FYI.

This story is over 5 years old.

Kultur

Warum die neue Studie des Jugendministeriums der falsche Ansatz für Jugendarbeit ist

Für Ministerin Karmasin ist die Verallgemeinerung der Jugend nicht mehr zeitgemäß. Jetzt präsentierte sie eine Studie, die aber genau das tut.

Screenshot via BMFJ

„Die Jugend von heute ist verdorben und zu nichts zu gebrauchen!" ist ein Satz, den wahrscheinlich jede Jugend zu hören bekommt. Damit will jetzt ausgerechnet Familien- und Jugendministerin Karmasin aufräumen und sagt: „Eine Verallgemeinerung der Jugend ist nicht mehr zeitgemäß."

Um sich ein differenzierteres Bild von der Jugend zu machen, hat das Bundesministerium für Familie und Jugend, kurz BMFJ, eine Studie in Auftrag gegeben, die am Dienstag präsentiert wurde. Darin geht das BMFJ auf eine Jugendmilieustudie des Forschers Bernhard Heinzlmaier ein, der die sogenannten „Sinus-Milieus" als Klassifizierung verwendet. Die Sinus-Milieus sind eine Einteilung der Jugendlichen in verschiedene soziale Gruppen, erstellt vom Marketinginstitut Sinus. Jede dieser Gruppen soll nun mit genau darauf zugeschnittenen Jugendarbeit-Maßnahmen angesprochen werden.

Anzeige

Zuerst das Offensichtlichste vorweg: Auf der Homepage des BMFJ prangen mehrere Bilder von Ministerin Karmasin und das Copyright im Footer gibt noch das Jahr 2014 an. In der Studie selbst sind mehr Rechtschreibfehler als in einer betrunken getippten SMS und mehr unnötige Anglizismen als in 1 Money Boy-Tweet. Und ich hebe diese kleinen, vielleicht unwichtigen, Versäumnisse nicht hervor, weil ich mich gleich zu Beginn als Grammar Nazi unsympathisch machen will, sondern weil es die Schludrigkeit der Regierungsarbeit unterstreicht. Würdet ihr auf die Verlässlichkeit einer Firma vertrauen, die nicht mal das Copyright-Jahr aktualisiert?

Und weil Verallgemeinerung ja nicht mehr zeitgemäß ist, verallgemeinert die Studie die „Kinder der Nullerkrise" in sechs Untergruppen: „Konservativ Bürgerliche" (Wähler einer bestimmten Partei), „Post-Materialisten" (Ökos), „Hedonisten" (Prolos), „Adaptiv-Pragmatische" (Bobos), „Performer" (WU-Studenten) und „Digitale Individualisten" (Hipster). Die Hedonisten, mit wenig Bildung oder Wohlstand, sind wohl die klassische Flat-TV-auf-Ratenzahlung-Unterschicht. Die Digitalen Individualisten machen irgendwas mit Medien und träumen vom Start-up. Der Rest ist sich irgendwo zwischen den etablierten Klischees zuhause.

Das Familienministerium will ab jetzt jedes Jugendmilieu mit speziellen Maßnahmen ansprechen. Die Hedonisten sollen zum Beispiel mit Infoständen, Flyern für sicheren Internetgebrauch und sogenannten „Gesundheitskompetenten Jugendzentren", betreut werden. Für die Performer, die WU-Studenten mit reichen Eltern, die in der globalisierten Welt ihre persönliche Bühne sehen, gibt es „Start-ups" als Jugendbetreuung. Die Start-ups sollen auch für die Digitalen Individualisten ein Jugendangebot sein. Tolles Vibrierwort ist „Start-up" noch dazu.

Anzeige

Allerdings wirkt es auch ein wenig illusorisch. Die Frage drängt sich auf, ob Frau Karmasin wirklich weiß, wie viel Arbeit und Blut in ein erfolgreiches Start-up fließen müssen—und dass die gesamte Motivation und Organisation meistens von den Beteiligten selbst kommt. Bietet das Familienministerium jetzt eine Wirtschaftsidee als Lösung an? Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut?

Für die Post-Materiellen und die Pragmatischen gibt es eine Zertifizierungsstelle namens aufZAQ. Ja, ZAQ. Weil ZAQ eine Onomatopöie von Zack ist und damit total Internet-Slang. Das Ganze ist anscheinend eine Zertifizierungsstelle für Jugendarbeit und Fähigkeiten. Die Präsentation listet weiters ein gemeinsames Logo, die Website jahrderjugendarbeit.at und eine „verbesserte Koordination von Maßnahmen zwischen den jugendpolitischen Stakeholdern" als Ziele des Jahres der Jugendarbeit 2016.

Jugendpolitische Stakeholder sind eigentlich die Jugendlichen selbst, an denen die Jugendpolitik vorbei politisiert wird. Wir lernen auf Seite 9: „Love displaces headache". Anscheinend valuieren Jugendliche persönliches Empfinden und Zufriedenheit über Gesundheit. Wir lernen auch: feeling safe = feeling confident. „Das Gefühl nach Sicherheit ist für Mädchen wichtiger als für Burschen zu sein." Sic, übrigens. Was in diesem Fall kein Onomatopöie für „sick" ist, sondern nur sagen soll: Am unwichtigsten scheint hier immer noch die Grammatik zu sein.

Noisey: Eine Reise durch die Wiener Lokale meiner Jugend, die es heute nicht mehr gibt

Das Problem ist nicht, dass hier eine neue Jugendpolitik versucht wird, sondern wie diese Politik geformt werden soll. Das Problem ist, dass hier eine Studie als Basis genommen wird, welche im Kern eine Adaption einer früheren Marketingstudie ist. Die Jugendmilieustudie Österreich wird für Marketingzwecke schon seit 2013 erstellt, es kommen auch schon teilweise dieselben Milieu-Bezeichnungen vor. Das Verwenden einer Wirtschaftsstudie als Basis für Jugendpolitik ist nur ein Symptom der weiteren Industrialisierung der Jugendausbildung. Schulische Maßnahmen werden nur nach soforitgen Ergebnissen bewertet. Bessere Abschlussraten? Die Maßnahme muss gut sein. Dass eine objektive Beurteilung eine Langzeitstudie erfordern würde ist während der Dauer einer Legislaturperiode egal.

Auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Jugend sind etwas dürftig ausgefallen. In der Präsentation gibt es kaum substantielle Aussagen, man wird nur mit Schlagworten beworfen, die den Eindruck von moderner Jugendpolitik vermitteln. Das ist alles nicht besonders neu in Bezug auf Studien und wäre auch alles nicht so schlimm, wenn es nicht auch einiges über das Politiksystem Österreich aussagen würde, in dem nicht mehr für den Langzeiteffekt Zukunft gearbeitet wird, sondern nur für den kurzzeitigen Belohnungseffekt von besseren Ergebniswerten nach ein paar Jahren. Dabei vergisst die Studie anscheinend, was ihre Macher eigentlich wissen: Nämlich, dass Jugendarbeit immer auf das Individuum bezogen sein muss und hauptsächlich von den Menschen dahinter und nicht von Studienergebnissen lebt.

Viktor auf Twitter: @igrpp