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THE IDENTITY CRISIS ISSUE

Paintball mit der Hisbollah

Wir dachten uns schon, dass sie schummeln würden; schließlich gehörten sie zur Hisbollah. Aber was uns schließlich erwartete war ein Blitzgewitter militärischen Ausmaßes.

Mitglieder der Hisbollah gehen kurz vor Spielbeginn in Stellung. Anscheinend haben sie darin Erfahrung. Wir dachten uns schon, dass sie schummeln würden; schließlich gehörten sie zur Hisbollah. Aber als wir dieses Paintball-„Freundschaftsspiel“ organisierten, hätte keiner aus unserem Team—bestehend aus vier westlichen Journalisten—damit gerechnet, einem Blitzgewitter militärischen Ausmaßes ausgeliefert zu sein. Die Schlacht findet in einem schäbigen, bunkerähnlichen Kellergeschoss unter einer Beiruter Einkaufsmeile statt. Als die Granaten losgehen, ist es, als hätte einen ein gewaltiges Unwetter überrascht: grellweiße, glühende Lichtblitze, Explosionen, die tief in meinen Ohren nachhallen. Als ich wieder sehen kann und meine Augen sich an das dämmrige Licht der Kampfarena gewöhnt haben, luge ich aus meiner Stellung hinter einer niedrigen Betonmauer hervor. Zwei große Männer in grünen Overalls nehmen mich hart unter Beschuss, scheinen aber völlig unbeeindruckt, selbst als ich aus kurzer Distanz auf sie feuere und sie mit zahlreichen klaren und eindeutigen Treffern übersäe. Ich erwarte, dass sie erstarren, vielleicht sogar anerkennen, dass dieser amerikanische Journalisten-Softie ihr Geblitze und Geknalle mühelos überwunden und sie aus dem Spiel gekickt hat. Vielleicht würden sie sogar lächeln und mir auf die Schulter klopfen, wenn sie das Spielfeld als Zeichen sportlicher Fairness verlassen (natürlich nachdem sie zuvor geschummelt haben). Stattdessen schießen sie mir drei Mal aus nächster Nähe direkt auf die Weichteile. Aus dieser Distanz (ziemlich weit innerhalb der Fünf-Meter-„Sicherheitszone“) fühlen sich Paintballs wie Bienenstiche an. Ich hebe vor Schmerz und Verwirrung meine Hände, um dem Schiedsrichter zu signalisieren, dass ich das Spiel verlasse. Doch der größere der beiden—ein muskulöser Bauernjunge aus dem tiefen Süden des Libanon, der heute unter dem Namen Khodor firmiert—ist noch nicht fertig mit mir: Er umschlingt mich mit seinen riesigen Händen und wirft mich mit einer Geschicklichkeit über die Schulter, die von großer Übung zeugt. Ich bin schnell genug, um mich zu befreien und zu fliehen, aber mein Teamkamerad Ben hat nicht so viel Glück. Khodor und sein Partner ziehen in einer perfekten militärischen Formation an mir vorbei und dringen noch weiter in unsere Verteidigungsstellung vor. Schon bald haben sie Ben und schubsen ihn als menschlichen Schutzschild vor sich her. Kurz vor Beginn der feindlichen Aktivitäten stellt sich Team Sahafi zum Gruppenfoto auf. Von links nach rechts: Andrew Exum, Mitch Prothero, Nicolas Blanford, Ben Gilbert. Bryan Denton, der ebenfalls mitspielte, ist nicht abgebildet, da er hinter der Kamera stand. Ja, rufe ich mir ins Gedächtnis, das hier passiert wirklich: Vier westliche Journalisten und ein ehemaliger Army Ranger, der sich zum Experten für Counterinsurgency, die Bekämpfung von Aufständischen, gemausert hat, spielen Paintball mit Angehörigen jener militanten schiitischen Gruppierung, die von US-Experten für nationale Sicherheit gern als das „A-Team des Terrorismus“ bezeichnet wird. Die Vorbereitungen für dieses Spiel hatten fast ein Jahr in Anspruch genommen, und die ganze Zeit war ich überzeugt, dass alles in letzter Minute platzen würde. Die Verbrüderung mit Westlern wird von den obersten Chargen der Hisbollah normalerweise nicht gerade unterstützt, also musste ich mich bei der Organisation des Spiels auf einen Mann verlassen, den wir Ali nennen werden, einer meiner Kontakte aus den niederen Rängen