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Ich will mich nicht mehr dafür rechtfertigen müssen, dass ich keinen Alkohol trinke

Keiner meiner Freunde muss ständig erklären, warum er raucht oder kein Fleisch isst. Warum lassen mich die Leute also nicht einfach in Ruhe?

Foto: Winnie Liu | Flickr | CC BY 2.0

Vor einiger Zeit wurde mir etwas bewusst: Mit mir stimmt was nicht. Irgendwas ist da wohl anders. Denn, und jetzt kommt es: Ich werde in ein paar Wochen 17 Jahre alt und trinke keinen Alkohol. Nie.

So. Erstmal sacken lassen. Jetzt erwartet man für gewöhnlich einen wirklich guten, gesundheitlich bedingten und absolut ausschlaggebenden Grund, der meine Abstinenz rechtfertigt. Doch ich leide weder an einer seltenen Alkoholunverträglichkeit, noch bin ich schwanger, noch bin ich ein Mensch, der einfach ungerne Spaß hat. Nein, ich will einfach nicht. „Warum denn nicht?", wird sich der geneigte Leser jetzt sicherlich fragen, und ich kann es ihm nicht verübeln. Ich habe mir diese Frage selbst schon oft gestellt und bin immer noch zu keiner eindeutigen Antwort gekommen. Warum dann also nicht?

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Teilweise könnte man wohl sagen, dass ich mich mittlerweile schon aus Prinzip nicht betrinken möchte. Grund dafür ist einerseits die Inakzeptanz, auf die ich stoße, wenn ich offen zugebe, dass ich keinen Alkohol trinke. Das wachsende Unverständnis in den Augen der anderen Partygäste, wenn ich den dritten Wodka-Cola-Mix mit Bacardinote und Cocktailschirmchen ablehne und immer noch keine „gute Begründung" parat habe, ist mir wahnsinnig unangenehm. Wenn ich dann zwei Stunden später allerdings die betreffende Person, die sich lallend und mit Tränen in den Augen an eine völlig fremde Person festklammert und ihr von ihrem verflossenen Ex-Freund erzählt, wiedersehe, bestärkt mich das in meinem Widersinn. Was genau gibt euch das Recht, mir erklären zu wollen, dass ICH gerade eine falsche Entscheidung getroffen habe? Ich werde den Teufel tun und nachgeben, egal wie sehr ihr mich mit eurem „Komm, nur einen Schluck!" nervt.

Ich trinke keinen Alkohol, weil es mich wütend macht, dass es bei anderen Leuten auf ein solch massives Unverständnis stößt. Dann fühle ich mich ungerecht behandelt. Kaum ein Vegetarier muss sich für seine Ernährung rechtfertigen, kaum einem Nichtraucher wird noch eine Zigarette aufgedrängt, ich aber gelte als Antialkoholikerin dann als „anders".

Manchmal ist meine Situation beinahe komisch, denn man könnte ja quasi sagen, ich habe ein Alkoholproblem. Mein Problem besteht nur eben daraus, dass ich keinen trinke, statt zu viel.

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Wenn ich allerdings ganz ehrlich bin, ist meine Abstinenz gleichermaßen auch ein Abgrenzungsversuch. Aus meinem Freundeskreis höre ich des Öfteren Geschichten von Leuten, die mitten in der Nacht auf der Polizeistation landen, weil sie so betrunken sind, dass sie nicht alleine nach Hause finden. Oder ich sehe Pärchen, die erst gemeinsam in der Ecke hängen und sich übergeben, und danach weiter miteinander vergnügen, als sei nichts gewesen. Das stößt mich ab, es ekelt mich an. Umso unverständlicher finde ich es, dass ich die einzige bin, die in Erklärungsnot zu kommen scheint. Ich bin vielleicht nicht so wie ihr, weil ich mich nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit volllaufen lasse, aber ich will es ja auch gar nicht sein.

