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Bye bye Blatter!

Bye, bye Blatter! Tschau Sepp ... Er ist weg. Und uns fallen ein Dutzend Titel ein, die unserer Erleichterung Ausdruck verschaffen.
Foto von Agência Brasil

Sepp Blatter war das Gesicht des kommerziellen Fussballs und einer der Hauptgründe, weshalb gewisse Menschen behaupten, sich aus „Prinzip" keine WM-Spiele anzusehen. Dass diese Menschen sich auch nicht für Fussball interessieren würden, wenn Mutter Theresa Präsidentin der FIFA wäre, ändert nichts daran, dass Sepp eine, naja, eher polarisierende Persönlichkeit der Öffentlichkeit war.

Foto: Sputniktilt | Wikipedia| CC BY-SA 3.0

Aktuell ist der Seppli mehr in den Schlagzeilen denn je, was verschiedene Gründe hat: Die Verhaftungen von vergangenem Mittwoch und die Ermittlungen, welche die FIFA angeblich selbst eingeleitet hat. Als im Zürcher Hotel Baur au Lac sieben FIFA-Funktionäre verhaftet wurden, staunte die ganze Welt.

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Der zweite Grund für die Schlagzeilen betrifft die am Freitag erfolgte Wiederwahl Blatters zum FIFA-Präsidenten (zum fünften Mal!). Das ist ziemlich vielen sauer aufgestossen. Der englische Fussballverband unter dem Verbandschef Greg Dyke forderte sogar einen WM-Boykott, um die Strukturen der FIFA endlich ins Schwanken zu bringen. Die Engländer wollten dazu Deutschland, Holland und weitere fussballvernarrte Nationen mit ins Boot zu holen.

Greg Dyke; Foto: acrofan| Wikimedia |CC BY-SA 3.0

Doch das ist nun alles Schnee von gestern, genauso wie das Präsidialamt Blatters. Gestern gab dieser in einer Medienkonferenz in Zürich seinen Rücktritt bekannt. Er begründete diesen mit dem fehlenden Rückhalt in der Fussballwelt. Dass das FBI aktuell gegen ihn ermittelt, wurde Blatter-gemäss nicht zur Sprache gebracht. Vor kurzem meinte er noch selbstbewusst, ein Rücktritt wäre ein Schuldeingeständnis. Ob er gestern Abend vor aller Welt freiwillig und selbstlos gebeichtet hat oder dem FBI zuvorkommen wollte, ist augenblicklich Gegenstand von Spekulationen.

Rosario: Gewalt, Drogen und Fussball

Dykes Statement zum Rücktritt ist: „Blatter ist weg, lasst uns feiern!" Ob jetzt tatsächlich alles gut wird mit der FIFA, bleibt abzuwarten. Abgesehen von Lug, Betrug und Geld hat die FIFA mit einer Telenovela nämlich wenig gemeinsam und das Happy End ist somit keineswegs gesetzt.

Trotz all der Euphorie nach dem Rücktritt sowie den unzähligen Titelblättern mit Blatters kränklicher Visage wissen viele nicht, wer das ist, dieser Blatter und warum er so viel Missgunst auf sich zieht.

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Foto: thierry ehrmann | Flickr | CC BY 2.0

Die FIFA gehört aber bekanntlich nicht zu den Organisationen mit einer weissen Weste. Unzählige Skandale und Vorwürfe haben schmierige braune Flecken auf ihrem Image und vor allem auf dem Blatters hinterlassen. Wer ist, beziehungsweise war dieser Typ eigentlich?

Skandale oder „The Life of Blatter"

In Form des Zen-Ruffinen-Dossiers sah sich Blatter mit vielen Anschuldigungen konfrontiert:

So warf der ehemalige FIFA-Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen Blatter 1999 unter anderem vor, dem Schiedsrichter Lucien Bouchardeau vor zwei FIFA-Angestellten 25.000 Franken ausbezahlt zu haben, um in einem Prozess gegen den ehemaligen somalischen Verbandspräsideten Farah Addo auszusagen. Dieser hatte Blatter bei seiner Erstwahl 1998 Betrug vorgeworfen.

„Die FIFA wird heute wie eine Diktatur geführt, es hat sich zu einer Blatter-Organisation unter dem Decknamen FIFA entwickelt", so Zen-Ruffinen.

100.000 US-Dollar soll Blatter laut dem somalischen Delegierten Farah Addo pro Stimme investiert haben, um den Schweden Lennart Johansson auszustechen. Addo wurde daraufhin von Blatter verklagt und dazu verdonnert, seine Aussage nicht mehr zu wiederholen, 10.000 Franken an Blatter inklusive.

