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Vice Blog

"Der Life Ball ist ja eigentlich ein Todesball“ – Wir waren beim "Marsch für die Familie"

Die fundamentalchristliche Gegenveranstaltung zur Regenbogenparade ist ein seltsamer Ort. Marcus Franz war auch da.

"Warum hasst das linke Establishment die Familie so sehr?" Georg Immanuel Nagel, der Mann hinter den gescheiterten Versuchen, Pegida nach Österreich zu holen, wird gerne grundsätzlich, springt dabei aber auch genau so gerne von Thema zu Thema. "Die so genannte Frankfurter Schule hat alle Werte vernichtet!"

Es ist Samstagnachmittag, und auf dem Platz vor der Albertina haben sich knapp 100 Menschen zum "Marsch für die Familie" zusammengefunden. Dieser wird jährlich von der Plattform Familie als Gegenveranstaltung zur Regenbogenparade veranstaltet. Es sind viele alte Leute dort. Ein paar Familien. Die wenigen jungen Leute schauen aus, als würden sie ihren Eltern ingesamt wenig Sorgen machen. Die Leute tragen Schilder mit Aufschriften wie "ABTREIBUNG = MORD" oder "FAMILIE = VATER, MUTTER, KINDER" und Luftballons. Verhältnismäßig entspannt ausschauende Polizisten stehen im Kreis um die Versammlung herum. Eine kleinere Gegendemo macht etwa 100 Meter weit weg Lärm, nachdem die Polizei entschieden hat, dass die Gruppen doch nicht zwei Meter nebeneinander stehen sollen und die Protestler unsanft hinter die Absperrung geschoben hat.

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Nagel ist einer der Veranstalter. Das zeigt auch, wohin die Reise geht: recht weit nach rechts. Das ist vor allem ein PR-Problem für den "Marsch für Jesus", bei dem ein paar Stunden vorher knapp 10.000 Menschen in "I <3 Jesus"-T-Shirts über den Ring gezogen sind. Die Veranstaltungen haben nichts miteinander zu tun, der Jesus-Marsch ist auch nicht als Gegenveranstaltung zur Regenbogenparade gedacht gewesen. Die Veranstalter haben sich wohl einfach einen unglücklichen Tag ausgesucht und sind nach Gesprächen mit der Regenbogenparade zwei Stunden nach vorne gerückt, damit diese planmäßig stattfinden kann. Während die Jesus-Menschen am Heldenplatz ein Fest der Freude feiern, ist die Stimmung vor der Albertina sehr gedrückt.

Die Familie steht der Schaffung eines neuen Menschen im Weg

Die Welt ist schlecht. Zumindest aus Sicht der Plattform Familie. Sünde und Unzucht überall, und niemand außer ihnen tut etwas dagegen. Christian Zeitz vom Wiener Akademikerbund, der die Moderation der Veranstaltung übernimmt, macht das relativ schnell klar. Es finde eine Relativierung der Grundfesten der Gesellschaft statt. überall herrsche „billiger Sexualhedonismus". Apropos Sexualhedonismus: Zehn Minuten vorher dröhnte noch Outkast aus den Boxen. Auch nicht unbedingt für ihr Engagement gegen außerehelichen Sex bekannt.

Über die gelegentliche "Wien bleibt schwul!"-Rufe der Gegendemonstranten, am Brunnen, die später von der Polizei entfernt werden, malen die Redner ein düsteres Bild an die Wand. Kinder würden bereits in der Schule umprogrammiert, um dann später finsteren Plänen zu dienen, ohne es zu merken. Sie könnten so zum Beispiel besser "als Gegendemonstranten eingesetzt" werden. Auch in der späteren Rede von Nagel kommt der "Schaffung eines neuen Menschen" eine Schlüsselrolle zu. Das ist die ganz große Verschwörung, die sich vor den Augen der Fundi-Christen ausbreitet. Überall herrscht Zügellosigkeit und Unzucht. "Und wer Unzucht betreibt, der versündigt sich am eigenen Leib", wie ein Redner aus der Bibel zitiert.