der Gruppe. Ali hatte geschworen, dass er waschechte ausgebildete Kämpfer für den Paintballabend beschaffen würde, doch als das vierköpfige Hisbollah-Team in das Gebäude marschierte, hatte ich zuerst so meine Zweifel. In den südlichen, von der Hisbollah kontrollierten Vororten Beiruts, halten sich alle Macho-Teenager mitsamt ihren kleinen Brüdern für wichtige Mitglieder des „Widerstands“. Und einer der Kämpfer—ein großer, schlaksiger Typ in den Zwanzigern mit ungepflegtem Bart und gegelter Stachelfrisur, wie die säkularer Beiruter Kids—sieht wie ein Möchtegern aus. Vor allem, als er sich als Coco vorstellt. „Ali, was zum Teufel soll das?“, frage ich ihn so, dass die mitgebrachten Männer mich nicht hören können. „Der Typ heißt Coco?“ „Nein, natürlich nicht“, antwortet er. „Hey, niemand verrät seinen wahren Namen.“ „Ist er, äh, im Widerstand? Falls nicht, ist das OK. Aber für die Story muss ich wissen, ob er echt ist.“ „Oh, sie sind alle echt, Bruder“, sagt Ali mit der hohen Stimme, die er immer dann verwendet, wenn ich den Wahrheitsgehalt seiner Informationen anzweifle. „Wart’s ab.“ Dann beugt er sich rüber, als wolle er mir ein sorgfältig gehütetes Geheimnis verraten: „Seit dem Krieg 2006 [mit Israel] hat die Hisbollah ihre Kleiderordnung gelockert. Die neuen Jungs dürfen die Haare so tragen, wie sie wollen.“ Jetzt, nach dem zweiten Match an diesem Abend (das erste endete in einem wilden Durcheinander aus Paintballs; alle waren entweder sofort ohne Munition oder eliminiert), habe ich wenig Zweifel daran, dass alle Kämpfer echt sind. Die schnellen und dabei präzisen Bewegungen, die Art und Weise, wie sie sich beim Wechsel der Stellung Feuerschutz geben, die Sprünge von zweieinhalb Meter hohen Mauern, nur um sich dann mühelos perfekt über die Schulter abzurollen (wie Coco in Runde vier). Das Paintballteam der Hisbollah, das ein ganz kleines bisschen furchteinflößender wirkt als das Team der Journalisten Jetzt, wo ich aus dem Spiel bin, ein weiteres Teammitglied eliminiert ist und ein drittes als Geisel genommen wurde, bleibt nur noch ein Mitglied von Team Sahafi (arabisch für „Journalisten“) übrig: Andrew Exum, ein ehemaliger Hauptmann der Army Rangers, der nach dreimaligem Aufenthalt in Irak und Afghanistan in den Ruhestand gegangen ist und sich seither einen Namen als Counterinsurgency-Experte gemacht hat. Wenn er nicht gerade im Untergeschoss einer Beiruter Einkaufsmeile Paintball spielt, fliegt Exum nach Kabul, um das US-Militär zu beraten oder Abhandlungen zu schreiben, in deren Überschriften Begriffe wie „bevölkerungsorientiert“ vorkommen. In der Kantine der Arena gibt es Snacks und wilde Wandbemalungen, die andeuten, dass Paintball die beste Methode ist, um mit seinen inneren Aggressionen fertig zu werden. War die erste Begegnung zwischen beiden Seiten noch etwas angespannt—die Kämpfer schienen zu befürchten, ihre Tarnung könne auffliegen, und wir hatten Angst, sie könnten einen Rückzieher machen—so sorgte die Feststellung, dass sie gerade bei einem Paintball-Match versucht hatten, eine Geisel als menschlichen Schutzschild zu verwenden, für eine gelöstere Atmosphäre. Die Jungs von der Hisbollah brechen in Lachen aus, als Exum witzelt, dass er Ben getötet habe, um ihn aus den Al-Jazeera-Nachrichten rauszuhalten. Dann zeigen sie auf mich und entgegnen, dass beim nächsten Spiel „die Deutschen um diesen da verhandeln“ müssten. Eine Art makabrer Insiderwitz: Im Allgemeinen werden deutsche Diplomaten mit der Verhandlung des Austausches von Gefangenen und Leichen zwischen der Hisbollah und Israel beauftragt. Soha, meine libanesische Freundin, die sich bereit erklärt hatte, als Übersetzerin/Kontakt zu fungieren, kommt zu dem Schluss, dass die Verwendung echten militärischen Equipments durch das Team Hisbollah, dessen