wirklich etwas zu bringen. Macht weiter so, ihr entlastet die Arbeitsmarkt-Situation ungemein, dafür liebe ich euch.

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Auch ich musste es wissen. Immerhin organisiere ich in Wien Technopartys, also werde ich wohl Bitteschön, oh mein Gott, auf jeden Fall ins Berghain reingelassen werden. In Berlin war ich schon oft, denn ich bin der klassische, unaushaltbare Techno-Tourist, der Schuld daran ist, dass die Eingeborenen keinen Bock mehr auf ihre eigene Clubkultur haben. Die typischen Clubs kenne ich zumindest gut bis sehr gut: Kater Blau, Heideglühen, Tresor, Wilde Renate, Ritter Butzke, Weekender und einen Club, den ich wegen Erinnerungslücken nicht benennen kann.

Jedenfalls war ich zum dritten Mal gezielt in Berlin, um das Sisyphos aufzusuchen – höchstwahrscheinlich mein Lieblingsclub auf der ganzen Welt – und zum dritten Mal hatte er genau an dem Wochenende zu. Das Leben ist ein räudiger Hund. Wäre ich nicht Teil der ineffektiven Generation Y, hätte ich mich wahrscheinlich zum dritten Mal ganz einfach vor dem Buchen informiert, aber hätte-hätte-Fahrradkette. So haben wir alle unser Generationspäckchen zu tragen.

Das Berghain hat mich davor aus drei Gründen nicht gereizt: Clubs, die so eine ernste Ausstrahlung haben, reizen mich einfach generell nicht. In Wien nicht und sonst auch nicht. Sich zu ernst nehmen, ist quasi das Gegenteil meiner Persönlichkeit, deshalb meide ich solche Umgebungen eigentlich. Lieber bin ich in einem Club wie dem Sisyphos (höchstwahrscheinlich), wo alle lustig aussehen und lustige Sachen machen können. Zweitens: Mein Ego ist schlicht und einfach zu fragil – anzustehen und dann eine Absage zu bekommen, ist auch mit meinem egostärkenden Social Media-Grind nicht drinnen. Drittens: Meine gesamte Umgebung besteht aus Sisyphos-Persönlichkeiten. Also wilde Freigeister, die lustig angezogen feiern gehen und wie Zauberfeen mit Malstiften alle Gäste ungefragt anmalen.

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Letztes Jahr sind aber wieder einige gute Freunde nach Berlin gezogen. Manche von ihnen waren noch nie im Berghain, obwohl sie jedes Wochenende fortgehen. Eine von ihnen hat sich in den Schuppen verliebt und verweilt so gut es geht jede freie Sekunde am Sonntag dort. Ich habe mich auch ausgeschlafen und habe den Weg am Sonntag in der Früh gewagt. Und tatsächlich: Es gab kaum eine Schlange und ich bin eigentlich ohne Nachfragen reingekommen. Davor habe ich selbstverständlich das LineUp studiert, weil Berliner Clubs manchmal wissen wollen, ob du dein Ego stärken willst oder tatsächlich wegen der Musik da bist. Bei mir war es eher das Ego. Natürlich auch die Musik, aber es war mir ehrlich egal, wer spielt, mir ging es um das Erlebnis der Anlage und des Clubs. Und um mein Ego.

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Und wer so eine fette Anlage zum ersten Mal erlebt, der wird jetzt auch nicht groß verlangen, dass sein Lieblings-DJ oben steht, sondern dass er sich die volle Dröhnung bester Soundqualität geben kann. Und oh Gott, die Anlage ist wirklich das Beste. Überhaupt ist das Berghain sehr groß: Von außen habe ich mehrere Stockwerke vermutet, aber eigentlich ist der Platz so eingesetzt, dass der Club wirklich hohe Wände hat und ich ahne, dass das mit der Akustik zusammenhängt. Die Panormabar ist heller und weiter oben, auch die hatte super Sound und leiwande Musik.

