Liebe, Gerüchte, zerstückelte Junggesellen: So lebte und tötete die erste Kontaktanzeigen-Mörderin
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Liebe, Gerüchte, zerstückelte Junggesellen: So lebte und tötete die erste Kontaktanzeigen-Mörderin

Anfang des 20. Jahrhunderts soll die Witwe Belle Gunness Dutzende Männer ermordet haben. True-Crime-Autor Harold Schechter verrät, was hinter dem bizarren Verbrechen steckt.

Im Jahr 1908 betritt die Witwe Belle Gunness mit einem ungewöhnlichen Anliegen das Anwaltsbüro von M.E. Leliter in der US-amerikanischen Kleinstadt La Porte. Die Farmbesitzerin sagt, sie fürchte um ihr Leben, weil sie die Annäherungsversuche ihres ehemaligen Hilfsarbeiters Ray Lamphere nicht erwidert hat. Deswegen will sie bei Leliter ihr Testament aufsetzen. Noch in der gleichen Nacht brennt Gunness' Farm nieder. In den Ruinen finden die Ermittler die kopflose Leiche einer Frau, die sich an die Überreste von drei Kindern klammert.

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Hinter dem zerstörten Haus entdeckt die Polizei aber auch eine Art Friedhof, auf dem mehrere zerstückelte Leichen vergraben sind. Nach und nach setzt sich das Puzzle zusammen: Belle Gunness soll per Heiratsannonce Dutzende Junggesellen auf ihre Farm gelockt und dort ermordet haben – nur um deren Ersparnisse abzustauben. Das Bild von der heldenhaften Mutter, die im Feuertod noch ihre Kinder retten wollte, ist zerstört.

Allerdings gibt es in dem Fall Ungereimtheiten. Für sein Buch Hell's Princess: The Mystery of Belle Gunness, Butcher of Men hat sich True-Crime-Autor Harold Schechter intensiv mit der Legende von Belle Gunness beschäftigt. Uns verrät er, was hinter dem bizarren Verbrechen steckt.

VICE: Wie hast du von Belle Gunness erfahren?
Harold Schechter: Durch die Bücher Women Who Kill von Ann Jones und American Murder Ballads and Their Stories von Olive Woolley Burt. Letzteres sind Mordgeschichten, die mündlich weitergegeben wurden. Darin sind einige Geschichten von Belle Gunness enthalten, sie wird als “Prinzessin der Hölle” bezeichnet – eine Inspiration für den Titel meines Buches. Allgemein fasziniert mich das Thema Serienmörderinnen schon lange.

Die ganze Sache liegt sehr weit zurück. Wie hast du deine Nachforschungen angegangen?
Ich bin direkt nach La Porte gereist, wo es ein Geschichtsmuseum gibt. Dort fand ich eine Menge Dokumente zu Belle Gunness – zum Beispiel Transkripte von Gerichtsverhandlungen und umfassende Zeitungsartikel. Insgesamt scannte ich über 100 Seiten Material ein. Außerdem stellte ich eine Ahnenforscherin für weitere Recherche an. Sie stieß in Chicagoer Gerichtsgebäuden auf weitere interessante Infos. Somit hatte ich eine gute Grundlage für mein Buch.

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Was unterscheidet Belle Gunness von anderen Serienmörderinnen?
Was Belle Gunness für mich auf morbide Art so faszinierend macht, ist ihre Tötungsweise: Erst vergiftete sie ihre Opfer, erschlug sie dann mit einem Hammer, zerstückelte sie anschließend im Keller wie Nutztiere und vergrub die Leichenteile schließlich in ihrem Friedhof hinter dem Haus. Genau dieser unbarmherzige Sadismus hebt Belle Gunness von anderen Serienmörderinnen ab.

Hat ihre Statur Gunness dabei geholfen, Menschen zu zerstückeln?
Ein Hindernis war ihr kräftiger Körper sicher nicht. Sie wog bei ihrem Tod zwischen 110 und 135 Kilogramm. Außerdem musste sie als Tochter eines norwegischen Farmers schon in ihrer Jugend schwere körperliche Arbeit verrichten.