Geiseltaktik und nicht zuletzt die Weigerung, nach einem Treffer das Spiel zu verlassen, eine genauere Klärung der Spielregeln erforderlich macht. Sie wechselt einige Worte mit dem verwirrten Manager der Arena, dem unmittelbar nach Beginn der ersten Runde sehr schnell bewusst wurde, dass er an diesem Abend eine ganz spezielle Truppe bei sich zu Gast hat, und der bei den ersten beiden Runden zu eingeschüchtert war, um die vier Guerillakämpfer zu ermahnen, sich an die ausgehängten Regeln zu halten. Also ist es an Soha, auf ihn und die Hisbollah-Jungs einzureden, damit diese von jetzt an nicht mehr falsch spielen. Beim Festlegen der Grundregeln für das Spiel teilten die Mitglieder des Hisbollah-Teams mit, dass „kein Libanese“ anwesend sein dürfe, in der Befürchtung, jemand könnte sie erkennen und ihren Chefs mitteilen, dass sie gegen einige wichtige Regeln verstoßen haben. Aber Soha hatte sie innerhalb weniger Minuten bezaubert, und so war sie langsam willkommen. Schnell handelt Soha eine Vereinbarung aus: Alle sind einverstanden, dass beim Rest des Spiels nur Kopfschüsse als Abschüsse gelten. Zudem ist jegliches „externe Equipment“ offiziell tabu. Während der ersten beiden Runden war schnell klar, dass das Team Hisbollah wenig Angst vor nicht tödlichem Paintballbeschuss hatte; sie wurden alle mehrfach getroffen und blieben dennoch stur im Spiel. Sie schienen jedoch die Vorstellung zu respektieren, dass jemand mit einem Kopfschuss erledigt ist. Darüber hinaus würde es mehr Spaß machen, wenn das Töten erschwert würde. Wir beschließen, bei den ersten beiden Runden fifty-fifty zu machen: ein Sieg für sie, der andere für uns. Das erregt Cocos Aufmerksamkeit: „Wirklich?“, fragt er. „Aber die Hisbollah gewinnt immer.“ Bei der Organisation des Spiels kam mir der Gedanke, eine derartige Vereinbarung könnte unter Umständen gegen US-Sanktionen verstoßen. Trotz all meiner guten Absichten war da an diesem spaßigen Fake-Straßenkampf mit Mitgliedern einer Organisation, die von einigen als „Handlanger“ des Iran bezeichnet wird—eine Gruppierung, auf deren Konto seit Jahrzehnten Angriffe auf Israel gehen, außerdem unzählige Entführungen und die Bombardierung amerikanischer Militärbaracken in Beirut, bei denen 241 Soldaten ums Leben kamen—irgendetwas grundfalsch. Eines der Hauptziele von Hisbollah ist die Vernichtung Israels. Diese Haltung hat sich zwar seit den radikalen Tagen der 1980er etwas gelockert, zum Teil deshalb, weil Israel 2000 einen Großteil seiner Truppen von libanesischem Boden abgezogen hat, an der Grenze ist die Lage allerdings so angespannt wie eh und je. Und immer wieder bricht der absolute Krieg aus (wie im Jahr 2006). Doch trotz all der Angriffe auf Israelis sollte nicht vergessen werden, dass deren gelegentlich brutale Besetzung des Südlibanon mitverantwortlich war für die Entstehung des Ungeheuers, das als Hisbollah bekannt werden sollte. In nur wenigen Jahren der Besetzung wechselten viele libanesische Schiiten, die zuvor den Abzug palästinensischer Kämpfer aus dem Libanon unterstützt hatten, scharenweise zur Hisbollah. Zwei Hisbollah-Kämpfer warten auf den Beginn der nächsten Runde. Wer wie ich in Beirut lebt, ist stets von der Hisbollah umgeben, wenn auch von einer meist anonymen Version. Sie kontrolliert ganze Viertel und hat sich zu einer der am schnellsten wachsenden politischen Bewegungen des Libanon entwickelt. Seit sie das letzte Mal die Verantwortung für ein Selbstmordattentat (gegen israelische Militärziele 1995 im Südlibanon) übernommen hat, hat sich der so ultrageheime militärische Flügel der Hisbollah, der Islamische Widerstand des Libanon, zu einer umfassenden öffentlichen Institution entwickelt, die Sozialleistungen und Unterstützung für arme Gemeinschaften bereitstellt. Doch selbst die Hisbollah gibt zu, dass