Also die Musik am Main war nicht das Beste, was ich je gehört habe und das haben mir auch Stammgäste bestätigt. Aber es war trotzdem besser als jeder Wiener-DJ-Sound der 250 Euro aufwärts für sein Set in einem 200 Menschen-Club verlangt. Und der Sound hat für mich trotzdem besser gepasst, weil harter Techno einfach meins ist und es im Kater, Heideglühen, Ritter Butzke und so weiter zu meinen Besuchszeiten immer "leichtere" bis "zu leichte" Kost gespielt hat.

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Überhaupt war das Berghain drinnen ganz anders: Die Barmenschen, die Gäste und die Securitys waren supernett und niemand war hochnäsig. Die Gäste sind wirklich einmalig gut selektiert: Das merkt man an der vollen und wirklich zu jeder Zeit motivierten Tanzfläche und auch daran, dass sich alle verstehen. Wenn du dir nicht vorstellen kannst oben ohne in einem Club zu tanzen, besuche das Berghain nicht.

Einmal stand plötzlich ein nackter und sehr gut bestückter Typ neben mir. Später habe ich gesehen, wie er einen Handjob bekommt, was mich ehrlich gefreut hat. Dann gab es einen Typen mit Brautkleid, Stöckelschuhen und crazy MakeUp. Zwei dickere und bärtige Typen, Marke Rocker, standen schmusend auf der Tanzfläche und drehten an ihren Nippeln. Ich habe eine Frau oben ohne superekstatisch auf der Tanzfläche tanzen gesehen. Ein Kumpel von mir wurde von einem Typen gebeten, in einen Becher reinzupissen, der dann den Becher genüsslich in einer Ecke getrunken hat.

Hedonismus und Freiheit wird dort großgeschrieben und Sex ist dort allgegenwärtig. Die meisten Menschen waren in sehr freizügigen Fetischoutfits, ich fühlte mich wohl und lief irgendwann auch nur im BH herum. Ich habe eine angenehme Kopfmassage von einem Indonesier bekommen, mit dem ich zwei Stunden auf Englisch gesprochen habe, bis wir beide gecheckt haben, dass wir eh beide der deutschen Sprache mächtig sind, rein potenziell. Einmal habe ich mich unabsichtlich in den Darkroom verirrt, wo tatsächlich gerade drei Männer ihren Spaß hatten. Ich wollte ihnen ein High-Five geben, sie schienen nicht daran interessiert. Kann ich ihnen nicht verübeln, aber irgendwie einfach nur reinkommen und wieder gehen, kam mir sehr unhöflich vor.

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So war Berlin 1989:


Englisch ist dort die vorherrschende Sprache und die Leute, mit denen ich sprach, waren ziemliche High-Achiever: Intelligente, erfolgreiche Menschen und vor allem waren sie, entgegen des Klischees, ansprechbar. Man sieht im Berghain nämlich alles, nur keine Drogen. Das liegt auch daran, dass das streng kontrolliert wird und deshalb außerhalb der Klokabine wenig bis gar nichts fürs fremde Auge sichtbar ist. Es gibt viele dunkle und helle Räume, in denen man einfach nur chillen kann und genügend Bars, die Obst und Erfrischungen anbieten. Der Club ist so konzipiert, dass man dort theoretisch eine Zombieapokalypse überleben könnte, so wie alle großen Clubs in Berlin. Ab irgendeinem Punkt ist ja auch jeder Club von einer Zombieapokalypse betroffen.

Auch nach acht Stunden habe ich immer noch neue Räume gefunden und Menschen kennengelernt. Irgendwann musste ich aber gehen, weil die halbnackte Frau, die ekstasisch getanzt hat, dann irgendwann für alle sichtbar Sex neben der Tanzfläche hatte. Was wahrscheinlich sehr toll für sie war, mir aber Angst gemacht hat. Berauschte Frauen beim Vögeln zu sehen, mag ich nicht, weil ich nie weiß, wie sehr sie es wirklich wollen. Aber das ist mein persönlicher Kaffee und sie wirkte dabei sehr zufrieden.

Fredi hat Twitter: @Schla_wienerin

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