Lennard Johansson; Foto von Andreaze | Wikipedia | Public Domain

Der Sepp mag Macht und offenbar auch sexistische Kommentare. 2004 meinte er in einem Interview mit dem Sonntagsblick, man müsse die Sportbekleidung für den Frauenfussball femininer gestalten. Wie? Hotpants für alle! Da Blatter neben Macht aber auch Geld ziemlich liebt, hatte dieser Kommentar einen triftigen Grund: Der Aufzug der Frauen sollte dazu dienen, Geldgeber aus dem Bereich Kosmetik und Mode anzulocken. Ach Sepp …

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Der Vizepräsident der Sportmarketingfirma ISL, die 2001 Konkurs ging, wurde 2007 mit anderen Managern wegen Veruntreuung und betrügerischem Konkurs angeklagt. Jean-Marie Weber war ein guter Freund Blatters und seine Firma arbeitete damals eng mit der FIFA zusammen. Der Skandal weist grosse Parallelen mit dem neuen Verfahren auf, mit dem Unterschied, dass die Ermittlungen damals von der Staatsanwaltschaft Zug und heute von der FIFA selbst eingeleitet wurden. Durch eine Zahlung von 5.5 Millionen Franken konnte das Verfahren 2010 eingestellt werden. Durch die daraufhin erschienene Einstellungsverfügung (gegen deren Veröffentlichung sich die FIFA natürlich sträubte) kam zum Vorschein, dass Sepp Blatter sehr wohl über die Tätigkeiten seiner Untergeordneten im Bild gewesen war—und trotzdem nichts unternommen hatte. Euphemistisch begabt ist Sepp Blatter übrigens auch, denn er sprach in diesem Zusammenhang nicht von Schmiergeld, sondern von „Provisionszahlungen".

Dies sind bei weitem nicht alle Ungereimtheiten, in die der Sepp verwickelt war und ist. Er hat mit alledem natürlich „nichts zu tun" und konnte sich letzten Freitag über seine Wiederwahl freuen. Womit wir beim nächsten Grund für die Schlagzeilen wären.

Die Wiederwahl

Sepp Blatter war 18 geschlagene Jahre Präsident der FIFA und hätte mit der Wiederwahl nun weitere vier Jahre das Zepter geschwungen. Doch wie zum Teufel hat er das überhaupt bis jetzt geschafft? Hier (vermutlich) einige der Hauptfaktoren:

Sepp Blatter versprach auf einem FIFA-Kongress vor der Wahl jedem Nationalverband 750.000 US Dollar als „Bonus". Was die Verbände schlussendlich mit dem Geld angefangen hätten, wäre ihre Angelegenheit geblieben. Klingt ziemlich nett für jeden, der noch nie etwas von Bestechung gehört hat, oder?

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Ausserdem gibt es nicht überall auf der Welt einen Aufschrei, wenn Markwalder- oder gar FIFA-Fälle publik werden. Die europäische Standardabneigung gegen jegliche Form von Korruption (insofern publik) hat nach wie vor kein globales Ausmass angenommen. Der Sepp konnte sich bei seinen Wahlen also getrost auf Staaten wie zum Beispiel Russland verlassen.

Foto: kremlin.ru |Wikipedia | CC BY 3.0

Ausserdem kennt Blatter laut dem ehemaligen Gegenkandidaten Michael van Praag den Namen jedes Vorsitzenden der Nationalverbände, sowie den ihrer Frauen. Der Typ hat einfach so viel Macht, so viele Beziehungen und so viel Geld, dass es ihm eh scheissegal sein kann, dass ein Grossteil der Welt in hasst.

Obwohl Sepp im ersten Wahlgang trotz Skandalen die absolute Mehrheit nur knapp verfehlte, musste er sich keinem zweiten Wahlgang stellen: Sein Gegner Ali bin al-Hussein verkündete vorher, seine Kandidatur zurückzuziehen. Was für ein Glück der Sepp doch immer gehabt hat.

Michel Platini, Präsident der UEFA, schrieb in der Nacht vor der Wahl angeblich allen Verbänden, sie sollten gegen Blatter stimmen. Ausserdem habe Platini Blatter einen Deal angeboten, der in etwa so aussieht: Seppli macht den Kongress und verpisst sich danach. Das Büro kann er behalten und es gibt eine fette Fete. Kam beim Sepp gar nicht gut an. Es war sogar von mangelndem Respekt die Rede. Seither herrscht zwischen den beiden ein, sagen wir, eher angespanntes Verhältnis. Ob Sepp sich Platini doch noch erbarmte? Vielleicht sitzen die beiden jetzt wirklich bei einem guten Glas Whisky zusammen und hauen auf den Putz. Vermutlich nicht.

