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Mode

,Germany's Next Topmodel‘ und die Kleine-dumme-Mädchen-Falle

Auch unsere Autorin hat leidenschaftlich gerne über die Klum-Models gelästert—bis der Insider-Bericht einer Teilnehmerin sie zum Nachdenken über Opfer- und Täter-Rollen brachte.

Germany's Next Topmodel ist für mich seit langer Zeit das Format, zu dem man es sich mit ein paar Kumpels vor dem Fernseher gemütlich macht, kollektiv ablästert und zwar viel Bier oder Cocktails, aber dann lieber doch keine Chips genießt. Für mich gehört GNTM schon so fix zum TV-Jahr, dass es sich wie der Besuch eines alten Freundes anfühlt (oder einer alten Großcousine, die man eigentlich nicht ausstehen kann, aber jedes Jahr sehen muss).

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Während man dann in der Runde die Steckerl-Beine bemängelt und Dinge sagt wie: „Die schauen ja aus, als würden sie gleich abbrechen", drängen sich auch ganz selbstverständlich Fragen über Weiblichkeit und Männlichkeit ins Gespräch. Von meinem Mitbewohner wurde gestern zum Beispiel eine Diskussion über das männliche Äquivalent zu „Laura" angestachelt. „Ihr Freund muss ja voll die Muskeln haben, damit er neben ihr gut aussieht." Die Meinungen gingen auseinander und am Ende hielt jeder einfach eine kleine Brandrede darüber, wie die perfekte Frau und der perfekte Mann denn auszusehen haben.

Merkwürdigerweise war ich, die einzige Frau im Raum, diejenige, die am härtesten mit den Mädchen ins Gericht ging: „Die schaut ja dumm aus", „Oh nein, ich hab mich getäuscht—DIE schaut dumm aus", „Oh mein Gott, wie dumm muss man sein?" und „Ist die zu dumm zum Laufen?" Zwischendurch schlenderte ich sogar immer wieder mal durch die Wohnung—einfach nur, um dem Fremdschämen kleine Pausen zu gewähren und mir selbst wieder das Durchatmen zu ermöglichen.

Dann bin ich auf den VICE-Artikel einer Kandidatin der aktuellen Staffel gestoßen, indem sie anonym über die Show „auspackt". Und erst in diesem Moment habe ich bemerkt, dass ich in eine ziemlich gut getarnte Falle getreten bin, und zwar mit Schwung. Die „Kleines dummes Mädchen"-Falle hat bewirkt, dass ich der felsenfesten Überzeugung war, dass alle Kandidatinnen nicht nur Stroh im Hirn hätten, sondern sie dieses sogar schon rausgeniest haben mussten.

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Ich habe mich sogar gefragt, wie das Produktionsteam es nur schafft, so viele dumme Hühner zu finden. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es kein Wunder, dass in fast jeder meiner hilflos-bissigen Kommentare zu den außergewöhnlich dämlichen Aktionen der Kandidatinnen das Wort „dumm" vorkam. Der Artikel kam in letzter Minute und hat mir so ein bisschen die Augen und die Synapsen geöffnet.

Die Kandidatinnen, über die man sich so gerne aufregt, sind Schauspielerinnen—und zwar gar keine schlechten.

Laut der Autorin geben die Macher und Macherinnen der Sendung den Frauen nicht nur die Szenen und Dialoge, sondern auch die Gesten vor, mit denen sie sich vor der Kamera zu inszenieren hätten. Im Sinne der maximalen Quotenlogik, werden nicht nur absichtlich Dramen inszeniert (von dem ich schon ausgegangen bin), sondern sogar erzwungen. All jene, die sich dem Dumm-Spektakel nicht beugen wollen, bekommen keine Fernsehzeit und werden früher oder später rausgeworfen.

Natürlich drängt sich einem hier schnell die Frage nach der Autonomie der Kandidatinnen auf. „Sie müssen da ja nicht mitmachen!" Aber so einfach ist das nicht. Wenn eine Fernsehshow dein Aufwachsen begleitet, und dich vielleicht sogar an einem wunden Punkt der Selbstfindung trifft, erweckt sie gewisse Wünsche und Träume, die wiederum nur sie (die Show) befrieden kann. Mein Bruder wollte Karate machen wegen Jacky Chan. Ich wollte Popstar werden wegen MTV. So ist das eben.

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Foto: Hot Gossip Italia | flickr | cc by 2.0

In diesem Sinne kann mich nur bedanken bei dieser Kandidatin, dass sie mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht hat. Dass sie mir erstens meine eigene Anfälligkeit, beim Schauen „kleines dummes Mädchen" zu denken, vor Augen gehalten hat, und mir zweitens bestätigt hat, dass das, was einem darin gezeigt wird, noch viel weniger mit Realität zu tun hat, als man es ohnehin schon dachte.

Die Kandidatinnen, über die ich mich beim Schauen der letzten Folge also wieder ausgelassen habe, sind Schauspielerinnen—und zwar gar keine schlechten. Die „schlechten" Schauspielerinnen—also diejenigen die ihren Charakter nicht so einfach zu dem arrangieren können, was verlangt wird—sieht man eben kaum.

Dass die Produktion hinter GNTM es also darauf anlegt, die Kandidatinnen, erstens als kleine Mädchen und zweitens als dumme kleine Mädchen darzustellen, indem sie ihnen simple Rollenbilder und Klischee-Charaktere vorschreiben, finde ich abgrundtief falsch. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Wer führt hier eigentlich Regie? Und wer sorgt dafür, dass die Dinge die Bedeutung haben, die sie in GNTM zugewiesen bekommen? Ich bin mir nicht sicher, ob wir Zuschauer als Opfer der Medienmanipulation durchgehen, oder nicht doch eigentlich mit dem Einschalten am Donnerstagabend die echten Täter sind.


Titelfoto: danor shtruzmand | flickr | cc by 2.0