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Popkultur

Erinnerungen in Farbe und Filme wie Hornhaut

Für Daniel trennt schrullig von senil oft nur ein kleiner Spaziergang am Pannenstreifen einer Autobahn und Nora spricht über fremde Füße.

Größer als die Angst, selber alt zu werden, ist die Angst, dass die Eltern altern. Also so richtig altern.  Nebraska beginnt mit einem Spaziergang, bei dem ein tattriger Pensionist namens Woody Grant (Bruce Dern) von der Polizei auf einer Autobahnrampe angehalten wird. Sein vom Leben ohnehin schon gepeinigter Sohn David holt ihn ab, ärgert sich über den Vater, über sich selbst und über die Tatsache, dass er auf seinen Vater überhaupt so eine Wut haben kann.

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Woody wollte zu Fuß in den übernächsten Bundestaat Nebraska, weil dort eine Million Dollar auf ihn warten. Das behauptet ein mit seinem Namen vorgedruckter Spam-Werbezettel jedenfalls. Und wieso sollte ihn jemand anlügen? Er will seinen Gewinn abholen, und wenn es verdammt nochmal das Letzte ist, was er tut. David begleitet trotz Einwände den Daddy auf sein Abenteuer.

Was folgt ist ein sehr schöner, erfrischend unaufdringlicher Film über Familie, Verwandtschaft und Freundschaften, über Kleinstadt und Großstadt, as simple as that. Man hat auch irre viel Spaß mit dem Vater- und Sohngespann, die den Alkoholismus zum Familienerbe erkoren haben.

Ist der alte Woody tatsächlich so ein sturer Bock oder tut er nur so? Kann man das überhaupt aus der knappen Mimik eines dementen Mannes herauslesen? Sowas zu spielen ist wohl echt sauschwer. June Squibb, die seine Gattin spielt, ist aber fast die heimliche Gewinnerin in diesem Film. Wenn die mal jemanden die Meinung geigt, dann ordentlich.

Den jungen Will Forte kennt ihr vielleicht aus Flight of the Concords, Drunk History, 30 Rock, SNL, und ziemlich sicher aus MacGruber oder HIMYM. Einem Haufen verrückter Adult-Animations-Serien lieh er seine Stimme, aber sein sein trauriger Hundeblick war auch in Parks and Rec, Tim and Eric Awesome Show oder The League dabei. Man könnte Forte einen Sitcom- und Serien-Nomaden nennen. Es ist verdammt geil, ihn als „ernsten Schauspieler" zu sehen.

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Kurzum, Nebraska ist großartig. Nach About Schmidt hat Alexander Payne einen in Bezug auf Struktur nicht unähnlichen Road-Movie gebastelt, diesmal aber mehr für die Söhne. Und qualitativ besser, wie ich finde. Obwohl der Film in Schwarzweiß gedreht wurde, sehe ich beim Zurückerinnern interessanterweise Teile davon in Farbe. Irgenwelche FilmstudentInnen können da sicherlich eine magische Storytelling-Eigenschaft identifizeren, die so etwas bewirkt.

Und dann trägt der Soundtrack von Mark Orton auch noch mit ruhigem Country-, Folk-Sound und ohne Gesang viel zur Gesamtstimmung bei. Einfach mal die Schnauze halten. Wunderschön.

DANIEL EBERHARTER (Twitter)

Keks, alter Keks

Ich mag Hornhaut nicht. Sie ist unappetitlich. Etwas, das sich dort bildet, wo es sich nicht bilden soll. Etwas Hartnäckiges. Ein Unbehagen, so wie wenn man 2 Zentimeter dicke Hornhaut von den Füßen einer anderen Person entfernen müsste (genau: Wenn man sich das vorstellt, wird's gleich noch eine Spur ekelhafter)—das ist so ziemlich das Gefühl, das den Zuseher bei Finsterworld begleitet.

Ich wusste ja im Vorfeld nicht, was mich bei Frauke Finsterwalders Kinodebut erwarten würde. Das Wortspiel mit dem Titel fand ich schon mal mies. Finsterwalder ist eigentlich Dokumentarfilmerin—alles recht sophisticated—und verheiratet mit Christian Kracht, Schweizer Autor und Journalist. Der hat auch bei diesem Drehbuch mitgeschrieben.

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So richtig dark wird es bei Finsterworld zwar nicht, aber unangenehm. Richtig unangenehm und vielleicht schlimmer als richtige Finsternis. Gerade wenn man anfängt von der recht sanften Ästhetik der Bilder eingewickelt zu werden und man die Figuren ganz ulkig findet, geht was kaputt. Spätestens dann, wenn sich zwei Obermacker einer Schulklasse beim KZ-Besuch einen grausamen Scherz mit ihrer nerdigen Mitschülerin (Carla Juri!) erlauben.

Oder dann, wenn der sensible Dominik fast als vermeintlicher Spanner verprügelt wird, obwohl er eigentlich nur endlich mal abhauen und bei einem Streifzug durch die Natur seine Ruhe vor der Welt haben wollte. In Ruhe gelassen werden wollen sie eigentlich alle. Claude will auch einfach nur Hornhäute abschaben und die Füße seiner angebeteten Rentnerin Sandberg im Pflegeheim eincremen.

Aber immer dann, wenn die Sonne gerade am Schönsten scheint, knallt die Tür zu—im übertragenen Sinne—, sodass es richtig finster bleibt. Die Figuren sind auf jeden Fall allesamt unfrei. Auch der Petplayer-Polizist Tom, kann nur für einen Moment in seine kuschelige, fast hermetisch abgesicherte Pelzanzug-Welt abtauchen, bis ihn die Realität wieder am Schopf packt. Aber in einem Film wie diesem, in dem auf einer Metaebene so viel von Schuld und deren Manifestationen gesprochen wird, geht es wohl doch um mehr als Hornhaut oder Kulturpessimismus. Was bleibt sind einige Klischees.

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Aber die Klischees erfüllen ihren Zweck: Immer ist es einmal zu viel, einmal zu lang, einmal zu skurril, um nicht doch in die reale Welt zu passen. Ein kurzer Flirt im Vorbeigehen beim KZ-Besuch: „Da geht doch was" gleich neben „ Arbeit macht frei".

Über ein Deutschland herziehen, das sich selbst nicht mehr kritisch wahrnimmt, während man—selbst fett geworden—im fetten Porsche über die Autobahn brettert. Die neurotische Dokumentarfilmerin in Finsterworld ist ständig auf der Suche nach etwas Unauffindbarem—vielleicht ein biografischer und somit sympathisch selbstironischer Verweis von Finsterwalder. Ja, „Rom, offene Stadt" war einmal, und Hochhuth sowieso. Die Zeit der offenen Anklagen ist vorbei, der innere Krieg hat jetzt das Kommando.

Die Baustellen, um die es in Finsterworld geht, kennen wir schon. Auch die Hornhaut, die langsam wächst, wenn man die falschen Schuhe trägt. Kathartische Momente erlebt man hier keine. Eine Erkenntnis oder ein Aufatmen dauert nur kurz an und schlägt in Pessimismus um. Auf der Leinwand und vor der Leinwand.

Selbst die einzige Außenseiter-Figur im Film—der Eremit, der ganz autark in den Wäldern haust—ist seiner Umwelt so sehr ausgeliefert, dass nicht viel an Hoffnung oder Moral übrig bleibt. Die Hornhaut ist wohl zu hart geworden.

NORA DEJACO

Fotos von Polyfilm und Thimfilm (© Alamode Filmverleih)