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Heulsuse der Woche: Kristjan Knall vs. Moschee-Feinde

Ein Schweinekadaver mit der Aufschrift „Mutti Merkel" wird auf den Bauplatz einer Moschee in Leipzig geworfen und ein Autor versucht sich in 111 Gründen, warum man Berlin hassen sollte.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Kristjan Knall und seine 111 Gründe, Berlin zu hassen

Foto: imago | Lars Reimann

Der Vorfall: Berlin existiert.

Die angemessene Reaktion: Sich damit abfinden.

Die tatsächliche Reaktion: Sich 111 Gründe einfallen lassen und ein Buch darüber schreiben, warum man Berlin hassen soll.

Der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf ist bekannt für seine schnelle Trivialliteratur, die ab und zu in den Bestellerlisten auftaucht. Gerade die Serie, wirr 111 Gründe einem beliebigen Gegenstand eine beliebige Tätigkeit zuzuschreiben, erfreut sich größerer Beliebtheit. 111 Gründe, Schokolade zu lieben, ein Spießer zu sein, Frauen zu lieben, Anwälte zu hassen, zu heiraten. Und diesmal hat der Zufallsgenerator „Berlin" und „hassen" ausgespuckt.

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In der Popkultur ist das Hassen ja gern gesehener Zaungast. Oasis gegen Blur, der Kölner Karneval gegen das Düsseldorfer Pendant, Fler gegen den Rest der Welt. Und die Stadt Berlin hat es oft schon richtig erwischt—zahllose Menschen haben sich daran bedient, über das heutige Berlin, seine Stadtteile, den Berliner an sich und vor allem den zugezogenen Wahlberliner herzuziehen. Das erste Problem für Autor Kristjan Knall also: Der aufgesetzte Berlin-Hass war schon 2009 mehrmals durchgespielt.

111 Gründe. Was sich anhört wie ein Buzzfeed-Artikel in Buchform, wird im Klappentext nicht besser: „Berlin ist nicht nur scheiße. Es ist noch scheißer, als es mal war." Eigentlich möchte ich hier schon meine Tastatur aus dem Fenster werfen, bleibe aber standhaft und klammere mich an der Tischplatte fest. Vielleicht war das ja nur ein kleiner Ausrutscher seitens des Lektorats. Was für Gründe nennt Knall, Berlin zu hassen? „Weil die Hasenheide voll von Alpha-Kevins ist. Weil man als Hete nicht mal in Ruhe im Ficken 3000 ein Dildobier trinken kann. Weil der Kackefant dich verfolgt. Weil bei Aldi Würde im Angebot ist. Weil Fixies Kinder zerfleischen."

Ohjemine. Das Ziel Knalls scheint es, mit dem flachsten Jargon, der ihm nur möglich erscheint, dem Großstädter mit einem Rundumschlag auf Teufel komm raus eins auf die Fresse zu geben. Klar, dass ein Buch aus dem Schwarzkopf-Verlag keine Kant'sche Gesellschaftskritik hervorbringen möchte. Aber was Kristjan Knall dem Leser hier anbietet, ist ein ewiges Rumreiten auf veralteten Klischees mit einer gewollt radikal geschriebenen „Früher war alles besser"-Leier. Das Problem des Buchs: Es tut weder jemandem weh, noch macht es sonderlich viel Spaß. Fun Fact am Rande: Kristjan Knall wohnt in Berlin.

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Listen können witzig sein, wenn sie verschiedene Klischees aufgreifen und offenlegen. Wir machen das ja auch ab und zu gern. Aber wenn der Inhalt nur aus plakativem Rumgewichse besteht, das ziel- und wahllos in alle Richtungen schießt, sollte die Liste lieber niemand zu Gesicht bekommen. Übrigens, zum Schluss noch ein paar versöhnliche Worte: Es erscheint auch eloquente und wirklich witzige Literatur in dem Verlag. „Fernweh ist ne Scheißidee" zum Beispiel. Hier wird zwar auch im Untertitel mit einer Schnapszahl gespielt, aber die 33 Erlebnisberichte vom Reisen machen richtig Spaß. Weniger ist manchmal mehr.

Heulsuse #2: Die Leipziger Moschee-Feinde

Hat das Schwein wahrscheinlich nicht geworfen, ist aber auch gegen Moscheen in Leipzig: Ein Demonstrant. Foto: IMAGO | epd

Der Vorfall: In Leipzig wird seit Jahren eine Moschee geplant, der Baustart steht kurz bevor.

Die angemessene Reaktion: Den Bau geschehen lassen. Zeit für Kritik gab es genug.

Die tatsächliche Reaktion: Ein totes Schwein mit „Mutti Merkel"-Aufschrift auf die Baustelle werfen und weglaufen.

Man muss es langsam nicht mehr dazuschreiben, aber besonders in Sachsen hat sich die Fremdenfeindlichkeit mal wieder von einer beschämenden und kleingeistigen Seite gezeigt. In Leipzig soll in diesem Jahr eine neue Moschee für eine aus Indien stammende islamische Glaubensgemeinschaft gebaut werden—in den neuen Bundesländern ist das der zweite Moschee-Neubau mit Minarett. Nun haben Spaziergänger am vergangenen Mittwoch ein totes Ferkel auf dem Baustellengelände gefunden. Auf dem Tierkadaver standen die Worte „Mutti Merkel".

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Kurze Info: Die Gemeinschaft, die sich AMJ abkürzt, hat in Deutschland 35.000 Mitglieder und ist den christlichen Kirchen rechtlich gleichgestellt. Während sie für einen friedlichen und versöhnlichen Islam werben, werben Neonazis leider nicht für ein friedliches und versöhnliches Sachsen. Nicht nur haben die Täter ein getötetes Schwein für politische Zwecke missbraucht und die Leiche in ein Gebüsch geworfen, sondern auch vielen Muslimen durch diese Tat vor den Kopf gestoßen.

Nun fragt man sich, was das Ziel dieses kuriosen Schweinewurfs war: Angela Merkel kritisieren, indem man ihre äußerliche Erscheinung mit einem Schweinekörper vergleicht? Die islamische Religion in ihrer Gesamtheit beleidigen? Oder haben wir das alles ganz falsch verstanden, und das tote Schwein ist eine unwissentlich auf dem Bauplatz einer Moschee platzierte Kritik am Fleischkonsum der deutschen Gesellschaft? Wahrscheinlich trifft letzterer Punkt eher weniger zu, denn die feige Attacke war nicht der erste schweinische Angriff auf die Moral- und Ethikvorstellungen der Glaubensgemeinschaft auf dem Bauplatz Leipzig-Gohlis. Schon 2013 war die Moschee geplant und schon damals tauchten über Nacht fünf Holzpflöcke mit fünf darauf gespießten Schweineköpfen auf.

Das beeindruckte den AMJ-Bundesvorsitzenden Abdullah Uwe Wagishauser wenig—der Leipziger Volkszeitung sagte er 2013, er finde es nur sehr traurig, dass sich Menschen auf eine solche Ebene begeben. Und auch zur jüngsten feigen Provokation gibt sich Wagishauser eher gelassen als erzürnt): „Mit diesem Besudelungsangriff durch das tote Tier haben sich Radikale selbst disqualifiziert." Recht hat er, der gute Mann.

Letzte Woche:

Ein CDU-Ortsvorstand beleidigt die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, weil sie im Rollstuhl sitzt und ein CDU-Bürgermeister, der versucht, sich von einem Screenshot mit Porno-Tabs zu distanzieren

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