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Feminismus

Das Frauen*volksbegehren zeigt, wie gestört Österreichs Beziehung zu Feminismus ist

In einem Land, das von rechten Populisten regiert wird, haben fast 500.000 Menschen ein Volksbegehren für Frauenrechte unterschrieben.
Fotos: Frauen*volksbegehren (Angelika Kurz)

Feminismus und Österreich sind zwei Wörter, die wahrscheinlich noch nie gemeinsam in einem positiven Satz standen. Feminismus und Österreich schließt sich aus, auf den ersten Blick und auch auf den zweiten. "Wenn etwas aus Österreich kommt und man es weder essen noch trinken kann, ist eine gewisse Skepsis angebracht", schrieb die feministische Autorin Margarete Stokowski in ihrer Kolumne und dem ist wenig hinzuzufügen. Trotzdem – und vielleicht gerade deswegen – wurde vor zwei Jahren der Verein Frauen*volksbegehren gegründet, um die Sache mit der Gleichstellung in diesem Land ein wenig zu beschleunigen. Gestern ging die Eintragungswoche zu Ende. 481.906 Menschen haben das Volksbegehren unterschrieben, das ist zwar nicht das erklärte Ziel von 650.000 Unterschriften, aber trotzdem ein Erfolg. Ich habe 1,5 Jahre ehrenamtlich als Aktionista beim Frauen*volksbegehren mitgearbeitet. 1,5 Jahre, in denen ich oft geglaubt habe, es gibt in diesem Land für frauenpolitische Projekte keine Chance, weil von allen Seiten gegen einen gearbeitet wird. Aber auch 1,5 Jahre, die mir gezeigt haben, dass es möglich ist, eine halbe Million Menschen zu mobilisieren, wenn man solidarisch ist.

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Als ich das erste Mal bei einem Treffen des F*vb war, hieß es "Männer müssen verstehen, dass ihnen das Frauen*volksbegehren nichts wegnimmt – nichts, das sie zu besitzen verdienen" und alle im Publikum applaudierten. Es war ein Raum voller Menschen, die Veränderung wollten und bereit waren, viel Zeit in sie zu investieren. Ich habe mir diesen Spirit in all den Monaten gemerkt. Vor allem dann, wenn ich auf dem Instagram-Account des Frauen*volksbegehrens wütenden Benjamins und Marios freundlich erklären durfte, dass Gleichberechtigung nicht erst dann erreicht ist, wenn die Wehrpflicht auch für Frauen gilt. Es war manchmal verdammt schwer, diesen anfänglichen Elan nicht zu verlieren. Als ich einmal in Wien Flyer verteilte, schnauzte mir ein älterer Herr ins Gesicht: Eine Unterschrift für das Volksbegehren bekomme ich nicht, aber wenn ich mit zu seinem Auto gehe, dürfen es gern zwei Küsse sein, einer links, einer rechts.

Eine Freundin von mir, die auch ehrenamtlich für das Volksbegehren arbeitet, wurde kürzlich von einem Mann angeschrien, weil sie F*vb-Flyer verteilte. Der Passant war außer sich darüber, dass er für einen Posten an der Uni, für den er sich beworben hatte, aufgrund einer Quotenregelung abgelehnt wurde. Und an wem lässt sich der eigene Frust schon besser abarbeiten als an einer engagierten Feministin auf der Straße. "Ich habe wirklich Schiss bekommen", schreibt meine Freundin via WhatsApp.

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Frauenpolitische Arbeit war nie irgendwo einfach. Sie wird es nie sein. Sie ist mühsam, oft sogar bedrohlich und in Ländern die politisch so rechts gefärbt sind wie Österreich, ist sie besonders hart. Im besten Fall lachen einen die Leute aus, weil "wir sind eh gleichberechtigt, haha, was soll dieses Sternchen, das ihr schreibt, MEHR als ZWEI Geschlechter, HAHA", im schlechtesten Fall erhält man Drohungen via Twitter-DM oder wird beschimpft, weil man einem Menschen einen Flyer in die Hand drückt. Zwischen diesen Beispielen liegen Diskussionen mit Eltern über Abtreibung und Tränen, weil Dieter, mit dem man seit dem Firmkurs auf Facebook befreundet ist, in Posts zum 15. Mal infolge erklärt, Frauen sollen sich nicht immer nur die Rosinen bei der Gleichberechtigung herauspicken, weil es gibt auch Bereiche, in denen Männer benachteiligt werden.