dieses Projekt einzig und allein der Unterstützung ihrer militärischen Operationen dient. Meine Motivation bei der Vermittlung des Spiels bestand größtenteils aus dem einfachen journalistischen Bedürfnis, die Organisation besser verstehen zu wollen. Die sehr professionelle Presseabteilung der Hisbollah ist westlichen Journalisten äußerst freundlich gesonnen, erscheint fleißig auf Meetings und verbreitet dieselbe freundliche Propaganda, wie sie von offiziellen Stellen verkündet wird. Anfragen für Treffen mit dem Fußvolk werden jedoch stets ignoriert. Schon die Vorstellung eines solchen Treffens ist tabu. Das liegt zum Teil in der Natur der Sache. Der oberste Chef der Hisbollah, Hasan Nasrallah, macht gern Witze darüber, wie verschwiegen seine Kämpfer sein können, und erzählte einmal, dass seine Security ihn bei Ausbruch des Krieges 2006 an einen Ort gebracht habe, der so geheim war, dass selbst er 34 Tage nicht gewusst habe, wo er sich befand. In meinen mittlerweile mehr als fünf Jahren in Beirut hatte ich kein einziges Mal Gelegenheit zu einem engeren Kontakt mit Hisbollah-Kämpfern. Also fragte ich mich, was ich erfahren könnte, wenn es mir gelänge, sie aus ihrer streng kontrollierten Umgebung an einen Ort zu bringen, wo sie etwas entspannen und mir genug Vertrauen entgegenbringen könnten, um eine sei es auch noch so flüchtige Wahrheit oder Erkenntnis zu offenbaren. Der Rest von Team Sahafi bestand aus ähnlich denkenden Auslandskorrespondenten. Zu unserem Team gehörten Ben Gilbert, ein Radio- und Zeitungsjournalist, der 2006 in den Libanon gezogen war, nachdem er zuvor ein Jahr aus dem Irak berichtet hatte; Nicholas Blanford, der bereits seit 17 Jahren über den Libanon und die Hisbollah berichtet und gerade Warriors of God („Gottes Krieger“) herausgebracht hat, eine umfassende Militärgeschichte der Organisation; der unglaublich hochaufgeschossene Bryan Denton, der als Fotograf der New York Times bereits seit fünf Jahren in Beirut lebt und über verschiedene Ausbrüche der Gewalt sowie den Krieg mit Israel 2006 berichtet hat, bevor er beschloss, über die Revolution in Libyen zu berichten; und Exum, unsere Geheimwaffe. Als einziger Nichtjournalist war Exum der Schlüssel dazu, die Kämpfer zum Erscheinen zu bewegen und uns eine halbwegs realistische Chance auf den Sieg zu verschaffen. Er hat die Armee vor seinem 30. Geburtstag verlassen und macht gerade einen Doktor in „Insurgency Studies“. Für ihn sollte die Situation als unverzichtbare Möglichkeit zur Feldforschung dienen. Wir alle hatten einen simplen Wunsch gemeinsam: damit angeben zu können. Der militärische Flügel der Hisbollah gilt allgemein als kompetenteste Organisation „nichtstaatlicher Akteure“—oder, je nach Blickwinkel, „Terroristen“—weltweit. Ich hatte so ziemlich ihre gesamte Konkurrenz in Aktion gesehen: al-Qaida, Hamas, die Taliban und auch fast alle weiteren militanten Gruppen, die es in der Region gibt. Die für ihr kämpferisches Können und ihre sorgfältig abgestimmte Taktik berühmten wenigen tausend professionellen Kämpfer der Hisbollah haben sich mehrfach mit den härtesten Armeen der Welt angelegt (Israel, Frankreich, USA und, wenn auch nur kurz, Syrien) und jedes Mal den Sieg davongetragen. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie ihr Können so weit verfeinert, dass sie während des Libanonkrieges 2006 mit Israel etwas erreicht haben, was nur wenigen Aufständischen je gelungen ist: Sie entwickelten sich von einer Guerilla zu einer fast schon konventionellen Streitmacht. Falls es mir gelänge, sie zu einem Paintballspiel zu überreden, könnte ich ihre Taktik aus nächster Nähe erleben. Und falls es unserem Team gelänge, sie zu besiegen, könnten wir herumstolzieren und uns „als gefährlichste nichtstaatliche Akteure auf dem Planeten“ bezeichnen.
