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Mode

Marni for H&M—Blick dem modischen Weltuntergang ins Auge

Genötigt von Lanvin, gepeinigt von Versace und jetzt geknechtet von Marni. Die H&M Odyssee der Low-High-Kooperationen nimmt kein Ende.

Genötigt von Lanvin, gepeinigt von Versace und jetzt geknechtet von Marni. Die H&M Odyssee der Low-High-Kooperationen nimmt kein Ende und führt die selbsternannten Fashion Victims passend zum Weltfrauentag zur Selbstaufgabe. Bevor sich die Abgründe der Designerhölle auftun, danke ich Gott, dass er mich mit ein bisschen Geschmack gesegnet hat, so dass ich keines der gepunkteten Kollektionsteile anprobieren möchte und deshalb nicht gezwungen bin, den Spiegel und somit auch mir ins Gesicht zu kotzen.

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Der Höhepunkt war mit der ersten Kooperation zwischen H&M und Karl Lagerfeld 2004 bereits erreicht und ist jetzt weit überschritten. Das die letzte Versace Kollektion ein ziemlicher Fail war ist offensichtlich und der allgemeine Konsens in der länger werdenden Schlange gibt mir darin Recht. Im Jahr 2012 ist es jetzt das Label Marni, dass den modischen Untergang einläutet und einen weiteren Versuch unternimmt Designermode der breiten Masse zugänglich zu machen. Perlen vor die Säue, die Mode wird zwangsdemokratisiert. Designer recyclen ihre Ideen und stellen sie unter den Energiesparlampen in H&M Filialen aus. Heraus kommen gepresste Plastik-Briketts in grün, gelb und rot. Das Ganze bezeichnet man dann als Kette und verkauft es für 49,95 Euro. Consuelo Castiglioni, die Frau hinter dem italienischen Luxuslabel, bleibt ihrem Stil bei allem treu: Wie auch in ihren Kollektionen setzt sie auf gewagte Schnitte und große naive Muster. Oder übersetzt auf Hennes und Mauritz: einfarbig rote Gürtel, zweifarbige Oberteile á la Star Trek und Kleider, die ein Mix aus Bauhauselementen sind und mich irgendwie an 70er Jahre Pril-Blumen erinnern. Modisch abgerundet wird die Kollektion durch futuristische high-tech Jesus-Latschen.

Es ist kurz vor neun und immer mehr Leute, die nicht so aussehen, als hätten sie irgendeinen Bezug zu Mode, reihen sich in einer Endlosschlange hintereinander. Curt Cobain wird im Hintergrund leiser und eine Frauenstimme stimmt skurriler Weise eine Ballade mit „It lasts too many hours“ an. Worauf sie warten? Das können mir die wenigsten sagen, warum sie die Klamotten haben wollen — Wegen der Exklusivität? Wegen der guten Materialien, die von H&M verwendet wurden? Oder doch nur wegen der Marke? Viele der selbstgekrönten Modestarlets kennen das Label allerdings nicht, aber die meisten haben dann doch einmal etwas davon gehört. Und wenn es auch erst vor ein paar Tagen auf irgendeinem Blog war.

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Eindeutiger Shopper of the Day ist ein kleiner Japaner mit rotem Fischerhut, der nervös vor Aufregung von einem Bein aufs andere hüpft und in die Hände klatscht. Seine Augen leuchten vor Begeisterung, als er mir erzählt, dass er nahezu das ganze Sortiment kaufen möchte und sein Budget nach oben unbegrenzt ist.

Das letzte Mal, bei der Versace-Kollektion gab es noch Bändchen, um den Einlass zu regeln, heute läuft das alles etwas weniger exklusiv ab. Im Schaufenster von H&M läuft eine Dauerreklame. Ein Frau in einem geschmackvoll gepunkteten Marni-Oberteil, dass sie nebenbei bemerkt 59,95 Euro gekostet hat, erteilt Anweisungen. In den abgesperrten Bereich mit der exklusiven Kollektion darf nur eine kleine Gruppe. Für 20 Minuten dürfen sie sich im Marni-Glanz sonnen bis sie höflich hinausgeworfen werden, um den nächsten Platz zu machen. Alles ist natürlich Top Secret, das heißt keine Fotos vom Innenraum. Wir haben es natürlich doch in einen der Stores geschafft und gewähren exklusive Einblicke—Modezombis auf Marni-Jagd.

Erschöpft schleppen die Überlebenden zig Tüten und sich selbst hinaus. Ein Junge in orangefarbenem Dufflecoat—und ich könnte schwören, er hat seine Schuhe farblich auf die Marni Tüten abgestimmt—zittert noch höchst erregt mit den Händen. Euphorisch und erleichtert breitet er seine Shoppingbeute vor sich aus. Sine Freundin neben ihm erzählt noch ganz in Trance, dass sie für 700 Euro eingekauft hat—aber irgendein Teil hat sie vergessen. Inzwischen ist es kurz vor zehn und ich beschließe: es ist genug. Zwei Frauen, die gerade für über 400 Euro eingekauft haben, präsentieren noch ihre Rechnung, bevor sie auf Nimmerwiedersehen im Fahrstuhl verschwinden. Ihre Teile werden wir vermutlich bei Ebay wiederentdecken.

Sollte ich mich für ein Lieblingsstück entscheiden … ich muss gestehen, die Wahl würde mir schwer fallen. Es ist doch so, die meisten schlimmen Sachen passieren immer mehrmals: es gab natürlich mehr als eine Eiszeit, mehr als einen Weltkrieg und mehr als eine Low-High-Kollektion. Aber die Frage dabei ist doch: Muss das wirklich sein?