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Mode

Pakistanische Näher zeigen uns gerade, wie unsere Billigkleidung Leben zerstört

In Dortmund verklagen Opfer des Feuers einer Textilfabrik den Discounter KiK.

"So billig so gut so geil"—Werbung kann so zynisch sein | Foto: imago | Eibner

260 Tote und 32 teils schwer Verletzte. Das sind die Opfer des Brandes in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karachi in Pakistan am 11. September 2012. Sie arbeiteten vor allem für den deutschen Kleidungsdiscounter KiK.

Die Branche baut auf ihnen auf: Menschen, die möglichst viel produzieren und das möglichst billig. Erfüllungsgehilfen, an deren Arbeit andere verdienen. Sie sind irgendwo weit weg, wo ihr Leid im wahrsten Sinne des Wortes fernbleibt. Schlimm, schlimm, denken wir und gehen am nächsten Tag trotzdem eine neue Hose kaufen, ohne zu überlegen, wer sie unter welchen Bedingungen hergestellt hat.

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Vor Anklagen mussten sich die Unternehmen, die in Billig-Fabriken produzieren, nicht fürchten—bis jetzt. Vier Pakistaner verlangen in einem Zivilverfahren am Landgericht Dortmund je 30.000 Euro Schadensersatz von KiK. Sie haben den Brand überlebt oder sind Hinterbliebene der Opfer. Sie werfen KiK vor, für die "katastrophalen Brandschutzvorkehrungen" im Fabrikgebäude mitverantwortlich zu sein.

Der Vorwurf: KiK habe bei dem Lieferanten in Karachi nicht oder nicht genug dafür gesorgt, dass die Sicherheitsstandards und brandschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Dabei besitzt KiK sogar einen Verhaltenskodex darüber, welche Arbeitsbedingungen angemessen sind.

KiK versucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen, und schiebt die Schuld auf andere: Die Produktionsstätte von Ali Enterprises sei eine "rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Fabrik". Der Kodex sei außerdem "freiwillig und nicht erzwingbar". Sprich: Wir haben zwar gesagt, wir sorgen dafür, aber das heißt ja nicht, dass wir es auch machen müssen.

Die Hinterbliebenen wollen das nicht hinnehmen. In Dortmund klagen die vier nicht für sich alleine, sagt Muhammad Jabbir, Vorsitzender der Vereinigung der Hinterbliebenen und Überlebenden des Feuers in der Textilfabrik. "Gemeinsam können wir besser für unsere Rechte kämpfen und unsere Forderungen hoffentlich durchsetzen."

"Die Leidtragenden der globalen Textilindustrie fordern Gerechtigkeit", sagt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights. Die Profiteure dieses ungerechten Systems können in Deutschland jetzt erstmals rechtlich zur Verantwortung gezogen werden".

Der Anfang vom Ende der Ausbeutung? So einfach ist es leider nicht. Produziert wird, wo es billig ist. "Sweatshops" sind Fabriken, die auf Arbeits- und Sicherheitsbedingungen scheißen. Sie sind dort, wo die Löhne am niedrigsten sind—wie in Myanmar oder Kambodscha. In Kambodscha beträgt der Mindestlohn gerade einmal 124 Euro im Monat.

Bekannt ist die Geschichte der eingenähten Hilferufe in Primark-Kleidung. Unter dem Verdacht der Zwangsarbeit standen außerdem Marken wie Zara. Der Druck auf Unternehmen wie H&M, deren Zulieferer unter miserablen Bedingungen schuften ließen, wuchs in den letzten Jahren. Doch noch immer gibt es—wie wir am Beispiel KiK sehen—genug Möglichkeiten, die eigene Verantwortung auf Dritte zu schieben oder freiwillige Codices über Bord zu werfen, wenn es um Geld geht.

Ein zweites Problem: Das Sweatshop-Prinzip—mehr, billiger, egal wie—, das wir nur in Asien vermuten, ist längst auch in Europa angekommen. Das zeigen Dossiers der Clean Clothes Campaign über Fabriken in Polen und Tschechien. Die Folge für die hauptsächlich weiblichen Arbeiterinnen: "Wir versanken in Arbeit", sagte eine Polin den Forscherinnen. Die Ansage der Chefs: Ihr müsst mehr arbeiten, sonst verlieren wir die Aufträge. Aber: "Es gab genug Aufträge—solange wir ohne Jahresurlaub für Billiglöhne immer fleißig Überstunden leisteten und nicht den Mund aufmachten. Diese Schufterei hat jemanden sehr reich gemacht." Die Arbeiterinnen gaben unter anderem Calvin Klein, Schiesser und Hugo Boss als Auftraggeber ihrer Fabriken an. Auch sie verdienten gerade den Mindestlohn .

Ob die Klage der Angehörigen der Opfer in Pakistan also wirklich etwas am großen Problem verändert, bleibt offen. Zumindest aber ist es ein Anfang. Vielleicht ja doch der Anfang vom Ende der Ausbeutung.