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Es ist schwierig, mit einem frauenpolitischen Volksbegehren möglichst viele Menschen im Mainstream zu erreichen und gleichzeitig allen feministischen Werten treu zu bleiben – vor allem wenn es von einem Haufen Ehrenamtlicher getragen wird, die nebenbei Vollzeit arbeiten und/oder Kinder betreuen. Im Kleinen bedeutet das auch, dass nicht jede legitime Kritik, die man gerne annehmen würde, auch so umzusetzen ist. Ich würde mich gerne hinstellen und ein radikales intersektionales Projekt starten mit nur einer Forderung und zwar "die Abschaffung jeglicher Herrschaft", aber dieses Volksbegehren würden maximal drei Philosophie-Studierende unterschreiben und meine Hauptaufgabe bestünde darin, zu erklären, was Feminismus jetzt konkret mit der Abschaffung von Herrschaft zu tun hat und was zur Hölle Intersektionalität ist. Genauso wie es wütenden, lauten und kompromisslosen Aktivismus braucht, muss es auch breite Initiativen geben, die verstanden werden und die sich dem demokratischen Prozess stellen. Es braucht Menschen, die für eben diese Initiativen brennen, aber sie dürfen sie nicht an ihren eigenen Ansprüchen verbrennen.

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Österreich betreibt rückschrittliche Frauenpolitik

Die Forderungen und die Idee des Frauen*volksbegehren entstanden noch vor Schwarz-Blau, weil weise Menschen geahnt haben, dass die kommenden Jahre nicht im Zeichen progressiver Frauenpolitik stehen würden. Viele Änderungen, die unter dem Deckmantel des "neuen Stils"von Bundeskanzler Sebastian Kurz durchgeführt wurden, erwiesen sich sogar noch schlimmer als erwartet. Ein Beispiel dafür ist die Anhebung der Höchstarbeitszeit auf 60 Stunden pro Woche. Das Frauen*volksbegehren forderte, die reguläre Arbeitszeit von 40 auf 30 Stunden zu verkürzen – und wurde dafür besonders hart kritisiert. "Ökonomisch fetzendeppad" nannte der NEOS-Abgeordnete Gerald Loacker das. Um ähnlich konstruktiv zu bleiben: Ich finde es zum Beispiel “fetzendeppad”, dass Frauen in Österreich zwei Drittel der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit übernehmen und dadurch in schlecht bezahlte Teilzeitarbeit gedrängt werden.

Zahlreichen feministischen Projekten wurden die Förderungen entzogen, Vereine wie Magazine bangen um ihre Existenzen. Die österreichische Regierung vernachlässigt nicht nur Frauenrechte, sondern betreibt schlichtweg rückschrittliche Politik , vor allem weil "sich um Frauenrechte kümmern" immer auch antirassistische Arbeit bedeuten muss und Politik in diesem Land seit Jahren auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten gemacht wird. Sebastian Kurz kann sich hinstellen, ein paar Posten mit Frauen besetzen und dann so tun als wäre die Sache erledigt. Fakt ist, im österreichischen Nationalrat sitzen 35 Prozent Frauen, aber dazu zählte bis Juni 2018 auch Marlene Svazek, die jetzt Landesparteiobfrau der FPÖ Salzburg ist, und letztens in der ZIB 2 erklärte, Frauen würden sich schon auch ein bisschen selbst einreden, dass sie weniger wert seien. Es wäre fatal zu glauben, die Sache mit dem Feminismus sei gegessen, nur falls es irgendwann vielleicht doch 50 Prozent Marlene Svazeks im Nationalrat sind.

Volksbegehren werden häufig dafür kritisiert, dass ihr realpolitischer Einfluss nicht groß genug ist. "Wofür unterschreib ich denn das? Die Politik wird das eh nicht umsetzen", habe ich in den letzten Monaten von allen Seiten gehört. Dabei bieten doch gerade Volksbegehren die Möglichkeit, Debatten über Themen anzustoßen, die normalerweise gern beiseite geschoben werden. Oder, wie Frauen*volksbegehren-Sprecher Christian Berger es formuliert: "Politik beginnt nicht erst dann, wenn irgendeine Partei im Parlament ein Gesetz einbringt."

In den letzten Monaten taten vor allem das in Österreich sehr starke konservative und liberale Lager, die Forderungen des Volksbegehrens als linke Utopie ab. Ich will nicht in einer Welt leben, in der Menschen Forderungen nach gratis Verhütungsmitteln oder den Ausbau von leicht zugänglichen Institutionen für von Gewalt betroffene Frauen utopisch nennen. Fast 500.000 Unterschriften sind nicht das erwünschte Ziel, aber in Zeiten, in denen fast 60 Prozent bei der letzten Nationalratswahl für ÖVP oder FPÖ gestimmt haben, ziemlich großartig. Manche haben unterschrieben, weil sie jede Forderung unterstützen, manche haben unterschrieben, weil sie einen Anstoß geben wollten. Meine Mama hat für mich unterschrieben.

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