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Bis so guet

Kunst weiss alles besser

„Wetten dass.." ist tot—lang lebe die Kunst!
Foto von FaceMePLS via Flickr | CC BY 2.0 

Foto von FaceMePLS

Vergangenen Samstag kam die Hiobsbotschaft: Wetten, dass..? geht vom Sender. Bestürzung und Fassungslosigkeit ergreifen den deutschsprachigen Raum. Auch die bissigsten Kommentatoren auf Twitter und Facebook erstarren plötzlich zu Häme- und Spottsalzsäulen. Doch es gibt gibt auch noch die anderen. Die, die es ja immer schon gesagt haben. Die, die diese Dauerwerbesendung und dieses surreal anmutende lanzsche Moderationsgemurkse schon immer zum Teufel wünschten. Ich selbst gehöre zu Letzteren. Das interessiert zwar niemanden, muss aber gesagt sein. Auch mir gehen Rechtfertigungsdruck und die eigene Reputation nicht komplett am Arsch vorbei.

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Foto reblogged von ruhr

Die relevante Frage aber lautet: Was passiert, wenn nun auch noch Germany's Next Topmodel, das Dschungelcamp, DSDS, The Voice und die Champions League von unseren Mattscheiben verschwinden? Bricht dann die grosse Panik aus oder werden diese Formate einfach flugs durch einen noch grösseren, noch unangenehmeren Medienausfluss ersetzt? Oder geschieht gar ein Wunder und die Menschen widmen sich wieder anderen Dingen?

Sagen wir mal … der Kunst! Warum auch nicht? Wir sind doch alle irgendwie auf der Suche nach Wahrheit, und Achtung, nach Au-then-ti-zi-tät. Ganz wichtig. Wir wollen soviel Wahrheit und Authentizität mitnehmen wie es nur geht. Im Job und vor allem in der Liebe. Genau da könnte doch eine Rückbesinnung auf die gute alte Kunst nicht schaden. Unserem orientierungslosen Multiple Choice-Herumgeeiere sind wir doch schon lange irgendwie überdrüssig.

Foto von Michael Pollak

Ganz ehrlich. Wann warst du das letzte Mal in der Oper? Im Theater? Wann das letzte Mal in einer grossartigen Ausstellung und wann hattest du die letzte bewusstseinserweiternde Literatur in der Hand? Da steht doch alles drin, Herrgott nochmal. Wahrheit, jede Menge Wahrheit.

Stell dir einmal vor, wie Samstagabende aussehen könnten, wenn plötzlich alle lesen würden, alte Filme schauten oder auf Premieren oder Vernissagen gingen. Und das nicht, weil man sich bloss vom Glanz der Kultiviertheit umgeben will, um damit das eigene Profil zu schärfen. Die Leute täten es, weil sie sich ernsthaft für die Sache interessierten. Sich Für Tschechow, Dostojweski, Rirkrit Tiravanija, Bach, Elfriede Jelinek, Virginia Woolf und alle anderen, die nicht so superpopulär oder auf Spaziergängen im Schnee erfroren sind. Robert Walser. Wenn wir aufhören würden Kunst ausschliesslich als Ventil unserer Komplexe zu missbrauchen. Wenn wir wieder oder erstmals richtig hinschauen würden. Denn sie sind da: Edvard Munch, Hans Bellmer, Pipilotti Rist, Egon Schiele, Man Ray. Tauchen wir ein, erleben unseren Konsum wieder, erfahren Neues und trauen uns auf einer Vernissage auch einmal das „Falsche" zu sagen.

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Foto von See-ming Lee

Zwingen wir uns und diesen traumquotenbessenen Junkiesendern doch einfach neue Sehbedürfnisse auf. Lernen wir wieder anders zu sehen. Weg vom Gaffen—hin zum Schauen. Das Verschwinden von Wetten, dass..? zeigt nämlich sehr schön, dass man nicht mehr einfach so zwanzig Millionen Menschen zusammenbekommt, die sich an einem Samstagabend das Gehirn leersaugen lassen wollen. Vielleicht gibt es tatsächlich noch Hoffnung. Falls die Sender aber weiterhin auf Schrott setzen werden, und davon gehe ich aus, bleibt uns ja Gott sei Dank immer noch die Kunst. Denn die wird immer da sein und uns Halt und Orientierung geben, in einer immer verworreneren Welt. Das zu wissen, ist doch irgendwie schön.

