Die Kinder des „irakischen Hiroschimas“

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Die Kinder des „irakischen Hiroschimas“

Die grässlichen Folgeschäden des Irakkrieges.

Normalerweise beginnen wir keine Artikel mit Warnungen, aber manche der Bilder, die ihr unten sehen könnt, sind ganz besonders verstörend. Wir haben einige Bilder weggelassen, weil sie einfach zu bestürzend sind, aber die, die wir euch zeigen, zeigen wir euch mit vollständiger Genehmigung und weil wir meinen, dass dies eine wichtige Geschichte ist. Vielleicht erinnert ihr euch noch an Karlos Zurutuza und seinen Guide über Krisenabsteigen, oder ihr erinnert euch an seinen Namen, weil ihr gerne Nachrichten lest und wisst, was in der Welt passiert. Bei seiner jüngsten Reisen in den Irak stolperte Karlos über eine Geschichte, die selbst im Sumpf der deprimierenden Schrecken, die man über den Irak liest, auf übermäßig brutale Weise heraussticht. Wir unterhielten uns mit ihm über die gesundheitlichen Auswirkungen des Irakkriegs und vor allem über dessen Folgen für Kinder. Seinen Originalbericht kann man hier lesen. VICE: Hi Karlos. Danke, dass du mir diese Bilder geschickt hast. Wo warst du, als du zuerst von dieser Geschichte gehört hast?
Karlos Zurutuza: Zuerst bin ich in Basra darüber gestolpert—Basra ist die Stadt, die im Laufe der vergangenen 30 Jahre am heftigsten vom Krieg verwüstet wurde, und zwar weil sie an der Grenze zum Iran und zusätzlich auch an Kuwait liegt. Es ist ein verdammtes Chaos. Ich war vorher schon mal in Falludscha, aber damals hatte ich noch keinen Zugang zu dem Krankenhaus. Als ich das letzte Mal da war, konnte ich rein. Falludscha ist vor allem interessant, weil man es das „irakische Hiroschima“ nennt—die Stadt wurde 2004 während der „Schlacht um Falludscha“ beinahe vollständig ausgelöscht. Es gab dort erbitterte Kämpfe zwischen den Koalitionstruppen und Aufständischen. Und alles begann damit, dass sie vier Leichen fanden … Waren es die Körper der amerikanischen Söldner?
Ja, die der Söldner, die von der Brücke hingen. Nachdem das geschehen war, entschied irgendjemand, dass Falludscha eine al-Qaida Hochburg ist, also wurden alle möglichen Waffen dort eingesetzt. Zuerst hat die Regierung abgestritten, dass in Falludscha weißer Phosphor verwendet wurde. Oder zumindest behaupteten sie, dass er nur verwendet wurde, um „Ziele zu Beleuchten“. Weißer Phosphor dient dazu, Metall zu schmelzen, also kannst du dir denken, was es mit dem menschlichen Körper anstellt. Außerdem stellt sich dort die Frage nach dem abgereicherten Uran, das die US-Regierung auch abstreitet, eingesetzt zu haben. Es gibt eine eindeutige Relation zwischen dem Anstieg der Krebsfälle und dem Einsatz von abgereichertem Uran.

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Wie war es mit dem Zugang? Wollten die Ärzte, dass man weiß, was passiert war?
Nun, man bekam alle möglichen Reaktionen. Alle wollen dir zeigen, was dort los ist, was passiert, aber einige haben Angst, dass sie ihre Arbeit verlieren. Also muss man den bürokratischen Prozess durchlaufen, um Genehmigungen anfragen, all solche Sachen. Falludscha ist überwiegend von Sunniten bewohnt, in einer sunnitischen Umgebung, in einem sunnitischen Gebiet und einer sunnitischen Region: Anbar. Die Sunniten werden heute im Irak von den machthabenden Schiiten mehr oder weniger unterdrückt, und besonders furchtbar ist die Auswirkung des Krieges in Falludscha auf ihre Kinder. Das ist die erste Generation von Irakern, die seit der Invasion der Alliierten geboren wurde, oder? Was für gesundheitliche Beschwerden erlebt man dort?
Krebs, Leukämie, angeborene Fehlbildungen und Missbildungen. Es sieht aus, als wäre die Anzahl der Fälle dramatisch angestiegen und sie steigt weiter an.

