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Gründe, warum die Adventszeit in Zürich beschissen ist

Natürlich sehen das japanische Tagestouristen und übereifrige Väter der schief singenden Kinder im Wichtelchor anders.
Foto: Kate Hopkins

Foto von Kate Hopkins | Flickr | CC BY 2.0

Es gibt nur zwei Dinge, die die Schweiz in ihren Grundzügen spalten: Die Rosenvergabe beim Bachelor und Weihnachten. Während die Bachelor-Hater am Montagabend einfach wegzappen oder dem Fernseher Adieu sagen können, lässt Weihnachten niemanden entkommen.

Überall bimmelt und glitzert es und gefühlt jedes Werbeplakat dieser Welt will dich davon überzeugen, dass alles vom Kaugummi bis zum Anal-Bleaching-Gutschein genau das richtige Weihnachtsgeschenk für deinen Freund, deine zukünftige Schwiegermutter oder deinen Chef ist. Dabei gilt die simple Regel: Je näher wir dem 24. Dezember kommen, desto näher rückt auch der Glockengebimmel- und „Kauf Mich!"-Klimax—und umso mehr solltest du gewisse Dinge in der Stadt meiden:

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Den singenden Christbaum

Etwas ist in der Vorweihnachtszeit so gewiss wie Kennys Tod in South Park: Es wird gesungen. Hinter gefühlt jeder Ecke lauern mit einer Überdosis an Endorphinen vollgepumpte Heilsarmee- und ICF-Chöre. Sie besingen mit ins Gesicht gebranntem Lächeln wahlweise das nahende Jubiläum der Geburt ihres geistigen Führers, ihr Leben ohne Sex oder auch einfach mal den Winter. Für die Pro-Klimbimmel-Menschen gehört das zur Weihnachtszeit. Und ich fühle mich dazu genötigt, mit der grinchigen Antwort „Keine unbefleckte Empfängnis dieses Universums rechtfertigt eine solche audio-visuelle Kitsch-Vergewaltigung" die Ehre des Teams Anti-Klimbimmel zu verteidigen.

Doch Zürich will—wie immer—mehr: Etwas abseits der Bahnhofstrasse versteckt sich hinter einem roten Eingangsbogen eine Tannenzweig-Pyramide mit dem harmlosen Namen „Singing Christmas Tree". Doch hinter dem schick in Englisch gehaltenen Irgendwas, verbirgt sich sowas wie das Tor zur Hölle. Wer noch nie der in rote Mützen und Schals und grüne Pullover (der Dresscode der „Singing Christmas Tree"-Erniedrigung) gepressten Männergesangsgruppe der Dartclub Schlieren-Veteranen beim „Everybody, Clap Your Hands! This is the way we praise!" singen zugehört hat, hat keine Vorstellung von Luzifers Heimat.

Natürlich sehen das asiatische Tagestouristen und übereifrige Väter der schief singenden Kinder des Wichtelchors anders. Doch gäbe es nur eine Wahrheit, wäre es diese: Vertraue keinen Menschen, die solche Videos auf YouTube laden. Nie.

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Der Swarovski-Christbaum

Zürich ist die in einen urbanen Mantel gequetschte Dekadenz—das ist nichts Neues. Hier sind die Strassen sauberer als die Teller von Basler Restaurants, die Klunker gerade prächtig genug für russische Oligarchen und die Business-Menschen glatter als Mark Zuckerbergs Gewissen. Doch nie kommt die Dekadenz so klar und komprimiert zum Ausdruck wie vor Weihnachten.

Foto: Kate Hopkins | Flickr | CC BY 2.0

Seit 18 Jahren wird die Messlatte diesbezüglich in der grossen Halle des Hauptbahnhofs gesetzt. Jedes Jahr schmückt dort die gleiche Künstlerin eine 15 Meter wuchtige Tanne mit 6'000 Ornamenten und 15'000 Kristallschmucksteinen. Oder in anderen Worten: Ein Milliardenunternehmen bezahlt eine Frau, die den geschliffensten Schmuck der Welt—Preis pro Stück: 100 bis unendlich Franken—irgendwie auf einen Tannenbaum pflanzt und sich im Gegenzug als „Künstlerin" bezeichnen darf.

