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Richard Lugner hat die Welt besser verstanden als du

Lach ihn ruhig aus. Solltest du sogar. Denn Richard Lugner hat aus deinem Gelächter ein Geschäftsmodell gemacht.

Die Bundespräsidentschaftskandidatur Richard Lugners steht jetzt seit Mittwoch fest und in diesen zwei Tagen hatte Österreich bereits einiges zu lachen. Über den Umstand, dass das Humaninstitut Lugner in einer „repräsentativen Umfrage" exakt die 10 Prozent voraussagte, die der ehemalige Baumeister als Untergrenze für eine Kandidatur genannt hatte. Über die seltsame Pressekonferenz, für die österreichische Journalisten Donnerstag morgens in Scharen in die Lugner City strömten. Und über die Presseunterlagen, das vielleicht schönste Stück politischer Posie in der 2. Republik.

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Auch davor beherrschte Lugner immer wieder meinen Facebook-Feed. Sei es mit seiner „Penis-Beichte", dem Ausschnitt aus der Streiterei mit seiner Lebensgefährtin Cathy am Opernball („Du solltest aufhören mit irgendwelchen Nutten zu telefonieren!") oder dem obligatorischen Versöhnungsfoto in der Badewanne. Richard Lugner ist nach allen gesellschaftlichen Konventionen betrachtet ein sehr komischer, alter, peinlicher Mann. Man schämt sich fremd, wenn man seine Sendungen anschaut. Und man lacht, wenn er sich mit seinem aktuellen Beistell-Tiernamen in den Boulevardmedien zeigt.

Nachdem Richard Lugner mutmaßlich einen IQ von über 27 hat, ist ihm das durchaus bewusst. Aber es ist ihm egal, und das kann es auch. Denn wenn wir lachen, gewinnt er. Unsere Belustigung ist sein Geschäftsmodell.

Seitdem ich nicht mehr täglich ins Büro muss, habe ich meinem Leben ein paar andere Rituale verpasst. Eines davon ist der Besuch in der Lugner City, wo ich täglich ein Mittagessen einnehme. Die Salatbar im Merkur hat übrigens das vermutlich beste Preis-Leistungs-Verhältnis Wiens, aber darum soll es hier nicht gehen. Erst wenn man die Lugner City, diesen Komplex in Wien-Fünfhaus, öfter betritt, fällt einem auf, dass er nicht nur seinen Namen trägt, sondern das betongewordene System Richard Lugner ist.

Der Baumeister „Mörtel" ist bekanntlich schon länger keiner mehr. Nach seinem Rücktritt von der Firmenspitze funktionierte das Experiment mit seinen Söhnen nicht so richtig, also wurde die Baufirma irgendwann abgedreht. Seitdem konzentriert sich Lugner auf sein Einkaufszentrum und Nebenaktivitäten.

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Die Lugner City ist eine Stadt innerhalb der Stadt: Es gibt Supermärkte, Bekleidungsgeschäfte, Drogerien, Elektronikfachgeschäfte, Gastronomie. Es gibt Nagelstudios, Ärzte, eine Post, ein Kino, ein Fitnessstudio. Es gibt große Ketten, Spielzeuggeschäfte, ungesundes Essen und—zumindest vermutet das die Polizei—lange Zeit soll es auch ein bis zwei Puffs gegeben haben. Das Ganze ist schrill, grell und überdimensioniert. Es lädt ein, sich darin zu verlaufen.

Das wäre ja alles ja noch nicht so besonders. Große Einkaufszentren gibt es auch andere in und außerhalb Wiens. Aber die Lugner City ist etwas völlig anderes. Die Lugner City ist das Äquivalent der amerikanischen Mall, und die Menschen dort sind das Gegenstück zu den Mall People. Sie will nicht nur der Platz sein, wo du dein Geld ausgibt. Sie will der Platz sein, wo du deine Zeit verbringst, weil sie rundum all deine Bedürfnisse erfüllt. Du gehst nicht in die Lugner einkaufen, du gehst Lugner.

