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Wir haben Ex-Verbrecher gefragt, wie sie einen der größten Bargeldraube der Geschichte durchgezogen hätten

Vor 10 Jahren hat eine Gruppe von Männern umgerechnet 78 Millionen Euro in bar aus einem Gelddepot im englischen Tonbridge geraubt. Wir wollten wissen, warum sie heute im Gefängnis sitzen und nicht am Strand.

Natürlich wurde dabei sehr viel mehr gestohlen | Foto: Mark Hodson | Flickr | CC BY 2.0

Vor fast genau zehn Jahren haben Bankräuber aus London und den umliegenden Grafschaften den größten Bargeldraub der britischen Geschichte verübt. Nachdem sie einen Mann eingeschleust hatten, um heimlich das Innere des Securitas-Gelddepots in Tonbridge in der Grafschaft Kent zu filmen, entführten sie die Familie des Depot-Chefs als Geiseln, fesselten 14 Securitas-Mitarbeiter und machten sich mit etwas mehr als 53 Millionen Pfund, umgerechnet damals etwa 78 Millionen Euro, aus dem Staub. Es war eines der ambitioniertesten Verbrechen der britischen Geschichte—doch die Fähigkeiten der Räuber konnten nicht ganz mit ihrer Dreistigkeit mithalten.

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So ziemlich jeder erdenkliche Fehler wurde gemacht: DNA wurde an Gegenständen hinterlassen, die beim Raub zum Einsatz kamen, belastende Informationen wurden einer Außenstehenden anvertraut, und ein Telefonat, bei dem die Täter den Raub besprachen, wurde versehentlich aufgezeichnet. Geld, das mit dem Raub in Verbindung gebracht werden konnte, wurde in den Häusern der Täter gefunden, Waffen wurden in dem verlassenen Transporter gefunden und einer der Täter hatte nach dem Raub einen mit Fingerabdrücken übersäten Grundriss des Securitas-Depots bei sich zu Hause liegen.

Anlässlich des zehnten Jubiläums des Raubs habe ich ein paar Ex-Kriminelle kontaktiert, um sie zu fragen, was ihrer Meinung nach anders hätte gemacht werden müssen. Hätte es einen Weg gegeben, dieses monumentale Verbrechen durchzuführen, ohne sich lange Haftstrafen einzuhandeln? Der ehemalige Verbrecher Johnny Mack, der vor seinem 15. Geburtstag bereits am Raub von Diamanten im Wert von 250.000 Pfund beteiligt war, denkt schon. Er war nicht sehr beeindruckt von den Methoden der Räuber und geht sogar so weit, infrage zu stellen, ob ein einzelner Bargeld-Raub eines solchen Umfangs überhaupt sinnvoll ist.

Johnny Mack, wieder ein gesetzestreuer Teil der Gesellschaft und offensichtlich eine Frohnatur

„Ich würde mich nie an etwas beteiligen, wo es um so viel Bargeld geht", sagte Mack VICE gegenüber. „Wenn jemand mir sagen würde: ‚Ich habe einen 50-Millionen-Pfund-Job, bist du dabei?', würde ich Nein sagen. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich noch nie von einem Raub gehört habe, bei dem es um so viel Geld ging und sie nicht erwischt worden sind. Wenn du so viel Geld raubst, brauchst du Leute im Ausland, die das Geld kaufen. Die Gruppe, die Securitas in Tonbridge gemacht hat, hat ungefähr 50 Millionen Pfund erbeutet. Wenn sie das auf dem Schwarzmarkt verkaufen würden, hätten sie Glück, wenn sie noch 20 Millionen Pfund herausbekämen. Es wäre besser für sie gewesen, wenn sie sich Gold oder Diamanten geholt hätten."