Ein Hisbollah-Kämpfer wirft eine Handgranate, die bei Paintball-Matches eigentlich nicht erlaubt ist, aber wer sollte ihm das sagen? In den Tagen vor der Partie arbeiteten Exum und ich eine Strategie aus. Wir gingen (korrekterweise) davon aus, dass unsere Gegner beim Kampf in kleinen Einheiten äußerst versiert sein würden, und so wollten wir uns eine Strategie zunutze machen, die sich mit einer Paintballwaffe einfach ausführen ließe, mit einer echten Waffe, die einen Rückstoß besitzt, jedoch unmöglich wäre, und zwar indem wir ein nahezu unendliches, präzises Sperrfeuer losließen. Nick und Ben oder Bryan würden in der Defensive bleiben, egal, was auch passiert, und entlang fester Schusslinien feuern, um den Feind daran zu hindern, sich direkt zu nähern. Exum sollte in der hintersten Ecke der Arena Stellung beziehen und jeden töten, der versuchte, sich an seine Teamkameraden heranzuschleichen. Ziel war es, sie dazu zu zwingen, Zeit und Energie auf den Durchbruch unserer Verteidigung zu verwenden. Sobald sie entsprechend geschwächt wären, würde ich dann einen Gegenangriff starten. In den ersten drei Runden funktionieren Exums Strategien perfekt, und zwar so perfekt, dass das Team Hisbollah sichtlich die Nase voll hat. Vor allem Coco hasst es, dass wir uns einfach zurücklehnen und abwarten. „Sie ändern weder ihren Plan, noch bewegen sie sich“, beschwert er sich bei Soha. „Sie setzen stur auf Verteidigung. Das ist zu vorhersehbar.“ Sie gibt das an uns weiter, und wir alle lachen. „Ich bin nicht zu ihrem Vergnügen hier“, entgegnet Exum. „Ich bin hier, um sie zu besiegen.“ Coco erweist sich als der Gesprächigste der Truppe, vor allem, wenn er auf Soha einredet. „Das ist der beste Krieg, an dem ich je teilgenommen habe“, sagt er, nachdem sein Team die dritte Runde verloren hat. „Es gibt Wasser. Und Mädchen.“ „Habt ihr Jungs schon mal Paintball gespielt?“, fragt Soha. Die Kämpfer lachen. „Wir haben in den Bergen gespielt, im Süden und in Beirut—allerdings nicht mit Paintballs“, antwortet Coco. Schließlich werden auch die anderen Kämpfer ein wenig warm mit uns. Andil („Laterne“ auf Arabisch) ist extrovertiert, witzig und ein eiskalter Kämpfer; obwohl etwas pummelig, ist er alles andere als soft, und beim Spiel ist er blitzschnell und höllisch aggressiv. Später erfahre ich, dass er zur berühmten Sondereinsatztruppe gehört, die neben langen Jahren des militärischen Drills, ein ganzes Jahr Spezialtraining im Iran absolviert. Khodor, der Riese, der in der zweiten Runde versucht hat, mich zu kidnappen, ist schüchtern und sehr religiös. Er stammt aus einem winzigen Dorf im Süden, und die Situation ist ihm zunächst ein wenig unangenehm, ein wenig so, als sei es Sünde, die Gesellschaft anderer zu genießen (zudem ist gerade Ramadan). Er schließt die Augen, sobald er fotografiert wird, obwohl er seine Spielmaske nie abnimmt, nur für den Fall, dass jemand ihn durch das schmutzige Visier erkennen könnte. Später finde ich heraus, dass er bei der Hisbollah unter anderem ein Team befehligt, das die Aufgabe hat, ein Raketensperrfeuer auf Nordisrael abzuschießen, falls es erneut zum Krieg kommen sollte. Dann ist da noch der „Boss“. Er trägt eine schwarze Lederjacke, Jeans und Turnschuhe und sieht auf den ersten Blick wie ein ganz gewöhnlicher Mann aus Beirut knapp über 30 aus. Von Nahem wird deutlich, wie muskulös er ist, und auch sein Selbstbewusstsein, bei Weitem größer als das von Andil und Khodor, tritt deutlich zutage, als er sich kühl vorstellt: „Ich bin der Boss.“