Das Nebenprogramm ist so beachtlich wie stillos. Innerhalb der letzten drei Wochen war die große Halle der Lugner City bislang bereits folgende Dinge: eine Eislaufbahn, ein Konzert von Mr. Probz, eine Hüpfburg, eine Fläche für eine Kinderkarnevalsshow, ein Squashfeld. Promis geben dort Autogrammstunden, Stars statten ihr einen Besuch ab und im Vorfeld von Wahlen stellen Parteien brav Politiker für eine Live-Fragerunde mit Richard Lugner ab, der dabei meist einen glänzenden, silbernen Anzug trägt.

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Sie alle kommen aus genau einem Grund dahin: Weil sie wissen, dass ihre Zielgruppe dort ist. Und sie ist dort, weil Lugner über Jahre hinweg eine Verbindung zu ihnen aufgebaut hat. Lugner redet mit seinem (vielfach migrantischen) Publikum auf Augenhöhe—was man eben sonst nur von wenigen erfolgreichen Prominenten oder Politikern behaupten könnte. Sein neureiches, proletarisches Benehmen gibt ihnen das Gefühl, dass es da einer von ihnen geschafft habe. Seine Würdelosigkeit gibt ihnen ihre Würde zurück.

Lugner würde dich nie für deine Bedürfnisse verurteilen, so bescheuert sie auch sein mögen. Er hat ja selber Bedürfnisse, auf welche die Gesellschaft eher hinabblickt. Im Grunde genommen ist Lugner der fleischgewordene Kapitalismus: Er verkauft dir, was du gerade haben willst. Und er käme nie auf die Idee, dir zu erzählen, dass du das nicht brauchen könntest. Du willst eine absurde Kombination aus Mais mit Schokolade haben? Irgendwas in Rosa? Zu schrecklicher EDM-Musik Angry Birds spielen? Hier, bitte. Gegenüber in Neubau mögen sie dich dafür schief anschauen. Hier sicher nicht.

Die Aktionen Lugners mögen gelegentlich chaotisch erscheinen, aber im Grunde hat dieses Chaos System. Lugner hat verstanden, wie die Welt funktioniert. Er war immer schon Post-Empire, lange bevor es den Ausdruck gab. Er macht sich gerne zum Clown, es ist ihm einfach wurscht. Das Kasperl gewinnt immer, wie es in den Wahl-Unterlagen heißt. Lugners ganze Erscheinung, sein ganzes öffentliches Leben, das alles strahlt genau eine Message aus: „Ach kommt schon, ihr würdet das doch auch machen, wenn ihr könntet".

Das muss nicht stimmen, aber er ist damit ist sehr, sehr erfolgreich. Lugner verdient nicht nur mit all seinen bizarren TV-Auftritten Geld. Sondern er ist selbst die Marke. Sein völlig bizarres Video zur Präsidentschaftskandidatur konnte innerhalb von drei Tagen knapp 350.000 Views anhäufen—dreimal so viele wie das Antrittsvideo von Alexander Van der Bellen. Mittlerweile steht es bei über einer halben Million. Für die Verteilung sorgten die Menschen in den sozialen Netzwerken, egal ob sie ihn cool fanden oder über ihn lustig machten. Aus einer Stunde Arbeit wird so ein Werbewert, der kaum zu beziffern ist. Dasselbe gilt auch (erneut) für die gesamte Lugner-Kandidatur und das jährliche Theater am Opernball, das er übrigens ohne Erfolg versucht hat als Betriebsausgabe abzusetzen. Der Markenwert ist enorm—es muss einem halt nur wurscht sein.

Die Lugner City, die ATV-Shows, Richard Lugner selbst: Das alles ist ein bisschen wie das Dschungelcamp. Es gibt eine Zielgruppe, die es unironisch leiwand findet, der Rest schaut „aus professionellem Interesse" zu oder kann wie bei einem Autounfall nicht wegsehen. Aber kaum jemand kann sich dem völlig entziehen. Richard Lugner kann das alles egal sein. Er steht da drüber. Am Ende des Tages fährt er in seinem großen Auto in sein großes Haus zu seiner jungen Frau. Er hat das Leben verstanden. Nicht, dass man unbedingt mit ihm tauschen wollte. Aber von seiner „Scheiß drauf"-Attitüde könnte man sich gelegentlich etwas abschneiden.

Dem Autor auf Twitter folgen: @L4ndvogt