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Stuart Campbell, ein krimineller Tausendsassa, der schon als Fixer für Raube gearbeitet hat, stimmte Johnny zu. „Es wäre leichter gewesen, Diamanten loszuwerden", sagte er. „Wenn sie erst einmal neu geschliffen sind, haben sie eine völlig andere Identität." Anscheinend gibt es einen Grund, warum die meisten Bargeldraube eher auf kleinere Summen abzielen: Es ist besser, lauter kleine Raubüberfälle durchzuführen und damit davonzukommen, als einen riesengroßen zu machen, der dann zum Gegenstand einer millionenschweren Sonderkommission wird.

Ein weiterer großer Fehler, den die Tonbridge-Bande gemacht hat: Sie hat die Friseurin und Visagistin Michelle Hogg engagiert, eine Polizistentochter mit keinerlei krimineller Erfahrung. Sie hatte eine Maskenbildner-Ausbildung gemacht und wurde von den Räubern dazu eingesetzt, ihr Äußeres zu verfremden. Als die Behörden nach dem Raub Druck auf sie ausübten, sagte sie gegen ihre mutmaßlichen Mitverschwörer aus, was zu ihrer Inhaftierung beitrug. Seither ist sie deswegen im Zeugenschutzprogramm.

Laut Mack war es ein riesiger Fehler, Hogg an Bord zu holen. „Würdest du sagen, es klingt vernünftig, eine Kosmetikerin darin zu verwickeln, wenn es um eine solche Geldsumme geht?", fragte er. „Bei solchen Angelegenheiten ist es besser, je weniger Leute involviert sind. Sie haben viel zu viele Leute eingeweiht."

Mick Judge, Detective Chief Inspector der Polizei von Kent, der damals für den Fall zuständig war, blickt zurück

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Der Ex-Gangster Jason Cook, der sich bereits mit 17 einen Namen in der Londoner Unterwelt gemacht hatte, sah das ähnlich. „Zu viele Leute wussten, was los war", sagte er. „Es gab keinen Grund, warum alle Beteiligten alle anderen zu Gesicht kriegen mussten. Jede Person hätte nur eine weitere Person sehen sollen, sodass die anderen geschützt gewesen wären, wenn jemand hochgenommen wird."

Anscheinend sehen Leute, die sich mit Verbrechen auskennen, den Raub also nicht als den großen Coup, als der er immer dargestellt wird. Es gab nur eine Sache, die unsere Verbrechens-Experten einstimmig als gute Idee bezeichneten: das Einschleusen eines der Räuber in die Firma Securitas. Die Bande hatte Emir Hysenaj dazu rekrutiert, das Innere des Gelddepots mit einer High-Tech-Kamera zu filmen, um ihr Ziel auszukundschaften.

„So hätte ich das auch gemacht", sagte Campbell. „Wiederum schlecht ist, dass sie trotz der Kamera mehr als 100 Millionen Pfund zurücklassen mussten, weil ihr Transporter nicht groß genug war. Sie hätten herausfinden sollen, welcher Betrag im Depot sein würde, um dann ein Fahrzeug der richtigen Größe mitzubringen."

Hysenaj hat vermutlich das größte Risiko auf sich genommen, denn seine Position in der Firma bedeutete, dass eine untrennbare Verbindung zwischen ihm und dem Raub bestand. Eduardo Salcedo-Albarán, ein Experte für organisiertes Verbrechen, sagte mir, dass „Maulwürfe" häufiger mit ihren Verbrechen davonkommen als andere Kriminelle. Das liegt daran, dass die Polizei sich meist auf Berufsverbrecher konzentriert, sodass solche, die ihre legale Position in einer Organisation ausnutzen, um Verbrechen zu begehen, meist unter ihrem Radar bleiben.

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Zu Hysenajs Pech sind bewaffnete Raubüberfälle aber die Ausnahmen zu dieser Regel. Nachdem fünf der Räuber verurteilt waren, sagte John O'Connor vom Flying Squad des Londoner Metropolitan Police Service der BBC, es sei bei einem Raub dieser Größe immer wahrscheinlich, dass es einen Maulwurf gäbe. Daher war die Polizei also auf der Suche nach Anzeichen für einen „Inside Job" und Hysenaj erhielt letztendlich eine Haftstrafe von 20 Jahren.