Ganz viel Kunst, aber bei weitem nicht nur, gibt es natürlich auch wieder dieses Wochenende:

Am Donnerstag gibts für dich, du kultivierter, kleiner Nimmersatt ein kleines Kunstbonbon in der Photobastei. Keine Ahnung, was du dir von all den dutzenden, sehenswerten Dingen, so reinziehst, aber wir finden, dont even think about that, wir lieben Vergnügungsparks und Abseits und alles, was diese irgendwie auf irgendeine Art abstrus, poetisch oder wie auch immer ablichtet. Wenn wir damit fertig sind, unsere brunftwütigen Geschmackspleonasmen auszuweiden, geben wirs uns etwas toxischer: Biohazard im Salzhaus. Und bevor wir komplett schmelzen, durch den musikalischen Kugelhagel ab ins Gonzo, an die Wrong Cops Afterparty. Wem das alles zu absurd, verkokst oder anstrengend ist, geniesst am besten die warme, flauschige Musik von [Drenge](http:// http://www.fri-son.ch/program/next/2014/04/10/index.html) im Fri Son.

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Freitags kultivieren wir uns mühsamer, anstrengender, impulsiver, involvierter, direkter, roher, nackter mit den sogenannten darstellenden Künsten. Und für alle, die bei diesem Begriff auch den Würger kriegen, und wissen, wie sexy Theater sein kann, gibt es The Deconstruction of Death in der Gessnerallee oder das Leben als Asthma quasi im Sud. R57 zeigt eine etwas andere Seite afrikanischer Flüchtlingsströme und in der Dampfzentrale zelebrieren sie das Ungesagte. Einen superschönen musikalischen Sonnenuntergang gibt es mit Flieder im Bad Bonn. Und wenn das alles nicht hilft, swing doch mal vorbei in der Kiste.

Am Samstag heisst es: My Child! Ja, es geht um Homosexualität, Ja es geht um Familien in der Türkei, Nein, es wird nicht harmlos, Ja, im Kino Reitschule. Grenzüberschreitend performativ wirds auch im Südpol, allerdings, weitaus musikalischer. Und sonst gibts ganz ganz ganz viel Party. Mashugge im Merkker, Rocknroll Trash im Bundeshaus, Nothing but Metal im Sedel und für alles, was uns noch bevor steht, Futura Clubnacht in der Zukunft und Futurebass in der Tankstell.

Sonntag ist Kater-aber-noch-lange-nicht-tot-und-fähig-mich-zu-bilden-muss-leben-geiler-krasser-Scheiss-diese-Stories-Kinotag. Von Inzest und Kannibalen im Hinterlandburgfrieden; we are what we are im Gaswerk, von Kunst als Waffe im arabischen Frühling; Art War im Xenix und der erste Film über die Schweizer Surfelite; I wanna Surf im Riffraff. Und weil der Sonntag so lang und schön ist und alle Regeln ihre Ausnahme haben, nutzen wir natürlich die letzte Gelegenheit für einen Abstecher ans internationale Comixfestival Fumetto.

Montage sind lang. Scheinbar unendlich lang. Die wöchentliche Wiederkunft, der (nicht-)wandelnde Anachronismus einer aufgehobenen Zeit, die Ewigkeit, hochdestilliert im Tropfen eines längst vorbeigezogenen Moments. Into Eternity. Ist nicht nur Gelaber, um euch zu nerven. Ist ein Film über die bitterschwarze Realität des Endlagerungsproblems, vergegenständlichte Transzendenz als politisches, philosophisches und ökologisches Debakel. In der Grabenhalle.

Am Dienstag wollen wir, nein fordern wir, gar; zwingen dich, irgendwohin zu gehen, wo etwas läuft (nein, deine Matratze zählt nicht), das aber bei keinem dir bekannten Textartikel, Supergau-Eventhitliste oder Tagelöhnertratsch als Veranstaltung gepriesen worden ist.

Und am Mittwoch stürzen wir uns ins Kairo ans Chloe Charles Konzert oder wir waten durch die Semioseleere aller Sozialsümpfe abseits alles Geschehens bei Thomas Kneubühler im Centre Pasquart.