Ein Hisbollah-Kämpfer erholt sich in der Pause von der Paintball-Action. In den ersten Runden schaute der Boss stoisch von der Seitenlinie zu, wie sein Team gegen eine Horde käsiger Ausländer verlor. Vor der dritten Runde rief er die Mitglieder seines Teams zusammen. Sie wurden sofort besser und dominierten die nächste Runde, bei der sie Nick und Bryan ausknockten, um dann Exum in die Enge zu treiben. Trotzdem sollten sie am Ende verlieren, weil sie so erfreut waren, dass sie vollkommen übersahen, dass ich noch am Leben war. Als sie sich Exum näherten, tauchte ich plötzlich aus dem Nichts auf, und wir mähten sie in Sekundenschnelle nieder, was Andil dazu veranlasste, sich die Maske vom Gesicht und mich aufgeregt in seine Arme zu reißen. Seine dicken Arme zerquetschten mir den Brustkorb, während er auf Arabisch „Toll! Toll!“ rief und mir einen Kuss auf die Wange drückte. Die Flitterwochen sind jedoch schnell vorbei, und Soha schnappt ein wenig Flüsterpropaganda über mich auf. Sie erzählt mir, dass Coco und Andil wissen wollen, warum sie mit uns Ausländern rumhängt: „Woher kennst du die Typen überhaupt? Wie kommt es, dass du mit ihnen befreundet bist?“ Als säkulare Muslimin weiß Soha, dass wir ein mit vielen kulturellen Landminen gepflastertes Gelände betreten. Und obwohl die Kämpfer eine besondere Sympathie für mich zu hegen scheinen, wirkt die Tatsache, dass ich mit einer einheimischen Muslimin zusammen bin, dem ziemlich entgegen; noch dazu bin ich derjenige, der sie zu dem Spiel, das sie gerade verlieren, herausgefordert hat. Im nächsten Spiel werde ich sofort eliminiert, als Andil mir, so schnell rennend wie nur möglich, aus 30 Metern Entfernung direkt ins Gesicht schießt. Doch schließlich gewinnen wir das Spiel, das vierte, womit der Punktestand jetzt bei 3:1 liegt. Es wird deutlich, dass der Boss die Nase voll hat, und er kündigt an, dass er sich für eine Runde fünf gegen fünf fertig macht. Jedes Team soll einen Kapitän auswählen. Nur ein Mannschaftskapitän kann in den Turm des anderen Teams eindringen, und wenn ihm das gelingt, hat sein Team gewonnen. Wird der gegnerische Kapitän in den Kopf geschossen, ist das Spiel vorbei, und das Team des Schützen hat gewonnen. Nachdem uns der Boss in zwei 30-Sekunden-Runden den Arsch versohlt hat, scheint die Sache gelaufen zu sein. Es wird diskutiert, ob die Regeln erneut geändert werden sollten, um den Tiebreak kämpferisch etwas spannender zu gestalten, doch ist es bereits nach 23 Uhr, und Khodor muss um Mitternacht zum Ramadan-Gebet in der Moschee sein. So bleibt nur Zeit für eine weitere Runde Shoot-the-Captain. Wir beschließen, die Strategie des Bosses zu übernehmen: Ich werde direkt auf den Turm zuhalten und meinen Kopf dabei mit der Waffe schützen, während Bryan von Exum „überzeugt“ wird, an meiner Seite zu laufen und die Paintballs zu kassieren. Wir gewinnen: 4:3. In einigen arabischen Kulturen gibt es einen Brauch, der als Baroud bekannt ist: der Moment bei einer Hochzeit, einem Begräbnis oder einem anderen kulturellen Ereignis, in dem die Männer mit ihren Waffen in die Luft feuern und Gefühle zeigen. Vor ein paar Jahren hat die Hisbollah diesen Brauch offiziell verboten, doch heute, wo alle noch einen ganzen Streifen mit 200 Paintballs haben, feiern wir mit dem Boss und Co. in der Mitte der Arena diesen Abend, indem wir freudig in die Luft schießen. Sich über Sprachbarrieren hinwegsetzend werden Einzelheiten des Abends noch einmal rekapituliert, während alle sich die Hände schütteln und sich umarmen, als Anerkennung dafür, dass wir etwas auf die Beine gestellt haben, vielleicht nichts Besonderes, aber zumindest etwas bemerkenswert Einmaliges. Ganz am Ende des Abends nehmen die Dinge eine ernüchternde Wendung. Der Boss kommt rüber, nimmt Ben seine Waffe weg und kritisiert dabei dessen Treffsicherheit. Zur Veranschaulichung nimmt der Boss sorgfältig ein an der anderen Seite der Arena hängendes Seil ins Visier, feuert einen Schuss nach dem anderen und trifft das Seil jedes Mal genau. Bei jeder Betätigung des Auslösers skandiert er das Wort Yahoud („Jude“). Er scheint das für witzig zu halten, aber außer ihm lacht niemand.