Andere Mitglieder der Bande machten den absoluten Schuljungenfehler, Geld aus dem Raub oder Gegenstände, die dabei zum Einsatz kamen, auf ihren Grundstücken zu verstecken. Der Inhaber einer Transporterwerkstatt Roger Coutts versteckte einen Overall und eine Sturmhaube, die er bei dem Raub getragen hatte, in seinem Haus in Bexleyheath, und der Gebrauchtwagenverkäufer Stuart Royle versteckte Schlüssel für das Fahrzeug, das bei der Entführung des Depotleiters und seiner Familie verwendet wurde, im Haus seiner Mutter. Dachdecker und Martial-Arts-Experte Lea Rusha ließ Grundrisse des Depots und Securitas-Banderolen in seinem Haus herumliegen und hatte noch Waffen und Munition in seinem Schuppen. Diese Fehler haben unsere ehemaligen Berufsverbrecher am meisten verblüfft.

„Ich weiß nicht, warum sie das gemacht haben", sagte mir Campbell. „Das Geld hätte sofort an einen sicheren Ort gebracht werden sollen, oder auf einen Bauernhof mitten im Nirgendwo. Ein paar von ihnen haben auch DNA auf diversen Gegenstände hinterlassen. Sie hätten bei jeglichem Kontakt mit Gegenständen Handschuhe tragen sollen. Die Tatsache, dass einer von ihnen auch noch versehentlich die Aufnahmetaste auf seinem Handy gedrückt hat, während er über den Raub sprach, ist auch verblüffend, doch ich schätze, wir machen alle mal vermeidbare Fehler."

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Stuart Campbell in seinen Glanzzeiten

John Costi, ein resozialisierter Krimineller, der seither eine Karriere als Künstler gestartet hat, meint, die Aussicht aufs Millionärsein sei ihnen vielleicht zu Kopf gestiegen. „Sie hätten das Geld und die Waffen irgendwo tief und abgelegen vergraben sollen. Aber wenn man 53 Millionen Pfund hat, dann kann einen die Aufregung vielleicht auch überkommen", sagte er mir.

Costi war nicht nur kritisch, was das Vorgehen der Räuber anging, und betonte, dass ein großer Teil des Geldes bisher nicht gefunden wurde. „Sie sind zwar hochgenommen worden, aber relativ betrachtet haben sie sich eigentlich ganz gut geschlagen", sagte er. „Die Bullen werden an ihnen kleben, wenn sie aus dem Gefängnis kommen, aber im Moment sitzen sie immer noch auf einer Summe, die größer ist als alles, was die meisten Menschen jemals in ihrem Leben verdienen werden. Jetzt geht alles darum, wie sie das Geld holen und verschwinden können, wenn sie freikommen, denn sie werden sehr harte Bewährungsauflagen haben und die Polizei wird sie beobachten."

Einer der Drahtzieher, Paul Allen, ist gerade Berichten zufolge nach neun Jahren Haft freigekommen. Wenn er seinen Anteil der Beute kriegt, wird fast ein Jahrzehnt hinter Gittern es wert gewesen sein? Das kommt darauf an, ob du der Meinung bist, dass Lebensjahre einen Geldpreis haben können. War es das Verbrechen des Jahrhunderts? Was die geraubte Summe angeht, schon, doch im Hinblick auf die Liebe zum Detail gab es offensichtlich noch Verbesserungspotential.

Danke an alle. Mack arbeitet aktuell an einem Film über sein Verbrecherleben, Cook hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben, Campbell arbeitet an einem autobiografischen Buch, und Salcedo-Albárans neuestes Buch über Drogenschmuggel und Korruption ist letztes Jahr erschienen.