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Popkultur

'Schulz & Böhmermann' ist besser, wenn die Gäste nicht echt sind

Jan Böhmermann und Olli Schulz sind sicherlich nicht die schlechtesten Moderatoren, wie die FAZ schreibt. Aber die vergeudetsten.
Foto: ZDF

Der erste fantastische Moment in der elften Folge von Schulz & Böhmermann kam vergleichsweise früh. Als Sybille Berg nach rund zehn Minuten den Vorstellungstext zu "Finn Meinhold" verliest, einem frauenfeindlichen Theaterschauspieler, fließt eine einzige, dicke Träne über dessen Wange. Beinahe gerührt von sich selbst wirkt er, als die Stimme aus dem Off mit einem Zitat von ihm endet: "Jesus war der letzte Deutsche mit Glamour."

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"Meinhold" heißt eigentlich Lars Eidinger, ist Theater- und Filmschauspieler und saß gestern bei Olli Schulz und Jan Böhmermann, um ein prätentiöses Arschloch zu spielen. Jeder der vier geladenen Gäste schlüpfte für eine Stunde in die Rolle einer Person, der man im Alltag eher aus dem Weg gehen würde. Ihre Charaktere standen vorher fest, die Gespräche sollen größtenteils improvisiert gewesen sein. Eine Premiere für das Format.

Mit Frauen arbeite er generell nicht zusammen, erklärte der angebliche Sohn von Berthold Brecht zu Beginn, und nahm damit direkt die Rolle des unangefochtenen Bösewichts ein. Gegen Ende der Sendung trug er in einer Ritterrüstung und zu jazzigem Hintergrundgeklimper noch Shakespeare vor, während Moderatoren und Gäste im Hintergrund fast zu ersticken schienen. Ob nun vor unterdrücktem Lachen oder dem übermäßigen Einsatz der Nebelmaschine.

Iris Berben glänzte als "Kathrin Ferrante" eine Art gruseligem Hybriden aus Veronica Ferres und Til Schweiger. Eine Wahlamerikanerin, die auf der einen Seite mit finanzieller Unterstützung ihres Lobbyisten-Mannes Wale rettet, gleichzeitig aber auch kein Problem damit hat, als weiße, hochgewachsene Schauspielerin in die Rolle einer schwarzen oder kleinwüchsigen Frau zu schlüpfen.


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Das alles hatte mit dem Grundthema der Runde, "Enttäuscht von Deutschland", nicht so wahnsinnig viel zu tun, zeigt allerdings, dass Schulz & Böhmermann dann eine gewisse Dynamik entwickelt, wenn die Gäste den Gastgebern das Heft aus der Hand nehmen. Dass die Moderatoren stellenweise bewusst unvorbereitet wirken oder kein Interesse an einer tiefergehenden Diskussion zeigen, ist ab dem Moment egal, in dem jeder der Anwesenden sein eigenes Drehbuch hat und auf Knopfdruck abliefert. Das Experiment bewies außerdem: Die Talkshow für Leute, die keine Talkshows mögen, könnte wirklich gut sein. Sie müsste nur ihren Anspruch aufgeben, alles anders machen zu müssen.

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Man muss kein Fan des Formats sein, um Maischberger und Co. zuzugestehen, dass es zwischen Politikerplattitüden und verbalen Penisvergleichen auch einen nicht unerheblichen Informationsgehalt gibt. Man kann Markus Lanz unangenehm finden und trotzdem sehen, dass er seinen Gästen zumindest ein Grundmaß an Interesse entgegenbringt, weswegen die sich dann auch ab und an dazu ermutigt fühlen, tatsächlich etwas Interessantes zu sagen.

Charlotte Roche sagte 2015 in einem Interview mit VICE, warum Roche & Böhmermann, der erste Anlauf der Talkshow, nicht funktioniert hatte: "Wir wollen, dass Leute sich in jeder Talkshow mit der Axt auf den Kopf hauen, sich Rotwein ins Gesicht schütten, nackt ausziehen und masturbieren, aber die meisten Menschen in Deutschland konsumieren Talkshows, um einzuschlafen." Zu viel Reibung würde das Publikum nachgewiesenermaßen dazu bringen, abzuschalten. Wenn man das Format Talkshow wirklich unterwandern möchte, reicht es also nicht, sich mit verschränkten Armen an einen Tisch zu setzen und sich gängigen Gesprächsrunden zu verweigern. Ein bisschen muss man doch mitspielen.

Schulz & Böhmermann hingegen setzt zwei Sympathieträger, die sich gut verstehen, an einen Tisch, entzieht ihnen die Verantwortung, ein ergiebiges Gespräch führen zu müssen und hofft, dass Whiskey und Zigaretten die Gäste davon abhalten, mittendrin einfach aufzustehen und zu gehen. "Die schlechtesten Moderatoren der Welt", wie die FAZ am vergangenen Wochenende titelte, sind Böhmermann und Schulz sicherlich nicht. Vielleicht aber die vergeudetsten.

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In den USA sind es gerade die Late-Night-Satiriker und -Satirikerinnen wie Stephen Colbert, Trevor Noah oder Samantha Bee, die den ganz alltäglichen politischen Wahnsinn und gesellschaftliche Bewegungen allgemeinverständlich zusammenfassen und enttarnen. Dass Jan Böhmermann hierzulande in eine ähnliche Kerbe schlagen will, zeigt er in den Segmenten des Neo Magazin Royale, in denen er – im Stil von Seth Meyers oder John Oliver – ein konkretes Thema aufarbeitet und gnadenlos auseinandernimmt.

Warum also nicht ganz bewusst ein überspitztes Talkformat etablieren, in dem jeder eine Rolle spielt – und sich anhand dieser verschiedenen Charaktere, die für ganz reale Positionen ganz realer Menschen stehen, einem sonst eher sperrigen Thema annehmen?

Lars Eidinger als Antifeminist, Karoline Herfurth als überdrehte YouTube-Managerin, die ihre minderjährige Schwester Bikinis verkaufen lässt, Katharina Thalbach als Rentnerin, die jetzt plötzlich mit der AfD sympathisiert, aber selbst nicht so genau weiß, warum eigentlich: All das sind Figuren, die es genauso in Deutschland gibt und mit denen man sich kritisch auseinandersetzen kann (wenn nicht sogar muss). Deswegen gab es anscheinend auch genug Leute, die nicht verstanden haben, dass es sich bei den Gästen um fiktive Charaktere handelte.

Vielleicht ist es utopisch zu verlangen, dass sich namhafte Schauspieler einmal im Monat in ein kleines, verrauchtes Studio setzen, um gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland ein Gesicht zu geben. Vielleicht ist Olli Schulz allgemein nicht die optimale Person für unbequeme Satire, weil er sich in der Rolle seines schnodderigen Selbst zu gut gefällt, als dass er sich in andere Personen oder deren Lebenssituationen hineindenken wollen würde.

Unbefriedigender als die Folgen, in denen echte Menschen eine Stunde lang darauf hoffen, endlich mal ausreden zu dürfen – oder überhaupt von den Moderatoren wahr- und ernstgenommen zu werden –, kann es auch nicht werden.

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