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Trotzdem würde ich lügen, wenn ich sage, dass ich nicht auch manchmal an mir und meinen Entscheidungen in dieser Hinsicht zweifle. Eben weil ich oft die Einzige bin, die nicht trinkt, fühle ich mich häufig fehl am Platz. Am schlimmsten ist es, wenn mich die Leute mitleidig angucken, als sei ich Opfer eines himmelschreienden Irrtums, und kluge Sprüche klopfen, die sich anhören, als seien sie geradewegs von der nächsten Facebook-Seite geklaut. „Du verschwendest deine Jugend" scheint eines der favorisierten Gegenargumente zu sein. Dann muss ich erstmal schlucken und versuchen, nicht allzu angegriffen auszusehen.

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Gerade wenn man mir übertriebenen Kontrollwahn vorwirft, trifft mich das—vielleicht, weil es stimmt. Natürlich frage ich mich manchmal, ob der Abend besser wäre, wenn ich trinken würde, ob ich mehr Spaß hätte, mutiger wäre, Entscheidungen vielleicht anders treffen würde. Dann treffe ich am nächsten Morgen im Bad ein Mädchen, das ihr Zeug abholen möchte, weil sie die Nacht im Krankenhaus wegen einer Alkoholvergiftung statt bei uns verbracht hat, und ich bin doch wieder froh, stur geblieben zu sein.

Foto: Samantha Jade Royds | Flickr | CC BY 2.0

Manchmal befürchte ich auch, mich selbst sozial einzuschränken, weil ich mich bewusst von etwas gesellschaftlich so Gängigem abgrenze. Zwar wurde mir nie in meinem Freundes- und Bekanntenkreis ein Vorwurf aus meiner Abstinenz gemacht, aber es wird auch nur selten Rücksicht darauf genommen. Wenn ich dann zu „ordentlich Vorglühen und danach noch Kneipentour" eingeladen werde, hält sich meine Vorfreude für den Abend für gewöhnlich in Grenzen. So ungefähr muss sich wohl ein Vegetarier auf einer Steak-Verkostung fühlen.

Trotzdem ist es nicht einmal so, dass ich Abends nie weggehe. In meinem Freundeskreis bin ich zwar die einzige, die sich so strikt gegen Alkohol wehrt, aber das stört mich nicht. Ich halte meine Lebensweise nicht für das Ultimum, ich möchte sie meinem Umfeld nicht aufzwingen, nur für mich als Person halte ich es für das Beste.

In Clubs gehe ich gerne, weil man dort tanzen kann und es so voll und laut ist, dass meistens schlicht und einfach keiner mitbekommt, dass ich nicht trinke. In Bars sieht die Sache da schon anders aus. Wird da jemand auf mich aufmerksam, schüttle ich auf die Frage nach einem Bier für gewöhnlich hektisch den Kopf und versuche, schnell das Thema zu wechseln. Eigentlich albern. Wenn wir es mal ganz reduziert betrachten, trinke ich doch nur eine bestimmte Art von Getränk nicht. So wie andere Leute keinen Rosenkohl essen. Banal.

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Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass es einen speziellen Auslöser dafür gab, dass ich keinen Alkohol trinken will. Das Einzige, was mir dazu einfallen würde, ist eine Fernsehdokumentation, die ich etwa im Kindergartenalter gesehen habe. Es ging um ein Gefängnis und es wurde ein Mann interviewt, der eben dort einsaß, weil er betrunken seinen besten Freund erschlagen hatte. Möglicherweise hat mich das nachhaltig so beeindruckt, dass es sich sogar auf meinen Konsum jetzt auswirkt, aber mittlerweile macht das für mich auch keinen Unterschied mehr. Ich trinke eben einfach nicht.

Ich kann nicht sagen, ob ich diese Einstellung immer verfolgen werde. Vielleicht habe ich bald Lust, Alkohol zu trinken, und dann tu ich es. Vielleicht morgen, vielleicht in einem Jahr, vielleicht nie. Aber solange ich nicht den Drang nach Wodka-Cola-Mixgetränken, Späti-Bier und Schirmchen verspüre, behaupte ich auf der nächsten Party einfach, ich sei Allergikerin und hoffe auf Verständnis. Nein, noch nicht mal Verständnis—ich möchte mich einfach nur nicht rechtfertigen müssen.