Auf den Fotos sieht sich auch nicht wirklich attraktiv aus. Trotzdem schaffte sie es, viele Männer mit ihren Heiratsannoncen anzulocken. Ihr Ziel waren einsame Junggesellen. Völlig ahnungslos kreuzten diese Männer dann bei ihr zu Hause auf und verschwanden einer nach dem anderen. Das könnte auch direkt aus einem Horror-Roman stammen.

Ist Belle Gunness tatsächlich die erste "Kontaktanzeigen-Mörderin"?
Diesen Begriff benutzte man erst später. Wobei er bei Gunness doch passt. Damals gab es viele zwielichtige Heiratsagenturen, die versprachen, alte Jungfern oder Witwen mit ewigen Junggesellen zusammenzubringen. Unter den vielen norwegischen Einwanderern im Mittleren Westen der USA war eine Zeitung besonders beliebt. Dort schalteten die Heiratsagenturen immer eine Menge Anzeigen. Nachdem Gunness' Verbrechen ans Licht gekommen waren, liefen die Leute gegen solche Heiratsagenturen Sturm.

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Irgendwann erhielt Belle Gunness den Spitznamen "Lady Bluebeard". Warum?
Sie wird oft mit Blaubart verglichen, der berühmten Märchenfigur, die mehrere Frauen geheiratet und getötet hat. Die grausame Verbindung liegt vor allem darin, dass beide die zerstückelten Leichen bei sich zu Hause aufbewahrt haben.

Nachdem man Gunness' Opfer gefunden hatte, fanden sich Schätzungen zufolge 20.000 Menschen bei der Farm zusammen. Es war wie bei einem Jahrmarkt, Leute verkauften Eiscreme und Popcorn oder Postkarten mit dem Gebäude oder den menschlichen Überresten als Motiv.

Welche Rolle spielte der Hilfsarbeiter Ray Lamphere?
Lamphere war nur einer von Gunness angestellten Gehilfen, mit denen sie eine sexuelle Beziehung einging. Deswegen dachte er, dass sie heiraten würden. Dann ersetzte Gunness ihn jedoch durch Andrew Helgelien – ihr letztes Opfer. Kaum war Helgelien auf der Farm angekommen, schmiss Gunness Ray Lamphere raus. Das gefiel ihm natürlich nicht.

Wusste er von den Morden?
Den Indizien nach wusste Lamphere, dass Gunness gemordet hatte. Möglicherweise erpresste er sie auch damit. Sie ließ ihn wegen unerlaubten Betretens ihres Grundstücks mehrmals verhaften und wollte ihn für verrückt erklären lassen. Sie setzte ja auch ihr Testament auf, weil sie befürchtete, dass Lamphere sie umbringen werde. Noch in der gleichen Nacht brannte ihr Haus ab und man warf Lamphere Brandstiftung und Mord vor.

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Wie haben die Medien damals über den Fall berichtet?
Anfang des 20. Jahrhunderts waren die journalistischen Standards noch nicht so hoch. Alle möglichen Gerüchte wurden als Tatsachen verkauft, man beschrieb die Verbrechen so reißerisch wie nur möglich und auch bei der Zahl der potenziellen Opfer wurde übertrieben. Die tatsächliche Zahl ist bis heute ungeklärt. Nach ungefähr einem Dutzend Leichen hörte man auf zu graben. Wegen dieser Art des Sensationsjournalismus gab es schnell viele Volksmärchen rund um Belle Gunness.

Wie glaubst du, ist Belle Gunness wirklich gestorben?
Wir wissen nicht, ob Gunness tatsächlich im Feuer umgekommen ist. Einige Verwandte ihrer Opfer stellten Nachforschungen an und waren wohl kurz davor, sie zu überführen. Manche Leute glauben, sie hat den Brand selbst gelegt und Selbstmord begangen. Weil man den Kopf der Leiche nie gefunden hat, gehen andere davon aus, dass Gunness eine andere Frau auf ihre Farm gelockt und umgebracht hat. Der Leiche schnitt sie dann den Kopf ab, zündete das Haus an und floh. Der ganze Fall ist ein Rätsel – und wird wohl auch für immer eins bleiben.

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