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Popkultur

Wie „Asylgegner“ ihren Flüchtlingshass jetzt in Social-Media-Challenges verpacken

Eine Facebook-Userin hat mit ihrem Hungerstreik-Aufruf gegen Flüchtlinge eine Challenge der Menschenfeindlichkeit losgetreten. Ja, wirklich.

Es gibt Momente, in denen kann man noch lachen, es gibt Momente, in denen ist man einfach nur fassungslos—und es gibt Momente, in denen starrt man mit leerem Blick sehr, sehr lange auf einen imaginären Punkt in der Ferne und wünscht sich in eine andere Welt. Als ich letzte Woche auf eine Facebook-Userin aufmerksam geworden bin, die in den Hungerstreik treten wollte, wenn sie vom Staat nicht genauso viel „Taschengeld" bekommen würde, wie die Flüchtlinge (also eigentlich nichts, in ihrer Welt allerdings 2.000 Euro), war ich ein bisschen unentschlossen, was die angemessene Reaktion auf eine solche Forderung sein könnte. Sollte man sie auslachen, weil sie auf eine Fake-Meldung der FPÖ hereingefallen war? Sie und ihre Mitstreiter, die sich innerhalb kürzester Zeit unter dem Post sammelten und ihn zehntausendfach teilten, sachlich über ihren Irrtum aufklären (auch wenn das in aller Regel so gut wie immer nach hinten losgeht)? Ich habe mich dazu entschieden, einen Artikel über den Vorfall zu schreiben (und sie auch ein bisschen auszulachen).

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Diesen Artikel haben ziemlich viele Leute gelesen—und von diesen vielen Leuten haben sich einige an der Bezeichnung „rechts" gestört. Wahrscheinlich exakt die Leute, die marodierende Pegida-Mitstreiter mit rechten Spruchbannern als „besorgte Bürger" bezeichnen oder immer noch glauben, dass „Asylgegner" für irgendetwas anderes steht als „rassistisch motiviertes Arschloch". Nun möchte natürlich niemand in einem Land leben, in dem es zu jeder Sache nur eine Meinung geben darf. Wer allerdings falsche Informationen verbreitet, die keine andere Intention haben, als Hass gegen eine Bevölkerungsgruppe zu schüren, und sich dann auch noch in Facebook-Kommentaren zu Aussagen a la „Ausländer raus", Hakenkreuz-Posts oder Witzen über halbverhungerte afrikanische Kinder hinreißen lässt—dann handelt es sich bei dieser Person um jemanden aus dem politisch rechts einzuordnenden Spektrum und dann ist auch die Bezeichnung „Neonazi" keine falsche.

Screenshot: Facebook

Jetzt, knapp eine Woche später, ist der Post der Hungerstreik-Nutzerin zwar offline, dafür scheinen sich von den über 25.000 Leuten, die ihren Aufruf geteilt haben, einige dazu inspiriert zu fühlen, es ihr gleichzutun. Mindestens drei Facebook-Seiten rufen mittlerweile dazu auf, sich an der Forderer-, beziehungsweise Hungerstreik-Challenge zu beteiligen. Das Prinzip ist dabei recht simpel: Man formuliert seine „Forderungen" an den Staat auf einem Schild, hält es fürs Foto in die Kamera und nominiert anschließend eine weitere Person. Ihr erinnert euch: Auf dieselbe Art und Weise wurden in der Vergangenheit bereits Leute dazu aufgefordert, Bier zu trinken oder sich mit einem Eimer Eiswasser zu übergießen.

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Jetzt könnte man natürlich vermuten: Da will sich irgendjemand über die heulsusigen Deutschen lustig machen, die sich im Vergleich mit Leuten, die unter Lebensgefahr aus ihrer Heimat flüchten mussten, stark im Nachteil sehen. „keine themenvorgabe !!! von privaten,politischen,satirischen,überspitzten,lustigen bis hin zu ernsten themen.nur rassistische und gewaltverherrlichende dinge werden entfernt. denke das geht in ordnung.oder?" heißt es dann auch in der Beschreibung der (privaten) Gruppe „Die Forderer-Challenge", die insbesondere in ihrem Eingangstext so over the top ist, dass man wirklich nicht so recht weiß: Ironie oder Lobotomie?

Screenshot: Facebook

Unter demselben Namen—und scheinbar auch vom selben Initiator—gibt es mittlerweile auch wieder eine öffentliche Gruppe. Die noch ein bisschen betonter „lustig" sein soll, damit die Mitglieder, die ja wirklich nur auf Missstände aufmerksam machen wollen, von der bösen Lügenpresse nicht mit Neonazis verwechselt werden. Nur: Was die User, die ihre Fotos einreichen, auf ihre Schilder schreiben, ist nicht ganz so lustig. Da steht neben der Forderung nach einem „Waschbrettbauch" nämlich auch die nach weniger Geld für Flüchtlinge (gerne auch als „manch andere" bezeichnet), und mehr für „unsere" Kinder. Ihr wisst schon: die Kinder, deren Sporthallen von besorgten Bürgern angezündet werden, damit sie nicht als provisorische Flüchtlingsunterkünfte verwendet werden können. Die Kinder, die von Dresdner Pegida-Anhängern beleidigt und bedroht werden, weil sie immer nur dann wichtig werden, wenn man sie für die eigene Agenda missbrauchen kann.

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Screenshot: Facebook

Etwas weniger subtil geht es bei der „Hungerstreik-Challenge" zu. Da wird Sandra K., die originale Hungerstreikerin, als eine Frau gefeiert, „die sich nicht verbiegen lässt". Oder das Bild eines Mannes, der ein Schild mit der Aufschrift „Ich will nicht Essen…. Ich möchte meine Kinder" trägt, folgendermaßen kommentiert: „Typischer Fall von Flüchtling. Ich will, ihr habt, ihr müsst …" Wenn solche Aussagen, und darunter stehende Kommentare („Der kann Wochen zehren mit dem Ranzen … also soll nochmal Posten, wenn er aussieht wie halb verhungert") nicht als fremdenfeindlich, hetzerisch und menschenverachtend eingestuft werden—was ist es dann?

Glauben diese Leute wirklich, dass sie nichts anderes tun, als von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen? Kein Wunder, dass man sich in kleinen Gruppen zusammenrotten muss, um sich derart ekelerregend in seinem Selbstmitleid zu suhlen. Ich würde mich auch nicht trauen, irgendjemandem derart selbstgerechten Müll ins Gesicht zu sagen. Wer einem Flüchtling das gespendete Essen und die Notunterkunft neidet, während er es sich selbst jeden Abend mit der gesamten Familie vor dem Fernseher bequem machen kann, neidet einem Rollstuhlfahrer auch, dass der immer eine Sitzgelegenheit dabei hat.

Ich hoffe, dass sich diese wahnsinnig „lustige" Social-Media-Challenge ähnlich ausbreitet wie ihre zwar ziemlich nervigen, aber zumindest nicht menschenverachtenden Vorgänger. Dann weiß man zumindest, wem man ab jetzt gegens Schienbein tritt, wenn er neben einem an der Kasse steht.

An welcher Supermarktkasse Lisa gerade steht, erfahrt ihr bei Twitter.