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Der Mann vom Akademikerbund beklagt wortreich den Mangel an Meinungsfreiheit, was ein bisschen seltsam ist, weil er seine Thesen ja auf einer Bühne im Stadtzentrum ausbreiten kann. Aber letztlich geht es da nicht um die Freiheit, seine Meinung äußern zu dürfen. Sondern um die Freiheit, dafür nicht kritisiert zu werden. Der Nationalratsabgeordnete Marcus Franz, ehemals Team Stronach und Kurzzeit-ÖVPler, wird als Opfer seiner religiösen Einstellungen angekündigt. Franz, der wegen der Verknüpfung von Merkels Einwanderungspolitik und ihrer Kinderlosigkeit den ÖVP-Klub verlassen musste, hält eine—für seine Verhältnisse—recht unspektuläre Rede, in der es vor allem um Abtreibung und die Relativierung von Werten geht. Heute müsse alles gleich und gleichwertig sein, der liberale Weg sei der falsche, die Familie würde auf dem Altar der Beliebigkeit geopfert. Auch die spätere Grußbotschaft von Ursula Stenzel, die aufgrund eines Spanien-Aufenthalts nicht persönlich anwesend ist, bietet wenig Neues. Die Regenbogenparade würde mit einem "totalitären Anspruch" versuchen, die Familie an den Rand zu drängen.

Die Bewegung sieht sich nur noch von Feinden umringt

Während Nagel eine eher wirre Rede über das "kryptokommunistische Establishment", das "Genderdeutsch" und die Gegendemonstranten ("Ich frage die anwesenden Frauen und Mädchen: Sollen diese vermummten Krawallbrüder eure Fürsprecher und Beschützer sein?") hält, steht plötzlich ein älterer Herr mit Pferdeschwanz vor dem Autor dieses Textes und fängt wild an zu schimpfen. Er sei ein "Rothschild-Agent". Sie würden den Autor beobachten, er werde noch "russische Bekanntschaft" machen. Danach streift er noch weiter herum, holt sein Handy heraus und diktiert jemandem die Beschreibung des Autors in sein Handy. Wahrscheinlich sich selbst. Zum Abschied schreit er "Du wirst kein schönes Leben mehr in dieser Stadt haben!", wirkt dabei aber auch nicht unbedingt so, als würde er selbst ein schönes Leben in dieser Stadt haben.

Vor allem die Wortmeldungen von Seitz werden mit jedem Auftritt seltsamer. Von "Hinter der Bühne sitzen ein paar Gegendemonstranten. Die müssen sitzen, weil sie nicht mehr stehen können. Sie haben zu viele bewusstseinserweiternde Substanzen eingenommen!" über "Der Life Ball, der ja eigentlich ein Todesball ist" bis zu "Die Teilnehmer der Regenbogenparade sehen ja aus, als würden sie direkt aus der Hölle kommen". Er verweist darauf, dass Junge Leute ein klassisches Familienbild wollten, nicht „Kampflesbe und andere Lesbe".

Er nennt Flüchtlinge „Okkupanten" und schlägt so den Bogen zum rechten Rand. Er wettert gegen die "ehemals christliche ÖVP", gegen das Familienministerium, gegen Vertreter der katholischen Kirche, die ihnen "in den Rücken fallen". So schaut das Endstadium auch größerer Bewegungen aus: Man führt nur noch Rückzugsgefechte und sieht überall um sich herum nur noch Feinde. Man muss klar sagen: Das hier ist die Veranstaltung einer verhältnismäßig winzige Splittergruppe, die auch in religiösen Kreisen kaum Rückhalt halt und eher aus Kuriositätsgründen von Interesse ist.

In den vorangegangenen Jahren sind die Teilnehmer immer zum Bildungsministerium marschiert, weil ja in der Schule die schwule Umprogrammierung startet. Heuer endet die Veranstaltung damit, dass die Teilnehmer einmal um den Albertinaplatz ziehen. Während im restlichen Wien die LGBT-Community und Menschen, die sie unterstützen, feiern, dreht sich die Gegenveranstaltung im Kreis. Ein durchaus passendes Bild.

Jonas ist auf Twitter: @L4ndvogt