Schutzmasken auf dem Tresen, kurz bevor sie mit Farbe vollgeschossen werden. Fast einen Monat nach dem Spiel fahre ich in einem nicht gekennzeichneten SUV entlang der schwer bewachten libanesisch-israelischen Grenze, wo sich zu den Patrouillen der Hisbollah, der israelischen und der libanesischen Armee 12.000 UN-Peacekeeper gesellen. Der Boss sitzt am Steuer. In den Wochen nach dem Paintballmatch haben wir so etwas wie eine Beziehung aufgebaut. Also duldet er meine ernsthafte Neugier, als ich ihn nach den speziellen Kampfstrategien der Gruppe frage. Ich habe den Eindruck, dass ihm zwar bewusst ist, dass derartige Dinge strikt untersagt sind, doch dass er mich für harmlos genug hält, um mit mir zu aufgegebenen Stellungen zu fahren oder mir aus seiner Perspektive zu erklären, wie 1994 ein Hinterhalt israelischer Offiziere ausgehoben wurde. Nachdem wir die Akkus aus unseren Mobiltelefonen genommen haben, um nicht abgehört oder verfolgt werden zu können, machen wir uns an einem regnerischen Wintertag Richtung Süden auf. Als wir einen libanesischen Militärkontrollpunkt passieren, der Ausländer davon abhalten soll, an einer der sensibelsten Grenzen der Welt herumzuschnüffeln, beschimpft er die jeweilige Taktik beider Seiten beim Paintball—mangelnde Disziplin und Bereitschaft, Pläne zu ändern—das genaue Gegenteil der Herangehensweise der Hisbollah. Als Beispiel zeigt er auf eine Straßenkurve innerhalb der ehemaligen Sicherheitszone, die Israel über 20 Jahre lang besetzt gehalten hat. „Dort hätte mich ein israelischer Panzer fast überfahren“, sagt er und beschreibt einen langwierigen Hinterhalt, den er Ende der 90er gelegt hatte. „Aber wir mussten ganz bewegungslos und still sein, weil der Panzer nicht unser Ziel war.“ Dann zeigt er auf eine andere Kurve auf der Straße ein paar hundert Meter weiter, dort, wo die Action stattfindet. Als wir uns der Grenze nähern, begegnen wir in einiger Entfernung auf der anderen Seite des Zaunes einer israelischen Militärpatrouille in ihren Humvees. Der Boss kurbelt sein Fenster runter. „Hallo, ihr da“, ruft der Boss den verblüfften Soldaten zu, die sich überrascht umdrehen. Dann schickt er ein „Fuck you!“ hinterher, und wir rasen davon. Sobald wir weit genug entfernt sind und ich keine Angst mehr habe, erschossen zu werden, frage ich ihn, wie er persönlich über seine israelischen Feinde denkt. „Sie sind alle gut ausgebildet und tough“, meint er. „Sie kämpfen hart und verteidigen ihr Land und ihr Volk. Ich respektiere sie als Feind. Sie arbeiten mit ihren Händen, kämpfen für sich selbst, und sie kümmern sich um ihre eigenen Leute. Das macht sie viel besser als die Saudis.“ Dann fährt er fort: „Die Saudis sind die schlimmsten Menschen überhaupt. Sie halten sich für die religiösesten Muslime und haben von Gott selbst das größte Geschenk aller Nationen erhalten. Schützen sie mit diesem Geld Muslime? Geben sie den Armen zu essen? Schaffen sie eine Kultur? Nein, sie geben alles für Autos und Huren aus. Ich hasse sie.“ Und das von einem Mann, der bei unserem Paintballmatch auf Sohas Frage nach der militärischen Taktik vor sich hin murmelte: „Manchmal, wenn man eine Waffe in der Hand hält, werden einem bestimmte Dinge klar.“ Wir machen eindeutig Fortschritte; er ist mittlerweile weitaus weniger bedrohlich. Als wir unsere Tour an der Grenze fortsetzen, erläutert er mir die korrekte Durchführung eines Hinterhalts (im Verborgenen bleiben und fünf Angriffsgelegenheiten auslassen, bevor man zur Tat schreitet) sowie die oberste Regel für die Kämpfer der Hisbollah: „Uns wird beigebracht, nicht getötet zu werden“, sagt er. „Sie lehren uns, dass unser Leben und unsere Ausbildung zu wertvoll sind, um vergeudet zu werden.