Und man kann annehmen, dass selbst die, die im Krankenhaus sind, nur unter schlechten Bedingungen behandelt werden …
Ja, in Basra z.B. hat George Bushs Frau, Laura Bush, ein nagelneues Krankenhaus gebaut. Sie bauten also dieses Krankenhaus und von innen sieht es wundervoll aus. Solche schönen Krankenhäuser habe ich noch nicht einmal zu Hause gesehen. Aber so wie es aussieht, gibt es dort kaum medizinische Geräte, also warten die Menschen schon seit einem Jahr auf diese Geräte, da man sich nicht entscheiden konnte, wer die Lagerung bezahlt. Also waren die entscheidenden Geräte in Lagerung?
Ja, ein Jahr lang, während Leute starben. Dieses Jahr sagten sie mir, dass sie 16 Monate lang gewartet haben, bevor sie das Equipment bekamen. Als es im Krankenhaus ankam, hatten sie dann keine Werkzeuge, um es anzubringen, also funktioniert es immer noch nicht. Das geht jetzt schon seit zwei Jahren so. Ich nehme an, die Ärzte können ohne die entsprechenden Geräte nicht so viel für die Kinder tun.
Es gibt da diese NGO, die Children’s Cancer Organization heißt, die von einem Mann ins Leben gerufen wurde, der versucht, Reisen in den Iran oder nach Jordanien oder Syrien zu organisieren. Iran ist dabei die billigste Option für eine Behandlung. Die einzige Alternative im Irak  ist Bagdad, aber die Warteliste dort ist überwältigend lang und die Leute können nicht warten. Seine Kinder wurden mit Krebs geboren.

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Hat er deshalb die NGO ins Leben gerufen?
Ja, das hat ihn dazu angeregt. Das Problem hier ist, dass viele Eltern ihre Kinder ins Krankenhaus bringen, aber da viele aus den ländlichen Gebieten kommen, fällt die Kommunikation besonders schwer. Die Frauen bleiben oft im Krankenhaus, aber die Männer müssen trotzdem weiterarbeiten. Die Frauen verbringen Monate im Krankenhaus, was bei vielen dazu führt, dass die Familien auseinander brechen, weil der Druck einfach zu groß ist. Viele dieser Menschen können sich noch nicht ein mal eine halbstündige Fahrt mit dem Bus leisten, es ist eine Tragödie. Es geht hierbei nicht nur um Gesundheit, sondern darum, dass die ganze Gesellschaft deswegen kaputt geht, weil sie einfach keine Mittel haben. Außerdem schämen sich auch viele dieser Eltern wegen der Verfassung ihrer Kinder. Und streitet die US-Regierung den Einsatz der Waffen sowie die gesundheitlichen Folgen ab?
Sie streiten beides ab. Sie wollen nicht zugeben, dass sie abgereichertes Uran verwenden. Sogar die NATO hat sie angeschrieben und eine Untersuchung der verwendeten Waffen angefordert, aber das US-Militär hat nicht darauf reagiert. Als ich in Libyen war und an Orte kam, die von Bomben zerstört wurden, war mir das absolut bewusst. Ich wollte nichts anfassen und es gab Leute, die auf Panzern rum gesprungen sind, um ein Foto zu machen und so weiter, aber ich dachte mir, „das könnte giftig sein“. Um mehr über den Einfluss von Krieg auf Kinder rund um die Welt zu erfahren, gehe auf ChildVictimsOfWar.org.uk.

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