Nur weil ich Jude bin, bin ich leider trotzdem nicht reich
Foto: Lukas Aigelsreither

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Antisemitismus

Nur weil ich Jude bin, bin ich leider trotzdem nicht reich

"Deutschrapper verdienen mit diesen Hassfantasien sehr bewusst viel Geld." – Oliver Polak

Eigentlich will Oliver Polak nur, dass ihr ihn in Ruhe seine Comedy machen lasst. Aber in Deutschland passiert gerade wieder sehr viel antisemitischer Mist. So viel, dass Polak ernsthaft überlegt, ob er seine Kinder noch in diesem Land großziehen will – und er ist nicht der einzige Jude, der so denkt. Um dagegenzuhalten, hat er deshalb das Buch Gegen Judenhass geschrieben, das gerade bei Suhrkamp erschienen ist. Das hier ist ein Auszug aus dem Buch.

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Viele Menschen hier wissen wenig über das Judentum. Ihr Wissen reduziert sich auf den Holocaust oder auf Vorurteile. Wenn Politiker Sätze wie "Das jüdische Leben ist eine Bereicherung für Deutschland" äußern, klingt das wie eine auswendig gelernte Floskel. Ein Anliegen ohne Anliegen. Ähnlich wie die Gedenkkultur. Gedenkt man hier wirklich, oder findet eher eine symbolische Reinwaschung statt? Ist die Anteilnahme eher stumpfes Ritual geworden, eine Metapher, ist sie ein wirkliches Bedürfnis – oder schon längst im provinziellen, kleingeistigen, bürgerlichen Antisemitismus steckengeblieben? Man will versuchen, die jüdische Kultur unter die Leute zu bringen. Man sollte aber eher damit beginnen, das Judentum zu entdämonisieren.

In Deutschland kursieren etliche antisemitische Vorurteile. Antisemitismus ist eine Haltung, die Rassismus, Diskriminierung und Gewalt impliziert. Eine falsche, durch Lügen geprägte Weltanschauung, bei der am Ende, egal um welches Thema es sich handelt (Politik, Wirtschaft etc.), die Juden an allem schuld sind.

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Als ich 2015 für die arte-Sendung Durch die Nacht mit … einen Deutschrapper in Frankfurt treffe – einen gebürtigen Offenbacher, Sohn eines zazaisch-kurdischen Vaters und einer türkischen Mutter –, fragt er mich unterwegs im Auto vor laufender Kamera, ob meine Eltern reich seien, was ich mit "Nee" beantworte und ihn frage, warum er das fragt. Er lacht und entgegnet, "Weil Juden meistens reich sind". Auf die Frage, wer das behauptet, antwortet er "Viele" und dass Juden gute Geschäftsleute sind, dass man ihnen das lassen muss. Ich erkläre ihm, dass Juden damals bestimmte Berufe nicht ausüben durften, und betone nochmals, dass das ein Schwachsinnsgedanke ist, dass alle Juden reich sind. Der Rapper unterbricht mich und ergänzt: "Amerikanische Juden." Ich sage ihm, dass das ein antisemitisches Klischee ist. Und dass ich demnach ja auch reich sein müsste, warum ich also dann mit ihm in dieser Karre rumjuckeln sollte, wenn ich stattdessen auf Hawaii sein könnte.

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Man könnte solche Vorurteile und Klischees überhören, als mehr oder weniger lässige Provokation eines Gangster-Rappers. Zumal dieser sich in darauffolgenden Interviews einsichtig gezeigt, mit seiner Offenbacher Herkunft argumentiert und zugegeben hat, dass bei ihm immer noch Spuren einer jugendlichen türkisch-arabischen Abneigung gegen reiche Juden vorhanden seien.

Er aber heute wisse, dass so eine Äußerung wie die über die reichen Juden antisemitisch sei. Allerdings wurde seine Einsicht hinfällig, als er kurze Zeit später ebensolche jüdische Stereotype und Rothschild-Finanzherrschaft-Verschwörungstheorien auf die Platte Unzensiert pressen ließ. Und so dazu beitrug, dass Jugendliche in Deutschland mit denselben dummen Feindbildern aufwachsen wie einst er selber.

Ich hatte und habe bei Typen wie dem Offenbacher oder dem anderen deutsch-tunesischen Rapper (der mit dem Profilbild auf Twitter, das eine Palästina-Karte zeigte, die den Nahen Osten ohne Israel präsentierte) keine Lust auf Diskussionen, welche Textzeile wie gemeint ist und ab wann man von Antisemitismus sprechen kann. Fest steht: Deutschrapper verdienen mit diesen Hassfantasien sehr bewusst viel Geld. Und sie werden dabei zu schlimmeren Kapitalisten als das schlimmste Schreckensbild, das von Israelis und Juden existiert.

Das heutige Bild des geschäftstüchtigen Juden, der mit seiner Einhorn-USP schlau den Markt im Auge behält und zu Hause seine Kohle bunkert, dieses Bild vom reichen Banker- und Börsen-Juden ist aber nicht typisch arabisch; es steckt in vielen Köpfen fest und wird immer wieder wirksam beschworen.

Der Jude, der die Geschicke der Welt lenkt und heimlich die großen Entscheidungen für die gesamte Menschheit trifft: Bei diesem Klischee treffen sich nicht nur alteuropäischer und arabischer Antisemitismus, es mischen sich auch zwei Formen der Verachtung zu einem besonders gruseligen Cocktail; die Verachtung durch den Kulturrassismus und die Verachtung gegenüber "denen da oben".

So ist der Jude also nicht nur abzulehnen, weil er ausländisch, anders, fremd ist, zu der Verachtung einer Minderheit gesellen sich auch Verbitterung, vielleicht Neid und das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, was die Verachtung plötzlich salonfähig macht. Rassist will keiner sein, aber gegen Ungerechtigkeit in der Welt ist jeder.

Die ganze Sache mit den reichen Juden ist riesengroßer Bullshit, eine Verschwörungstheorie zwischen mittelalterlichem Aberglauben und überprojizierten Hinterzimmerfantasien. (Ich muss es wissen. Ich trat bei den "Wühlmäusen" auf, nur um irgendwie meine Krankenkasse bezahlen zu können.) Die Klischees der gierigen oder sonstwie unanständigen Juden sind so platt wie Ostfriesenwitze. Sie sind jedoch weniger lustig, weil den Ostfriesen aufgrund der schlechten Witze über sie keine Gewalt angetan wird.

Copyright © Suhrkamp Verlag 2018