„Jeder Dreck wird akzeptiert, wenn irgendein Spast damit Geld macht", rappte der gute Fatoni mal und muss damit das 15 Meter hohe Non-Plus-Ultra des dekadenten Weihnachtskitsches in der Halle des Hauptbahnhofes gemeint haben.

Die Night Shopping-Bahnhofstrasse

Das sinnlose Rumgehate wegen der Beleuchtung der Bahnhofstrasse ist mittlerweile zwar überstanden. Dennoch sorgen findige Köpfe dafür, dass in der Vorweihnachtszeit immer noch Menschen an die Bahnhofstrasse denken. Und so wird alles zum Event. Die Weihnachtsbeleuchtung der Bahnhofstrasse wird zum ersten Mal eingeschaltet? Das schreit nach einer grossen Abendverkaufs-Party! Ein Hund hat an eine Tanne vor dem Globus gepinkelt? Ein perfekter Anlass für einen spassigen Sonntagsverkauf mit Glühwein!

Und irgendwann ist es soweit: Die Bahnhofstrasse wird schlimmer als der HB-Migros am Sonntag. Und du bist mittendrin, um mit Hunderten anderen um die letzten Geschenke zu kämpfen. Doch das kümmert die findigen Köpfe nicht mehr.

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Fast die Bahnhofstrasse. Foto: Jean-Marc Bolfing | Flickr | CC BY 2.0

Die Weihnachtsmärkte

Wann wurde eigentlich beschlossen, dass in der Vorweihnachtszeit alles ver- und gekauft werden soll? Nach christlichem Fahrplan wäre die Zeit vor dem Heiligen Abend dazu da, sich zu besinnen. Irgendwann hat irgendjemand aber beschlossen, dass die Gleichung „Besinnung = Alle Scheisse dieser Welt lässt sich verkaufen" umgesetzt werden sollte. Und so reichen Midlife Crisis-Damen und andere seelenlose Arbeitnehmende (alias Studenten) fancy Sandbilder, „Made in China"-Bienenwachskerzen und Seifen mit Abwasser-Odeur über die Theken von zum Lebkuchenhaus erkorenen Standard-Kabäuschen.

Der Weihnachtsmarkt in der Bahnhofshalle übertrumpft dabei alle anderen. Er kommt sozusagen einem Wachkoma-Generator gleich. Betrittst du ihn, bist du gefangen in der weihnachtlichen Verkaufszeit. Gefühlt die halbe Bevölkerung der Welt hat sich versammelt, um dich in ihrem Strom mitzureissen. Alle Entscheidungen werden dir abgenommen. Du hast keine Lust, eine halbe Stunde für ein Raclette anzustehen? Du machst es trotzdem. Keinen Bock auf Glühwein? Tu's trotzdem. Du willst eigentlich nur auf den Zug? Vergiss es.

Menschen, die sich über die Vorweihnachtszeit aufregen

Ja, ich hab's gerade getan. Und ja, ein bisschen tut's mir leid. Denn seien wir ehrlich: Sich über die (Vor)Weihnachtszeit aufzuregen ist wie über Modern Talking zu lästern—das kann jeder. Und doch tun wir's ständig. Irgendwie müssen wir schliesslich den Frust über die uns durch Glockengebimmel, Glitzer und gedimmtes Licht auferzwungene Glückseligkeit aus uns raus kriegen.

Tun wir das nicht mit hektoliterweise Glühwein, missbrauchen wir eben Freunde, Familie oder das Internet dazu. Die müssen das akzeptieren—schliesslich wissen sie, dass das nur eine Phase ist. Und Phasen ziehen bekanntermassen vorbei. Diese findet ihr Ende spätestens am 24. Dezember—dann dürfen wir uns endlich wieder über Silvester aufregen.

Sebastian ist nicht der Grinch: @nitesabes

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