“ Er zeigt mir Raketenabschussplätze, die so gut versteckt sind, dass wir sie erst sehen können, als wir mitten drauf stehen, und erklärt, wie sich die Raketenteams während des Kampfes mit dem Fahrrad fortbewegen, um nicht entdeckt zu werden. Das ist genau die Art von detaillierter taktischer Beschreibung aus einer legitimen militärischen Quelle, die ich mir von der Organisation des Paintballmatches erhofft hatte. Dennoch bohre ich bei der Fahrt weiter nach, um nachvollziehen zu können, wie der Boss über seine Gegner denkt. Sein „Yahoud“-Witz beim Seilschießen war in jeder Hinsicht beleidigend, im libanesischen Kontext jedoch nicht wirklich außergewöhnlich. Im Großen und Ganzen zeugt das Verhalten der Leute in diesem Teil der Welt von einer Schadenfreude, der jegliche Political Correctness fehlt. So wurden die israelischen Streitkräfte vor Kurzem mit der Enthüllung konfrontiert, dass ein Scharfschützenteam, das 2008 an dem Angriff auf den Gaza­streifen beteiligt war, T-Shirts hatte anfertigen lassen, die eine sichtbar schwangere muslimische Frau zeigten. Darunter prangte der Schriftzug: „Ein Schuss, zwei Tote.“ Dennoch ist das schlechte Benehmen der einen Seite keine Entschuldigung für das der anderen, und ich bin immer noch neugierig, ob es in den Köpfen von Kämpfern wie dem Boss eine Abgrenzung gibt zwischen Widerstand und Rassismus. Also hake ich beim wahren Ziel der Hisbollah nach. Geht es darum, libanesisches Land zu befreien und zu schützen, oder darum, weiterzukämpfen, bis alle Israelis weg sind? Ich bitte ihn, sich ein Szenario vorzustellen, in dem die Palästinenser eine Zwei-Staaten-Regelung erreicht haben und die Israelis sich von den kleinen Parzellen Land zurückziehen, die von einigen Interessengruppen als libanesisch beansprucht werden. Würde er sich verpflichtet fühlen, den Kampf trotz all dieser (wahrscheinlich unmöglichen) Fortschritte in der Region fortzusetzen? „Wenn all diese Dinge geschehen würden, wäre der Widerstand keine nationale Verpflichtung mehr, sondern würde zu einer Frage der Religion“, antwortet er. „Als Muslime halten wir es für unsere religiöse Pflicht, Jerusalem zu befreien. Doch auf diese Art von Fragen gibt es viele verschiedene Antworten, während auf die Besetzung nur mit Widerstand reagiert werden kann.“ Dann sagt er, dass die Israelis noch lernen müssten, dass sie einen Krieg im Libanon nicht gewinnen könnten, weil sie Menschen mit einem Heimatland angreifen. Seiner Ansicht nach spielt es eine entscheidende Rolle, dass es um die Verteidigung eigenen Landes geht. Und trotz seiner ganzen Angeberei, was die Fähigkeiten der Hisbollah anbetrifft, weist er in Richtung Israel, um dann wortgewandt ein Thema zusammenzufassen, das sich nur wenige Kämpfer im Nahen Osten trauen würden anzusprechen. „Würde der Krieg 500 Meter weiter in diese Richtung ausgefochten, könnte der Widerstand nie gewinnen“, sagt er. „Wir könnten die Israelis dort niemals schlagen, nicht auf ihrem Land, nicht bei ihnen zu Hause.“ Das ist das erste Mal, dass ich höre, wie ein islamischer Kämpfer zugibt, dass Israel israelisches Land ist. Weiter weist er darauf hin, dass 50.000 ausgebildete und gut ausgerüstete palästinensische Soldaten die Israelis nicht daran hindern konnten, 1982 binnen einer Woche Beirut einzunehmen. Nach seinen Informationen ist dies aber weniger als 1.000 Hisbollah-Kämpfern gelungen, die Beirut 2006 34 Tage lang halten konnten. „Die Palästinenser können nicht kämpfen, weil sie kein Zuhause haben, das sie verteidigen könnten. Ohne die Palästinenser gäbe es längst ein Palästina.“ Angesichts dieser Enthüllung forsche ich weiter nach und frage ihn, was seiner Meinung nach diesen Kreislauf der Gewalt im Süden beenden könnte. Was wäre, wenn die Israelis libanesischen Boden verlassen, mit den Palästinensern Frieden schließen und den Libanon nie wieder bedrohen würden? „Einige Leute würden Gewalt als Lösung für die religiösen Fragen wie die Befreiung Jerusalems betrachten. Doch das würde das Ende des Widerstands bedeuten“, sagt er. „Also Frieden?“, frage ich. „Sicher“, antwortet er darauf ohne große Überzeugung.

Fotos von Bryan Denton