FYI.

This story is over 5 years old.

AfD

Das einzige, was die AfD zerstören kann, ist unsere gute Laune

Einen AfD-Wähler zu überzeugen, dass er etwas sehr Unvernünftiges macht, ist so konstruktiv, wie einem Einjährigen einen Bauklotz-Turm hinzustellen und zu sagen, dass er ihn nicht umwerfen darf.

Frauke Petry bei der AfD-Wahlparty am 04.09.2016 vor dem Schweriner Landtag | Foto: imago | Fotoagentur Nordlicht

Jennifer Rostock sangen den Wählern das AfD-Programm vor, damit sie begreifen, was für einen Unsinn die Partei fordert. Über 14 Millionen Menschen haben es gesehen. In einer epischen Anti-AfD-Rede demonstrierte ein Poetry-Slammer die Absurdität der AfD-Ideologie; Hunderttausende klickten darauf. So gut wie jeder deutsche Politiker erklärte in den vergangen Tagen, dass jetzt echt "jede Stimme zählt". Und auch wir bei VICE geben uns seit jeher alle Mühe zu zeigen, was für einen Quatsch AfD-Politiker verzapfen, und erzählen euch, wie sich die Partei selbst zerlegt, sobald sie irgendwo Verantwortung übernehmen soll. Aber machen wir uns nichts vor. Das bringt alles nichts.

Anzeige

Trotz Songs, Reden, Appellen und Artikeln: Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag wählte jeder Fünfte AfD. Zum ersten Mal bekam die Partei sogar mehr Stimmen als die CDU. Aber einen AfD-Wähler vor der Stimmabgabe zu versuchen zu überzeugen, dass er da etwas sehr Unvernünftiges vorhat, ist ungefähr so konstruktiv, wie einem Einjährigen einen Turm aus Bauklötzen hinzustellen und zu sagen, dass er ihn auf keinen Fall umwerfen darf.

Mit 3,7 Prozent Ausländeranteil steht die Islamisierung Mecklenburg-Vorpommerns nicht unmittelbar bevor. Aber jetzt über Fakten zu reden, wäre müßig. Denn hier geht es nicht um Tatsachen, sondern um Gefühle. Die AfD vertritt die Interessen der Verängstigten. Dagegen kommt man nicht mit Statistiken an. Ein Diskurs mit AfD-Wählern scheitert auch daran, dass den meisten von ihnen politische Inhalte ohnehin egal sind. Bei ihnen sammelt sich alles, vom früheren NPD-Anhänger bis zum Ex-Wähler der Linken. Die einzige Haltung, die sie verbindet, ist: Wir sind dagegen.

Je mehr wir versuchen, ihnen zu beweisen, wie dumm ihre Wahlentscheidung ist, für das Land und für sie selbst, desto mehr fühlen sie sich motiviert, ihre Stimme der AfD zu geben. Je mehr man gegen die AfD kämpft, desto attraktiver wird die Partei für Protestwähler, die es "dem System", "den Altparteien" und "der Lügenpresse" mal so richtig zeigen wollen.

Und hier stecken wir in einem Dilemma. Am effektivsten wäre es vermutlich, die Öffentlichkeit, Facebook-User, Presse und Politik würden die AfD weitestgehend ignorieren. Hoffen, dass die Partei den Nimbus des Polit-Rebellen einbüßt, wenn einfach niemand mehr auf ihre billigen Tabubrüche einsteigt.

Anzeige

Aber gleichzeitig geht das natürlich nicht. Wenn ein erheblicher Anteil der Bevölkerung die Demokratie ablehnt und Kandidaten unterstützt, die gegen Migranten hetzen, dann können wir das nicht einfach hinnehmen. Unsere Argumente werden den Siegeszug der AfD nicht verhindern. Unsere Wut wird im Zweifelsfall nur Wut auf der Gegenseite schüren. Und wenn wir uns über sie lustig machen—Anlässe bietet die Partei genug—, werden sie die Reihen nur noch dichter schließen.

Aber die Klappe halten können wir trotzdem nicht. Wir brauchen die Fakten, um uns selbst immer wieder zu bestätigen, auf der richtigen Seite zu stehen. Und nichts hilft in einer beunruhigenden Situation mehr, als darüber zu lachen.

Aber wenn Statistiken und Humor keinen Wähler umstimmen, was dann?

Wir haben eines, was AfD-Wähler nicht haben; was sie nie haben können; und was im Zweifelsfall ansteckend ist: Wir haben gute Laune.

Die AfD will, dass wir Angst haben. Zeigen wir ihr, dass das Gegenteil der Fall ist. Lasst uns die AfD mit unserer Zuversicht plattmachen.

Je mehr sie hassen, desto mehr freuen wir uns. Wir freuen uns, dass es dem Land wirtschaftlich so gut geht wie seit Jahrzehnten nicht. Dass Hunderttausende teils hochqualifizierte Zuwanderer zu uns kommen und Deutschland bereichern. Dass das Land unaufhaltsam liberaler, vielfältiger und aufregender wird. Wir haben die Fakten auf unserer Seite. Aber wir können die Stimmung im Land nur prägen, wenn wir sie auch leben: fröhlich sind, während andere ängstlich sind; helfen, wenn andere ausgrenzen.

Die Politik hat das noch nicht begriffen. Die Union, aber auch Teile der SPD und der Linken wetteifern mit den Rechten um billige Parolen. Diese Strategie treibt der AfD nur noch mehr Stimmen zu. Denn niemand nimmt "Populismus light", wenn er das Original haben kann. Je nervöser die anderen Parteien wirken, desto weniger vertrauen die Wähler ihnen und desto attraktiver erscheint die AfD.

Union, SPD und Linke sollten auf das setzen, was demokratische Parteien ausmacht: Diskurs. Sie sollten die eigene Politik erklären, Alternativen diskutieren, Souveränität ausstrahlen. Daran scheitern sie bislang in weiten Teilen.

Lasst uns nicht den gleichen Fehler machen wie die Politik und nervös werden. Es gibt keinen Grund dazu. Deutschland absolviert eine historische Aufgabe erstaunlich gelassen: die Integration von über einer Million überwiegend muslimischer, männlicher Migranten. Und das, obwohl die EU währenddessen kolossal versagt. Diese Gelassenheit dürfen wir uns nicht nehmen lassen, egal in wie viele Landtage die AfD noch einzieht.

Unsere Argumente werden die Wähler ohnehin nicht umstimmen. Aber vielleicht überzeugt es sie, wenn sie nur lange genug sehen, dass die Stimmung auf der anderen Seite des politischen Spektrums einfach besser ist. Also lasst uns trotz AfD-Erfolg zuversichtlich in die Woche starten. Die Welt steht noch. Und sogar Mecklenburg-Vorpommern.