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Michel Platini; Foto: Piotr Drabik |Wikipedia |CC BY 2.0

„Tschau Sepp!" oder „Der Abgang"

Gestern um 18:00 Uhr kündete die FIFA eine Medienkonferenz an, den Grund dafür kannte noch niemand. Nach einer Dreiviertelstunde traten dann Sepp Blatter, FIFA-Pressesprecher Walter de Gregorio sowie Domenico Scala, der die Wahl am Freitag geführt hatte, ans Mikro. Sepp Blatter hielt eine kitschige Rede und gab dann seinen Rücktritt bekannt. Bis zu den Neuwahlen zwischen Dezember 2015 und März 2016 bleibe er aber im Amt. Grund für den Rücktritt sei, wie Blatter meinte, „fehlender Rückhalt in der Fussballwelt".

Nur „Welt" wäre wohl ein wenig gar radikal auszusprechen gewesen. Es wurden Reformen angekündigt (wie vor jeder organisatorischen Umstrukturierung —gähn) die unter anderem „individuelle Integritätschecks" beinhalten würden. Darum wird sich wohl ein geschultes Human Ressources Team oder besser, die „Ethikkommission der FIFA" (rundes Dreieck?) kümmern. Fragen wurden übrigens keine beantwortet, nach knapp 15 Minuten war die Konferenz aus und vorbei.

Später wurde dann aber bekannt, dass das FBI privat gegen Blatter ermittelt, was jedoch nichts mit dem laufenden Verfahren der US-Behörden zu tun haben soll. Trotzdem ist es natürlich mehr als möglich, dass Blatter von den Behörden zum Rücktritt gezwungen wurde oder einfach Schiss bekommen hat.

Foto: Agência Brasil | Wikipedia |CC BY 3.0

Sepp ist raus aus der FIFA, metaphysisch haben ihm aber wahrscheinlich schon fast alle Europäer tschau gesagt. Denn mit seiner Wortwahl trieb er sich schon lange selbst ins Abseits.

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Zitate oder „Best of Sepp"

Auf die Frage, wie sich homosexuelle Fussballfans in Katar, wo Homosexualität illegal ist, verhalten sollten, meint Blatter:

„Ich würde sagen, sie sollen einfach keinen Sex haben."

Als im Zusammenhang mit dem italienischen Wettskandal 2009 bekannt wurde, dass der Präsident eines italienischen Fussballvereins, weitere Funktionäre sowie ein Mitglied der Mafia Fussballspiele manipuliert hatten, reagierte Sepp:

„Ich könnte ja verstehen, wenn das in Afrika passiert wäre, aber doch nicht in Italien."

Der Fussballer Cristiano Ronaldo verdient 70 Millionen Euro pro Jahr während indische Gastarbeiter in Katar angeblich wie Sklaven gehalten werden. Zum Verkauf Cristiano Ronaldos an Real Madrid meinte Blatter trotz allem:

„Ich glaube, im Fussball gibt es zu viel Sklaverei. Spieler werden einfach verkauft und woanders eingesetzt."

Sepp zeigt ab und zu auch seine kreative/philosophische Ader, was leicht grössenwahnsinnige Züge annehmen kann. Seht selbst:

„Wir sollten uns fragen, ob unser Spiel eines Tages auf einem anderen Planeten gespielt wird. Warum nicht? Wir hätten dann nicht nur eine Weltmeisterschaft, sondern interplanetare Wettbewerbe. Warum nicht?"

„Das ungeborene Kind im Mutterleib boxt nicht mit den Händen, es benutzt nicht denKopf—es kickt!"

„Die FIFA ist durch die positiven Emotionen, die der Fussball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion."

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„Durch den Fussball werden wir alle bessere Menschen. Wo Fussball gespielt wird, wird nicht gekämpft. Wenn also alle Menschen Fussball spielen würden, gäbe es keine Kriegeaber es spielt nicht jeder Fussball."

Mediale Reaktionen

Taz: „Arschloch!" (Direkt Indirekt)

Daily Mail: „Eingebildeter, selbstgerechter, Zürcher Gnom."

Guardian: „Erfolgreichster Diktator des vergangenen Jahrhunderts, der niemanden umgebracht hat."

Bild: „Hau ab!"

Fazit

Der Sepp war jetzt 40 Jahre dick im Geschäft und ist einer der meistgehassten Menschen auf dem Planeten. Die Tatsache, dass er so lange walten konnte, verdankten wir nicht zuletzt TV-Sendern, Bars, die FIFA-Spiele übertragen und schlussendlich auch dem fussballvernarrten Egoisten (ist natürlich leicht zu sagen, wenn man Fussball sowieso nicht mag). Der Skandal vom Mittwoch in Kombination mit der Wiederwahl Blatters am Freitag hatten den Anschein erweckt, dass Blatter scheiss-unzerstörbar ist. Und dass die Reaktion der Taz einmal mehr gerechtfertigt ist. Doch manchmal kann auch das Leben zur Seifenoper werden—jedenfalls bis zur Wahl des neuen FIFA-Maskottchens.

Nora auf Twitter: @nora_nova_

ViceSwitzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild: Agência Brasil | Wikipedia | CC BY-SA 3.0